By Published On: 3. August 2017Categories: Literaturempfehlungen

Kreativität ist eine der gefragtesten Eigenschaften in einer immer komplexer werdenden Welt. Aber ist Kreativität überhaupt eine Eigenschaft? Der Autor Mihaly Csikszentmihalyi beschreibt in dem Buch „Flow und Kreativität – Wie Sie Ihre Grenzen überwinden und das Unmögliche schaffen“ was kreative Menschen auszeichnet und wie sie sich von anderen Menschen unterscheiden. Dabei geht er neben dem Mensch als kreatives Individuum auch auf die kreative Arbeit und die kreative Umwelt ein. Er beschreibt weiterhin Lebensgeschichten von besonders kreativen Menschen, die er mit Hilfe von Interviews induktiv erforscht hat, um Parallelen und Differenzen festzustellen. In diesem Beitrag soll es aber um die kreative Persönlichkeit gehen.

 

Die Kreativität

In der Psychologie zeichnet sich Kreativität durch ungewöhnliche, aber angemessene Reaktionen auf neuartige Stimuli und Situationen aus[1]. Dabei ist nicht eindeutig festgelegt, ob Kreativität dem Eigenschaftsbereich zugeordnet wird, oder ob es sich um ein psychologisches Konstrukt handelt[2]. Wenn man berücksichtigt, dass Eigenschaften dadurch beobachtet werden, dass man von mehrfach auftretenden Verhaltensweisen zurück auf die Eigenschaft schließt[3], ist der Begriff des „Konstrukts“ nach der Definition von Köck und Ott mit der Kreativität verbunden[4].

 

Der Autor schreibt, „dass kreative Menschen die erstaunliche Fähigkeit haben, sich fast jeder Situation anzupassen und sich mit dem behelfen, was gerade zur Verfügung steht, um ihre Ziele zu erreichen“.[5] Zunächst geht Csikszentmihalyi auf zwei interdependente Dispositionen ein: Die biologische Prädisposition und das menschliche Interesse (die Neugier und Offenheit für Erfahrungen). Personen, die durch ihre genetischen Voraussetzungen sehr gut Farben wahrnehmen und differenzieren können, interessieren sich deutlich wahrscheinlicher für Bilder, Farbschemata und deren Wirkung[6]. Das Interesse wird demnach häufiger stark ausgeprägt sein und führt zu einer Beschäftigung mit dieser Domäne. Dazu ist aber auch eine generelle Offenheit für Erfahrungen und unvoreingenommene Wahrnehmung erforderlich[7]; nur wer neue Dinge erfahren möchte, kann auch neue Dinge erschaffen. Wer mehr über ein bestimmtes Gebiet lernt, wird wahrscheinlicher in der Lage sein, etwas Innovatives zu schaffen[8]. Der Autor ist davon überzeugt, dass der Zugang zu dieser Domäne und zum sog. Feld eine entscheidende Rolle spielt.

Der Zugang zur Domäne bedeutet, dass die Person in das Umfeld gelangen kann und die Mittel zur Verfügung hat, alles über ein Gebiet zu erfahren und zu lernen (bspw. Zugang zu einer Universität, finanzielle Ressourcen). Der Zugang zum Feld bedeutet, dass eine Person die gleichgestellten und einflussreichsten Menschen in dieser Domäne kennenlernt. Während der Zugang zur Domäne obligatorisch für das Lernen eines Wissensgebietes ist, sorgt der Umgang mit Gleichgesinnten für eine förderliche Umgebung kreativer Schöpfungen[9].

 

Kreative Menschen nach Csikszentmihalyi

Der Autor stellt zunächst einmal fest, dass kreative Menschen in jedem erdenklichen Beruf tätig sein können und auch Stil und Interessen sehr weit auseinander gehen. Wichtiger als die persönlichen Neigungen seien die Anpassungsfähigkeit und die Lernbereitschaft, die mit dem Zugang zu einer Domäne verbunden sind. „Die Persönlichkeit eines Menschen, der etwas Kreatives leisten will, muß sich an die bestimmte Domäne und an die veränderten Bedingungen eines bestimmten Feldes anpassen“.[10]

Doch was steckt in dem kreativen Menschen, wo liegt der Unterschied zu einem eher konvergenten Denkstil? Komplexität ist das Stichwort. Kreative Menschen zeichnen sich durch ihre Komplexität aus[11]; teilweise könnte man sogar von einer bipolaren Eigenschaftsstruktur sprechen. In der Eigenschaftspsychologie werden auffällige Extreme gegenüber gestellt (z.B. Introversion vs. Extraversion), um die grundsätzlichen Eigenschaftsstrukturen einzuordnen und messbar zu machen.

Csikszentmihalyi beschreibt, was er unter Komplexität der kreativen Persönlichkeit versteht. Kreative Menschen sind mit höherer Wahrscheinlichkeit in der Lage, die volle Bandbreite von Eigenschaftsdimensionen auszudrücken und je nach Kontext und Situation anzupassen[12]. Es entsteht somit keine Durchschnittlichkeit, sondern die Fähigkeit, zwischen Extremen zu transformieren[13]. Für dieses scheinbare Spannungsverhältnis zeigt Csikszentmihalyi zehn Beispiele auf:

 

Bezeichnung Pol 1 Pol 2
1. Physische Konstitution Hohes Energielevel Ausgeglichenheit

2. Denkstil

Logisch /Konvergent Naiv / Divergent

3. Kontrolle

Diszipliniert Spielerisch
4. Bezug zur Außenwelt Realistisch Phantasievoll
5. Offenheit Extravertiert Introvertiert
6. Selbstbewusstheit Stolz Demut
7. Androgynität Maskulin Feminin
8. Offenheit für Veränderung Rebellisch / Unabhängig Traditionell / Konservativ
9. Objektivität Distanziert Leidenschaftlich
10. Sensibilität Mutig/ Draufgängerisch Ängstlich / Melancholisch

Tabelle 1: Bipolare Eigenschaftsdimensionen (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Csikszentmihalyi S.86ff.)

 

Zusammenfassung und Kritik

Kreative Menschen zeichnen sich insgesamt durch ihre hohe Komplexität aus, wenn man das „Innere“ des Menschen betrachtet. Sie können impulsiv, mit hoher Energie und Leidenschaft Projekte beginnen und diszipliniert fortsetzen. Sie gehen spielerisch an ihre Projekte und Aufgaben, haben aber auch die Distanz und Objektivität, ihre Ergebnisse mit „anderen Augen“ zu betrachten. Kreative Menschen vereinen maskuline und feminine Charakterzüge in einer Person, unabhängig davon, welchem Geschlecht sie angehören und verdrängen ihre liebesvolle und kooperative Seite bzw. aggressive und zielstrebige Seite nicht. Sie können leichter und häufiger die Energien nutzen, die für den jeweiligen Moment nützlich sind.

Die Beleuchtung der inneren Dimensionen kreativer Persönlichkeiten hilft für das Verständnis von Kreativität. Die beiden diametralen Pole einer bestimmten Dimension helfen bei der Erkenntnis, warum Kreativität so vielfältig und undefinierbar wirkt. Andererseits sind die vorgestellten Dimensionen häufig sehr schwer messbar und in der Eigenschaftspsychologie immer noch nicht eindeutig geklärt. Das hängt darüber hinaus auch damit zusammen, dass es schwierig ist, eine Person generell einer dieser Dimensionen zuzuordnen und im Ergebnis damit noch schwieriger, wenn eine Person viele Pole in sich vereint.

Die im Einleitungsteil beschriebenen weiteren Aspekte von Kreativität können dabei nicht getrennt von der Eigenschaft betrachtet werden. Insgesamt vermittelt dieses Buch einen sehr umfangreichen Einblick in die Kreativität und darüber hinaus Denkanstöße für die persönliche Entwicklung einer kreativen Natur.

 

Quellenverzeichnis

[1] Vgl. Zimbardo, P. G.: 1992, S. 449.

[2] Vgl. Asendorpf, J. B./Neyer, F. J.: 2012, S. 157.

[3] Vgl. Koch, A./Schnaack, F.: 2010, S. 19f.

[4] Vgl. Koch, A./Schnaack, F.: 2010, S. 22.

[5] Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 80.

[6] Vgl. Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 81.

[7] Vgl. Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 82

[8] Vgl. Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 81.

[9] Vgl. Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 84f.

[10] Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 86.

[11] Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 88

[12] Vgl. Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 88f.

[13] Vgl. Csikszentmihalyi, M.: 2015, S. 89.

 

Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Titelbild Kreativität (Quelle: https://pixabay.com/de/fallschirm-fallschirmspringen-658397)

Abb.2: Buchtitel (Quelle: Autor)

 

Literaturverzeichnis

Asendorpf, J. B. / Neyer, F. J.: Psychologie der Persönlichkeit. 5. Auflage. Springer. Berlin [u.a.] 2012

Csikszentmihalyi, M.: Flow und Kreativität. 2. Auflage.Klett-Cotta. Stuttgart 2015

Koch, A. / Schnaack, F.: Persönlichkeits- und Differenzielle Psychologie. Studienbrief der SHR FernHochschule Riedlingen. Riedlingen 2010

Zimbardo, P. G.: Psychologie. In: Hoppe-Graff, S. / Keller, B. [Hrsg.]: Psychologie. 5. Auflage. Springer. Heidelberg 1992

 

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