By Published On: 4. Dezember 2020Categories: Gesundheit, Management, Pädagogik, Psychologie

Die Welt befindet sich mitten in einem Wandlungsprozess. Globalisierung, Digitalisierung, zunehmender Konkurrenzdruck, Instabilität, als auch neue Informations- und Kommunikationstechnologien führen nicht nur zu neuen Chancen, sondern bringen ebenso Herausforderungen mit sich. Wir sind ständig erreichbar, müssen denkfähig und belastbar sein in einer Flut auf uns einströmender Reize.[1] Eine mögliche Folge: Stress.[2] Hohe Anspannung, eine niedrige Reizschwelle, zu viele Gedanken zur gleichen Zeit, sowie eine genervte Ungeduld mit sich selbst, als auch mit anderen – kennen Sie das? So oder auf ähnliche Weise kann sich Stress bemerkbar machen. Eine Möglichkeit zu entschleunigen und Ressourcen zu schöpfen bietet das Konzept der Achtsamkeit.

Ursprung und Definition von Acht-sam-keit

Der Ursprung der Achtsamkeit liegt in den östlichen Meditationswegen. Die Achtsamkeitspraxis ist ein wesentlicher Teil verschiedenster buddhistischer Richtungen, die sich in den letzten 2500 Jahren entwickelt haben. Die Wurzel des Achtsamkeitsbegriffes kommt aus dem Sanskrit und leitet sich aus dem Wort „sati“ ab, welches u.a. mit „Erinnerung“, „Bewusstsein“, „Aufwachen des Geistes“, „Klarheit des Geistes“ übersetzt werden kann.[3]

Eine oft zitierte Definition von Achtsamkeit (englisch: „mindfulness“) in der westlichen Forschung kommt von dem emeritierten Professor für Medizin und Begründer des Center for Mindfulness in Medicine, Health Care and Society Jon Kabat-Zinn. Er definiert Achtsamkeit als: “the awareness that emerges through paying attention on purpose, in the present moment, and nonjudgmentally to the unfolding of experience moment by moment.”[4]

7 Säulen der Achtsamkeit

Nach Kabat-Zinn können 7 Einstellungsfaktoren, welche die Hauptsäulen der Achtsamkeitspraxis bilden unterschieden werden. Diese Säulen der Achtsamkeit sind nicht getrennt voneinander zu betrachten, da sich die einzelnen Aspekte ergänzen und zueinander in Beziehung stehen.[5] Die Einstellungsfaktoren sind:

  1. „Nicht beurteilen“ – „Nicht beurteilen“ meint die wertungsfreie Ausrichtung des Geistes. Dies soll ermöglichen die Dinge mehr so zu sehen, wie sie tatsächlich sind und nicht so wie diese, zunächst aus einer durch Urteilsbildung entstandenen, verzerrten Perspektive, zu sein scheinen.[6]
  2. Geduld“ – Geduldig zu sein bedeutet nach Kabat-Zinn offen zu sein für jeden Moment. Es geht darum, den Moment in seiner Fülle anzunehmen, mit dem Wissen, dass alles im Leben seine eigene Zeit braucht um sich zu entfalten.[7]
  3. „Den Geist des Anfängers bewahren“ – Durch die Überzeugung alles oder bestimmte Dinge bereits zu kennen, besteht die Tendenz das Gewöhnliche für selbstverständlich zusehen, anstatt in dem Gewöhnlichen das Außergewöhnliche zu erkennen. Um die Fülle des Momentes wahrzunehmen ist es nach Kabat-Zinn von besonderer Bedeutung zu versuchen die Dinge so zu sehen, als wäre es das erste Mal. Letztlich ist jeder Moment einmalig.[8]
  4. „Vertrauen“ – In der Achtsamkeitspraxis geht es darum Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und zu lernen auf sich selbst zu hören und zu vertrauen. Kabat-Zinn sagt, umso mehr dieses Vertrauen in sich selbst aufgebaut wird, umso leichter wird es auch dieses Vertrauen anderen Menschen entgegenzubringen und das grundlegend Gute zu erkennen.[9]
  5. „Nicht-erzwingen“ – Anders als bei vielen anderen Aktivitäten geht es bei der Meditation nicht darum einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Das Ziel besteht darin ganz man selbst zu sein, sich achtsam darauf zu fokussieren, die Dinge so zu sehen und anzunehmen wie sie gerade sind. Mit Geduld und regelmäßiger Praxis, kann den Zielen näher gekommen werden ohne dies zu erzwingen.[10]
  6. „Annahme“ – „Annahme“ meint die Dinge (zum Beispiel: Kopfschmerzen, Übergewicht) erst einmal anzunehmen wie diese sind. Auf der anderen Seite geht es dabei nicht darum passiv zu werden und zu resignieren.[11]
  7. „Loslassen“ – „Loszulassen“ soll zum Ausdruck bringen, die Dinge so sein zu lassen wie sie sind. Das was ist anzunehmen, wie es ist und nicht an bestimmten Gedanken, Gefühlen, Situationen aus der Vergangenheit festzuhalten.[12]

Interventionen und Wirkung der Achtsamkeit

Einer der bekanntesten achtsamkeitsbasierten Interventionen ist die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-based Stress Reduction, MBSR), nach Jon Kabat-Zinn.[13] Inhalte der Interventionen sind unter anderen die 7 genannten Achtsamkeitssäulen.[14] Eine weitere gut untersuchte Intervention ist die Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (Mindfulness-based Cognitive Therapy; MBCT) von Segal, Williams und Teasdale (2013).[15] Die zusammengefassten Ergebnisse einer Meta-Analyse konnten zeigen, dass Stress, Depressivität und Ängstlichkeit bei gesunden Teilnehmenden signifikant reduziert werden konnten. Zudem gelang es die Lebensqualität positiv zu beeinflussen.[16] Innerhalb einer systematischen Übersichtsarbeit wurde die Wirkung der MBSR Intervention auf die psychische Gesundheit von Arbeitnehmern untersucht. Auf Basis der durchgeführten Analyse konnte zusammenfassend eine Reduktion von emotionaler Erschöpfung, Stress, psychischer Belastung, Depression, Angst und beruflichen Stress herausgestellt werden. Auf der anderen Seite wurde eine Verbesserung im Bereich des Achtsamkeitslevels, der persönlichen Leistung, des Selbstmitgefühls, der Schlafqualität und der Fähigkeit zu entspannen beobachtet.[17]

Fazit

Das Konzept der Achtsamkeit stellt eine Möglichkeit dar mit den Herausforderungen der heutigen Zeit umzugehen. Es besteht die Möglichkeit Ressourcen in einer Art „Singletasking“ zu schöpfen. Für Unternehmen bietet es sich an Achtsamkeitskurse, wie z.B. MBSR im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu etablieren. Jedem einzelnen steht es zudem frei sich außerhalb des Jobs mit dem Thema „Achtsamkeit“ auseinanderzusetzen. Um positive Wirkungen zu erzielen und ein tatsächliches Gefühl für Achtsamkeit zu entwickeln, ist eine gewisse Offenheit und Bereitschaft notwendig, Achtsamkeit selbst regelmäßig zu praktizieren und in sein Leben zu integrieren. Probieren Sie doch selbst bei der nächsten Gelegenheit – die wäre dann jetzt – Ihre Aufmerksamkeit für 3 Minuten bewusst auf Ihre Atmung zu richten, nehmen Sie Ihre Gedanken und Körperempfindungen wahr, halten Sie nicht daran fest, lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Ein- und Ausatmung. Hilfreich kann es sein sich die genannten Achtsamkeitssäulen immer wieder bewusst zu machen – sein Sie geduldig mit sich.

[1] Vgl. Dopfer (2019), S. 7.

[2] Vgl. Wohlers/Hombrecher (2016), S. 6.

[3] Vgl. Michalak et al. (2012), S. 8; Davids (1959), S. 672.

[4] Kabat-Zinn (2003), S. 145.

[5] Vgl. Kabat-Zinn (2013), S. 21.

[6] Vgl. Kabat-Zinn (2013), 21, 22.

[7] Vgl. Kabat-Zinn (2013), 23, 24.

[8] Vgl. Kabat-Zinn (2013), S. 24.

[9] Vgl. Kabat-Zinn (2013), 25, 26.

[10] Vgl. Kabat-Zinn (2013), 26, 27.

[11] Vgl. Kabat-Zinn (2013), 27, 28, 29.

[12] Vgl. Kabat-Zinn (2013), 29, 30.

[13] Vgl. Michalak et al. (2018), S. 426.

[14] Vgl. Kabat-Zinn (2013), S. 21.

[15] Vgl. Michalak et al. (2018), S. 426.

[16] Vgl. Khoury et al. (2015), S. 519.

[17] Vgl. Janssen et al. (2018), S. 1.

 

Literatur

Davids, T. W. R. (1959), The Pali Text Society’s Pali-English dictionary.

Dopfer, M. (2019), Achtsamkeit und Innovation in integrierten Organisationen. Ein Leitfaden für digitale Pioniere und bewusste Zukunftsgestalter.

Janssen, M./Heerkens, Y./Kuijer, W./van der Heijden, B./Engels, J. (2018), Effects of Mindfulness-Based Stress Reduction on employees‘ mental health: A systematic review, PloS one, 13. Jg., Nr. 1, e0191332.

Kabat-Zinn, J. (2003), Mindfulness-Based Interventions in Context: Past, Present, and Future, Clinical Psychology: Science and Practice, 10. Jg., Nr. 2, S. 144–156.

Kabat-Zinn, J. (2013), Full catastrophe living. Using the wisdom of your body and mind to face stress, pain, and illness, New York.

Khoury, B./Sharma, M./Rush, S. E./Fournier, C. (2015), Mindfulness-based stress reduction for healthy individuals: A meta-analysis, Journal of psychosomatic research, 78. Jg., Nr. 6, S. 519–528.

Michalak, J./Graser, J./Heidenreich, T. (2018), Achtsamkeit. In: Kohlmann, C.-W./Salewski, C./Wirtz, M. A. (Hrsg.), Psychologie in der Gesundheitsförderung, Bern, S. 425–436.

Michalak, J./Heidenreich, T./Williams, J. M. G. (2012), Achtsamkeit, Göttingen, Bern, Wien, Paris, Oxford, Prag, Toronto, Cambridge, Mass., Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm.

Wohlers, K./Hombrecher, M. (2016), Entspann Dich, Deutschland. TK-Stressstudie 2016, in: https://​www.tk.de​/​tk/​broschueren-und-mehr/​studien-und-auswertungen/​tk-stressstudie_​2016/​919764.

Bildquelle:

Statue Buddha Mönch – Kostenloses Foto auf Pixabay

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