By Published On: 28. September 2021Categories: Pädagogik, Psychologie

Wer kennt es als Student nicht? Der Spagat zwischen Studium und Freizeit. Pauken und Feiern. Bib und Sport. Bulimie-Lernen und Familie. Kindern und Freunden. Wenn es dann auch noch an einem selbst liegt, den Stundenplan der Vorlesungen zu gestalten und keinen vorgeschrieben zu bekommen, wird sich der eine oder andere an den Kopf fassen und fragen, wie das alles funktionieren soll – von der Integration des Nebenjobs in den Alltag ganz zu schweigen. Von den Umständen einer Pandemie oder anderweitiger herausfordernder Umwelteinflüsse mal ganz zu schweigen.
Es ist also kein Wunder, dass sich der Gesundheitsstatus der Studierenden in den vergangenen Jahren verschlechtert hat. Die Techniker Krankenkasse hat 2007 einen Gesundheitssurvey durchgeführt, in dem 3.306 Studierende von Universitäten und Fachhochschulen in Nordrhein-Westfahlen befragt wurden. Die Ergebnisse sind erschreckend: „Mehr als jeder Dritte gab an, unter Konzentrationsstörungen und Nervosität zu leiden, bei jedem Vierten kommen zudem noch Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen hinzu“ (Techniker Krankenkasse, 2007). Dazu kommt das vermehrte Auftreten von Prüfungsängsten, mangelndes Selbstwertgefühl und depressive Verstimmungen. Von 37% der Studierenden mit diesen Beschwerden im Jahr 1993, sind es 2008 schon 56% (Holm-Hadulla et al., 2009).
Aus der Studie der TK 2011, welche auch Medikamentenkonsum zwischen Personen in einem Arbeitsverhältnis und Studierenden verglichen hat, sind keine kausalen Zusammenhänge zwischen dem Studiensystem und einem Medikamentengebrauch ersichtlich. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass Reformen und der Druck, ein Studium in Regelstudienzeit zu absolvieren, ihren Beitrag dazu leisten, dass sich der Medikamentenkonsum erhöht hat (TK-Gesundheitsreport, 2011).

Interventionsprogramme für Studierende – adaptiv & nicht-adaptiv

Es wird deutlich, dass Angebote zur Stressbewältigung für Studierende immer wichtiger werden. Tatsächlich existieren vielfältige Interventionsprogramme zur Stressbewältigung, allerdings nur in den wenigsten Fällen auf die Zielgruppe Studierende angepasst (Seidl et al., 2016, Interventionsprogramme zur Gesundheit bei Studierenden). Auch für die meisten präventiven Stressbewältigungsprogramme gilt, dass der spezifische Lebenskontext der Studierenden gar nicht oder nicht zur Genüge fokussiert wird. Anders sieht es bei den vielfältigen Angeboten der Universitäten aus, die in Selbstmanagement-Modulen die Studierenden anleiten. Allerdings werden die Erfolge häufig nicht über Studien gemessen und dokumentiert. Dagegen existieren einige Studien zu nicht-adaptiven Stressbewältigungsprogrammen für Studierende wie die Studie von Thielmann et. al (2010) oder die Studie zum achtwöchigen Stressmanagement-Programm von Esch et al. (2012). Teilweise werden bereits bestehende Präventionsprogramme im Zuge der Studien an die Bedürfnisse der Studierenden angepasst (Seidl et al., 2016, Adaptierte Stressbewältigungsprogramme). Beispielhaft können das achtwöchige Trainingsprogramm Mindfulness-Based Coping with University Life (MBCUL) an der Universität Northhampton (Lynch et al., 2011), die sechswöchige Mind-Body-Maßnahme (Deckro et al., 2002) und das Stressimpfungstraining (Sheehy und Horan, 2004) genannt werden. Diese Studien zeigen eine positive Einflussnahme auf den Faktor Stress im Studienalltag. Jedoch ist anzumerken, dass kleine Gruppengrößen und/oder eine große Altersspanne die Repräsentativität der Ergebnisse mindert (Seidl et al., 2016, Adaptierte Stressbewältigungsprogramme).

Praxisorientiertes Stressbewältigungstraining

Seidl et al. (2016) haben mit diesem Background eine Studie für Studierende entwickelt, welche das Stressbewältigungstraining als reguläre Veranstaltung in den Hochschulen integrierte. Das Programm folgt einem multimodalen Ansatz zur Vereinigung von palliativ-regenerativen, instrumentellen und kognitiven Strategien zur Stressbewältigung. Zudem liegt dem Training ein kognitiv-verhaltenstherapeutischer Ansatz zugrunde, mit Orientierung an den Modellen von R. Lazarus (Lazarus,1966; Lazarus & Folkman, 1984) und A. Ellis (1979, 1997). Zudem werden die Qualitätskriterien von Kaluza (2014) aufgegriffen. In der Studie wurde „die Veränderung hinsichtlich der Variable subjektive Stressbelastung untersucht. Zum anderen wurde der Einfluss des Trainings auf weitere gesundheitsrelevante Parameter überprüft, die aus den Inhalten des Programms abgeleitet werden können“ (Seidl et al., 2016, Ziele der vorliegenden Studie). Bei den Parametern wurde besonderes Augenmerk auf „Prüfungsängstlichkeit, psychosomatische Beschwerden, depressive Symptomatik, Perfektionismus, subjektiv eingeschätzte Beanspruchungs-Erholungsbilanz, Selbstwert, Abschalten von der Arbeit/Erholungsfähigkeit und Ressourcen und Selbstmanagement“ (Seidl et al., 2016, Ziele der vorliegenden Studie) gelegt. Die Studierenden wurden jeweils vor und am Ende des Trainings via Fragebogen befragt. Es gab ein Training zu Beginn des Semesters und eines eineinhalb Monate später.
Da das Stressbewältigungstraining im Zuge eines Seminars abgehalten wurde, konnten praxisnahe Beispiele aus dem Leben der Studierenden einbezogen und die Selbstreflexion durch praxisorientierte Hausaufgaben angeregt werden. Der Transfer des Gelernten in den Studienalltag wurde damit ermöglicht. Außerdem wurde ein Autogenes Training (Schultz, 2004; Langen, 2005) fest in jede Seminareinheit eingebaut. Durch regelmäßige Hilfestellungen konnte die Entspannungstechnik peu à peu aufgebaut werden. Effektiv wurden zudem Prüfungsvorbereitung, Bewältigung von Prüfungsangst, mentales Stressmanagement und die Optimierung des Zeit- und Lernmanagements in das Training integriert (Seidl et al., 2016, Beschreibung des Interventionsprogramms).

Ergebnis

Eine richtige Verbesserung zeigte die Interventionsgruppe im Vergleich zur Warteliste für den Gesamtwert der Veränderung der Stressbelastung. Über alle erfassten Skalen hinweg zeigten die Ergebnisse eine sehr breite Verbesserung der gesundheitsrelevanten Parameter. Das bedeutet, dass in den gesamten erfassten Parametern eine stärkere Verbesserung in der Interventionsgruppe stattgefunden hat. Mittelstark wurden die Effekte für die Parameter Beanspruchung und Ressourcen/Selbstmanagementfähigkeiten, Abschalten von der Arbeit, Perfektionismus und Prüfungsangst eingestuft. Dagegen sind starke Effekte bei den Parametern Selbstwert und Erholung, psychosomatische Beschwerden und Depression zu verzeichnen. Es zeigt sich: Die Belastung der Studierenden wurde durch das Training reduziert.

Fazit

Stress für Studierende, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, ist von besonderer Art. Der Druck und das Bewusstsein, dass die aktuelle Leistung entscheidend für den Erfolg im späteren Berufsleben ist, ist allgegenwärtig. Umso wichtiger ist es, mit diesem Druck und Stress umzugehen. Stress- und Selbstmanagement in den aktiven Studienalltag zu integrieren und auch von Seiten der Hochschulen fest anzubieten, ist für ein erfolgreiches Studieren in der heutigen Zeit fast unumgänglich. Die beschriebenen Studien verfestigen diesen Eindruck. Allerdings ist nicht außer Acht zu lassen, dass die Quellen und Studien teilweise schon älter als fünf Jahre sind. Bei der Recherche für diesen Artikel wurden keine aktuelleren Studien gefunden. Wie der Gesundheitszustand der aktuellen Studierenden, gerade zu Zeiten einer Pandemie, ist, wird bislang wenig dokumentiert bzw. ist nicht öffentlich verfügbar. Es ist dennoch davon auszugehen, dass sich das Stresslevel der Studierenden in dieser Zeit nicht unbedingt verbessert hat und entsprechende (praxisnahe) Angebot auf vielen Ebenen sehr hilfreich sind und sein können.

Literatur

  • Deckro, G. R., Ballinger, K. M., Hoyt, M., Wilcher, M., Dusek, J. & Myers, P. et al. (2002). The evalutation of a mind/body intervention to reduce psychological distress and perceived stress in college students. Journal of American College Health, 50, S. 281-287.
  • Esch, T., Sonntag, U., Esch, S. M. & Thees, S. (2013). Stress management and mind-body medicine: A randomized controlled longitudinal evaluation of students‘ health and effects of a behavioral group intervention at a middle-sice german university (SM-MESH). Forschende Komplementärmedizin, 20, S. 129-137
  • Lynch, S., Gander, M.-L., Kohls, N., Kudjelka, B. & Walach, H. (2011). Mindfulness-based coping with university life: A non-randomized wait-list-controlled pilot evaluation, Stress and Health, 27, S. 365-375.
  • Holm-Hadulla, R. M., Hofmann, F.-H., Sperth, M. & Funke, J. (2009). Psychische Beschwerden und Störungen von Studierenden. Vergleich von Feldstichproben mit Klienten und Patienten einer psychotherapeutischen Beratungsstelle. Psychotherapeut, 54, S. 346-356.
  • Seidl, M.-H., Limberger, M. F., Ebner-Priemer, U. W. (2016). Interventionsprogramme zur Gesundheit bei Studierenden & Adaptierte Stressbewältigungsprogramme. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 24, S. 29-40. doi.org/10.1026/0943-8149/a000154.
  • Shehy, R. & Horan, J. J. (2004). Effects of stress inoculation training for 1st-year law students. International Journal of Stress Management, 11 (1), S. 41-55.
  • Techniker Krankenkasse (2007). Gesund studieren. Befragungsergebnisse des Gesundheitssurvey und Auswertungen zu Arzneimittelverordnungen. Veröffentlichungen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement der TK, 16.
  • TK-Gesundheitsreport (8. August 2011). Studieren geht an die Nerven. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 108, Heft 31-32.
  • Thielmann, B., Ackermann, E., Frommer, J. & Böckelmann, I. (2010). Beurteilung eines Stressbewältigungskurses für Studierende. Prävention und Gesundheitsförderung, 5, S. 282-288.
  • Beitragsbild (24.09.2021). read-3048651_1920. Image by Evgeni Tcherkasski from Pixabay.

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