By Published On: 30. September 2021Categories: Pädagogik, Psychologie

Mit zwei Kindern im Kindergartenalter erlebe ich Freundschaften generell und die Symmetrien und Differenzen ihrer Beziehungen zu anderen Kindern tagtäglich. Es ist ein spannender Umgang, der einen Erwachsenen im einen oder anderen Moment zusammenzucken lässt. Aussagen wie „Du bist nicht mehr mein:e Freund:in!“ und „Ich spiele nie wieder mit dir!“ fallen beinahe jeden Tag. Dazu kommt rüpelhaftes Verhalten, weil ein sozialer und höflicher Umgang erst im sozialen Gefüge und mit der Zeit gelernt wird.

Spannende Beobachtungen

Bei dieser Art der Interaktion ist der Einfluss solcher recht groben Verhaltensweisen auf die Beziehung zwischen den Kindern besonders spannend. Denn einen Einfluss auf die Güte der Freundschaft hat es scheinbar nicht. Die Kinder haben sich dennoch lieb und spielen nach 5 Minuten Funkstille wieder mit aller aufbringbarer Zuwendung miteinander. Eine Freundschaft im Kindesalter ist definitiv von einer anderen Art als eine Erwachsenen-Freundschaft. Ist dies nur die Beobachtung einer psychologieinteressierten Mutter oder lässt sich diese Hypothese verallgemeinern und verifizieren?

Theoretischer Background

Mit so vielen Eltern auf der Welt ist es nicht verwunderlich, dass auch schon andere diese Beobachtung gemacht haben. Gleiches gilt für entsprechende Studien. Simon et al. veröffentlichten 2021 eine Studie zu „Aushandlungen und Konflikte[n] in Peer-Beziehungen aus Sicht von Kindern in Kindertageseinrichtungen“.
In dieser Studie wurden Kinder u. a. nach ihren Beziehungen zu anderen Kindern der Peer-Gruppe und Konflikten befragt. Tatsächlich können Kinder auch schon im Kindergartenalter die Freundschaften, die in einem institutionellen Kontext aufgebaut wurden, thematisieren, rekonstruieren und verbalisieren. Zudem sind sie dazu im Stande, schwierige Konfigurationen und Ambivalenzen zu identifizieren und zu reflektieren. Es wird von den Kindern zwischen einer konflikthaften Disharmonie und dem Erhalt einer Freundschaft abgewägt. Die Austarierung zwischen den kollektiven und den individuellen Bedürfnissen sind gewiss nicht leicht, dennoch fließen in die verbale Thematisierung der Kinder die Erfahrung von sozialer Ungleichheit und asymmetrische Beziehungserfahrungen bei Spielpraktiken mit ein (Simon et al., 2021). Viernickel (2000) und Nontwig-Gesemann et al. (2020) postulieren in ihren Studien, dass für Kinder die Gemeinschaft, Konflikte und das Spiel zentrale Themen in ihren Wahrnehmungen und ihrem Erleben sind. Die oben genannten Befunde werden also auch von Viernickel und Nontwig-Gesemann et al. bestätigt.
Werden diese Befunde mit jenen von Tomasello (2011) in Zusammenhang gebracht, nämlich, „dass Kinder in Interaktionen auch auf Solidarität abzielen, sich gegenseitig helfen und unterstützen“, ist erkennbar, dass Kinder lieber den Kürzeren ziehen und ihre eigenen Interessen hintenanstellen, als dass das Fundament einer Freundschaft unter einem Konflikt leidet. Gleichsam werden die Differenzen in der Interaktion reflektiert und als ungerecht verbalisiert (Simon et al., 2021) – das ändert jedoch nichts an der Handlung und dem Aufrechterhalten der Freundschaft.

Fazit

Persönliche Meinung: Wie ich das sehe, können sich so manche Erwachsene davon eine Scheibe abschneiden.


Allgemein hat die Recherche meine Grundannahme bestätigt, dass Kommunikation für Beziehungen auch schon im Kindesalter eine enorme Bedeutung hat. Die Kinder in der Studie von Simon et al. (2021) waren freudig bereit, über ihre (negativen) Erfahrungen und ihr Empfinden in den entsprechenden Situationen zu reden. Das beobachte ich auch bei meinen eigenen Kindern täglich. Kinder sind schon früh dazu fähig, zu reflektieren und auch den Standpunkt des Gegenübers einzunehmen – wenn man sie lässt und darin fördert. Sie erkennen Symmetrien und Differenzen in den Beziehungen ihrer Peer-Gruppe und haben Spaß daran, sich in der Kommunikation zu üben und die Möglichkeit der positiven Auseinandersetzung mit ihnen und ihren Konflikten zu erhalten. Spannend sind diese Erkenntnisse also für alle Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel und Erzieher:innen, die das Phänomen der kindlichen Freundschaft auch schon einmal beobachtet haben.

Literatur

  • Nentwig-Gesemann, I., Bakels, E., Walther, B. & Munk, L.-M. (2020). Kinder als Akteure in Qualitätsentwicklung und Forschung. Eine rekonstruktive Studie zu KiTa-Qualität aus der Perspektive von Kindern. Gütersloh: Bertelsmann.
  • Simon, S., Lochner, B. & Thole, W. (2021). Freundschaften, Symmetrien und Markierungen von Differenz. Frühe Bildung, 10, S. 73-79. Hogrefe Verlag. https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000514.
  • Tomasello, M. (2011). Warum wir kooperieren. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Viernicke, S. (2000). Spiel, Streit, Gemeinsamkeit. Einblicke in die soziale Kinderwelt der unter Zweijährigen. Landau: Empirische Pädagogik.
  • Beitragsbild (24.09.2021). stick-kids-5995514_1920. Bild von Prawny auf Pixabay.

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