By Published On: 28. September 2021Categories: Gesundheit

Lebst Du, um zu arbeiten oder arbeitest Du um zu leben? Die eine Lebensweise vermischt sich in einer dynamischen Welt sehr schnell mit der anderen. Eine Balance zwischen der Arbeit und den anderen Lebensbereichen herzustellen, ist darum nicht leicht. Durch das vermehrte Arbeiten an außergewöhnlichen Orten, abhängig von den Umständen auch Homeoffice oder mobiles Arbeiten genannt, erscheint eine Abgrenzung zwischen den Bereichen immer weniger möglich. Die Frage, ob eine Abgrenzung überhaupt sinnvoll ist, ist noch mal eine ganz andere.

Der Output

Im Zuge der Corona-Pandemie hat das Homeoffice eine steigende Popularität erfahren. Vorgesetzte schauen vermehrt auf erbrachte Ergebnisse und nicht mehr vorwiegend auf Arbeitszeiten (Möhring et al., 2020). Eine Abgrenzung wird damit zusehends schwerer. Stattdessen erleben wir eine Entgrenzung der klassischen Verhältnisse. Entgrenzung bedeutet hier die „zunehmende Dynamisierung der bestehenden (begrenzenden) Strukturen der Arbeit“ (Pannier & Fath-Bühler, 2021). Die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter wird im Zuge der Entgrenzung erhöht, wodurch neue Innovations- und Flexibilitätspotentiale freigesetzt sowie Kosteneinsparungen erreicht werden (Kleemann & Voß, 2018). Die tatsächliche Leistung, der Output, und weniger die Arbeitszeit wird gemessen (Poethke et al., 2019). Wie gut das bei den einzelnen Mitarbeitern funktioniert, ist stark von der Persönlichkeit und der Arbeitsweise abhängig. Dieses Modell funktioniert bei vielen Menschen sehr gut und kann die Effizienz bei einigen Mitarbeitern sehr steigern. Auf der anderen Seite kann die Entgrenzung für Mitarbeiter kontraproduktive Auswirkungen haben, da viele Individuen mit festen Strukturen und Vorgaben besser arbeiten können als ohne sie. Es kann zu einer Überforderung führen (Böhle, 2018; Rump & Eilers, 2017).

Poethke et al. (2019) gehen davon aus, dass sich die Arbeitszeit erhöht, sofern die Mitarbeiter zunehmend an ihrem Output gemessen werden. Daraus können mehrere Begleiterscheinungen resultieren. Zunächst sind Mitarbeiter fast dazu gezwungen ihre Arbeitszeit auszudehnen, sofern sie die vorgegebenen Ziele in der regulären Arbeitszeit nicht schaffen. Zum anderen kann eine Erholungsunfähigkeit entstehen, sofern die Mitarbeiter nicht lernen, sich von der Arbeit zu lösen und auch im Homeoffice „Feierabend“ zu haben und sich gedanklich von der Arbeit zu distanzieren (Hassler et al., 2013). Fehlt die gedankliche Distanzierung, ist das ein Indiz für suchtartiges Arbeiten (Hägerbäumer, 2017).

Suchtartiges Arbeiten

Suchtartiges Arbeiten wurde bereits um 1950 öffentlich diskutiert und wurde häufig Männern im Management zugeschrieben (Der Spiegel, 1958). Allerdings können Männer und Frauen jeden Alters und Berufs gleichwohl darunter leiden (Städele & Poppelreuter, 2009). Problematisch bei suchtartigem Arbeiten ist es, dass eine erfolgreiche Karriere oder eine erfolgreiche Ausführung des Jobs per se für (soziale) Anerkennung in der Gesellschaft sorgt (Rademacher, 2017). Anders als bei anderen Süchten, ist das Feedback meist positiv, was dafür sorgt, dass diese Art der Sucht bislang auch in der Therapeutik nicht anerkannt ist (Arbeitssucht – was ist das?, n. d.).
Nun kann die Sucht zu arbeiten, genauso wie jede andere Sucht, negative Folgen für das Individuum selbst und sein soziales Umfeld mit sich bringen. Hinzu kommen negative Folgen für das Unternehmen des süchtigen Arbeitnehmers (Städele & Poppelreuter, 2009).

Persönlichkeitsfaktoren

Es stellt sich die Frage, ob es Persönlichkeitsfaktoren gibt, die exzessives Arbeiten im Zuge einer Verhaltenssucht begünstigen. Andreassen et al. (2013) zeigten in ihrer Studie, dass Neurotizismus in einem signifikanten Zusammenhang zum suchtartigen Arbeiten, definiert anhand der klassischen Süchte, steht. Pannier & Fath-Bühler (2021, S. 125-126) bestätigen ebenfalls den signifikanten Zusammenhang zwischen dem Persönlichkeitsfaktor Neurotizismus und einem suchtartigen Arbeiten. Sie sehen außerdem einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Alter der Studienteilnehmer und der Arbeitssucht wie auch zwischen dem Ausmaß der Entgrenzung und der Arbeitssucht. Auch wenn ein Zusammenhang zwischen Neurotizismus und suchtartigem Arbeiten besteht, scheint dies das Ausmaß der Entgrenzung zur Arbeit nicht zu beeinflussen. Letzteres wurde noch in keiner weiteren Studie untersucht, was die Validität dieser Aussage schwächt.
Aus der Studie geht nicht hervor, ob suchtartiges Arbeiten durch die Entgrenzung hervorgebracht wird, oder ob sich Individuen mit einer Arbeitssucht entsprechende Arbeitsstellen suchen (ebd.). Was die Studie jedoch hervorbringt, ist ein Zusammenhang zwischen der Entgrenzung und der geleisteten Wochenstundenanzahl (ebd.). Poethke et al. (2019) vermuteten diesen Zusammenhang bereits. Die reine geleistete Wochenstundenanzahl steht wiederum im Zusammenhang mit einer Arbeitssucht. Inwiefern Betroffene folgend unter Erholungsunfähigkeit leiden, geht aus der Studie wiederum nicht hervor.

Ergebnis

Auch wenn Neurotizismus und die Entgrenzung der Arbeit eine Rolle für eine Arbeitssucht spielen, wurden keine signifikanten Interaktionseffekte gefunden. „Der Persönlichkeitsfaktor Neurotizismus, das Alter der Personen und die Entgrenzung der Arbeit klären insgesamt 29% der Varianz bei suchtartigem Arbeiten auf. Die Güte der Vorhersagekraft des statistischen Modells nimmt bei zusätzlicher Berücksichtigung der beruflichen RahmenbedingungEntgrenzung der Arbeit zu“ (Pannier & Fauth-Bühler, 2021, S. 127). Da die Studie von Pannier & Fauth-Bühler nicht repräsentativ für alle Erwerbstätigen in Deutschland ist, wäre eine weiterführende Studie sicherlich sehr spannend und sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber interessant. In einer ähnlichen Studie wurde herausgefunden, dass vor allem jüngere Erwerbstätige im Alter von 18 bis 45 Jahren unter suchtartigem Arbeiten leiden. Individuen zwischen 46 und 58 Jahren leiden laut Andreassen et al. (2014) weniger unter suchtartigem Arbeiten.

Schlussfolgerung/Empfehlung

Schon vor der Corona-Pandemie wurde das Homeoffice zu einem immer populäreren Modell. Jetzt ist es aus vielen Arbeitsmodellen kaum noch wegzudenken. Umso wichtiger ist der bewusste Umgang mit Einflussfaktoren wie der Entgrenzung der Arbeit und eine einheitliche Diagnose eines suchtartigen Arbeitens. Eine Sensibilisierung für Mitarbeiter und Führungskräfte ist für einen verantwortungsvollen Umgang notwendig. Auch Schulungen können dabei helfen, bei Erkennung der Symptome schnell handlungsfähig zu sein (Pannier & Fauth-Bühl, 2021). Also reflektieren einmal: Lebst Du um zu arbeiten oder arbeitest Du um zu leben?

Literatur

  • Arbeitssucht – was ist das? (n. d.). Techniker Krankenkasse. Aufgerufen am 18.08.2021. https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/sucht/arbeitssucht-2015932?tkcm=ab.
  • Böhle, F. (2018). Arbeit und Belastung. In F. Böhle, G. G. Voß & G. Wachtler (Hrsg.), Handbuch Arbeitssoziologie – Band 2: Akteure und Institutionen, 2. Auflage (S. 59-98). Wiesbaden: Springer.
  • Der Spiegel (10. Juni 1958). Manager-Krankheit – Der chemische Herztod. Der Spiegel, S. 54. Aufgerufen am 18.06.2021. https://www.spiegel.de/politik/der-chemische-herztod-a-7079870c-0002-0001-0000-000041762184?context=issue.
  • Hägerbäumer, M. (2017). Risikofaktor Präsentismus – Hintergründe und Auswirkungen des Arbeitens trotz Krankheit. Wiesbaden: Springer.
  • Hassler, M., Rau, R., Hupfeld, J. & Paridon, H. (2013). Auswirkungen von ständiger Erreichbarkeit und Präventionsmöglichkeiten. Dresden: Zukunft der Arbeit GmbH.
  • Möhring, K., Naumann, E., Reifenscheid, M., Blom, A. G., Wenz, A. & Rettig, T. (2020). Die Mannheimer Corona-Studie: Schwerpunktbericht zu Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung (Arbeitspapier). Universität Mannheim. Aufgerufen am 18.08.2021. https://madoc.bib.uni-mannheim.de/55139/.
  • Pannier, M. & M. Fauth-Bühl (2021). Suchtartiges Arbeiten: Persönlichkeitsfaktoren und berufliche Rahmenbedingungen. SUCHT, 67, S. 121-130. https://doi.org/10.1024/0939-5911/a000710.
  • Kleemann, F. & Voß, G. G. (2018). Arbeit und Subjekt. In F. Böhle, Voß, G. G. & Wachtler G. (Hrsg.), Handbuch Arbeitssoziologie – Band 2: Akteure und Institution. 2. Auflage (S. 15-58). Wiesbaden: Springer.
  • Poethke, U., Klasmeier, K. N., Diebig, M., Hartmann, N. & Rowold, J. (2019). Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung zentraler Merkmale der Arbeit 4.0. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 63, S. 129-151.
  • Rademacher, U. (2017). Arbeitssucht – Workaholismus erkennen und verhindern. Wiesbaden: Springer.
  • Rump, J. & Eilers, S. (2017). Arbeit 4.0 – Leben und Arbeiten unter neuen Vorzeichen. In J. Rump & S. Eilers (Hrsg.), Auf dem Weg zur Arbeit 4.0 (S. 3-78). Berlin: Springer.
  • Städele, M. & Poppelreuter, S. (2009). Arbeitssucht – Neuere Erkenntnisse in Diagnose, Intervention, Prävention. In D. Batthyány & A. Pritz (Hrsg.), Rausch ohne Drogen – Substanzungebundene Süchte (S. 141-161). Wien: Springer.
  • Beitragsbild (24.09.2021). coffee-1869820_1920. Bild von Pexels auf Pixabay.


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