By Published On: 4. November 2021Categories: Pädagogik

Einleitung

Kindererziehung ist keine einfache Aufgabe. Am liebsten wollen wir nur unsere guten Eigenschaften und Gewohnheiten an unsere Kleinen weitergeben. Kinder lernen aber nicht durch das, was wir ihnen erzählen, sondern durch das, was wir ihnen vorleben. Warum das so ist, erklärt die sozialkognitive Lerntheorie „Lernen am Modell“ von Bandura.

Sozialkognitive Lerntheorie von Bandura

Beobachtungslernen (auch: Modelllernen oder Imitationslernen) bedeutet, dass ein Individuum sich aufgrund von Beobachtung des Verhaltens anderer und der darauf folgenden Konsequenzen neue Verhaltensweisen aneignet oder schon bestehende in Richtung des Modellverhaltens verändert. Als Modell gelten dabei reale Personen, verbale Instruktionen, Filme und auch Bücher (Meszaros, 2000). Um Beobachtungslernen zu erklären formulierte Bandura (1977) die sozialkognitive Lerntheorie. Bandura postulierte vier Faktoren, die determinieren, ob ein Beobachter das Verhalten eines anderen imitieren wird: Aufmerksamkeit, Gedächtnis, motorische Reproduktionsfähigkeit und Motivation. Für die Akquisition, also das Erlernen von Verhaltensweisen, sind besonders Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozesse bedeutsam. Beobachtungslernen setzt zunächst voraus, dass der Beobachter das Verhalten des Modells mit genügend Aufmerksamkeit einspeichert. Bandura nennt verschieden Variablen, die die Auslenkung der Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Modells erleichtern, z.B. Auffälligkeit, Komplexität oder Neuigkeit. Für die Wiedergabe des beobachteten Verhaltens sind Gedächtnisprozesse selbstverständlich wichtig. So wird die Gedächtnisleistung für das beobachtete Verhalten verbessert, wenn die Erinnerung durch sprachliche Repräsentationen unterstützt wird. Bandura nahm dabei an, dass gelerntes Imitationsverhalten keine exakte, detailgetreue Abbildung der beobachteten Handlung ist, sondern eher die Anwendung von abstrakten Handlungsplänen, die durch Beobachtungen erschlossen wurden. Damit das Gelernte auch gezeigt wird spielen motorische Reproduktionsfähigkeit und Motivation eine Rolle. Der Lerner muss also das Gelernte prinzipiell auch ausführen können (motorische Reproduktionsfähigkeit) und es muss eine entsprechende Motivation bzw. Verstärkungserwartung vorliegen (Bak, 2019, S. 43). Unter Verstärkung sind hier positive Konsequenzen, wie Lob oder Belohnungen, zu verstehen. Wichtig dabei zu beachten ist, dass eine Verstärkung für neues Lernen nicht erforderlich ist. Selbst wenn Beobachter erfahren, dass das Verhalten eines Modells zu negativen Konsequenzen führt, lernen sie dieses Verhalten, wenden es aber nur dann an, wenn sie erwarten dadurch selbst positive Konsequenzen herzustellen. Laut Bandura kann Beobachtungslernen auf drei verschiedene Arten Ausdruck im Verhalten finden. Erstens ein neues Verhalten wird durch Beobachten gelernt. Zweitens findet durch Beobachtung eine Hemmung oder Enthemmung von Verhalten statt, wenn ein Modell für ähnliches Verhalten belohnt oder bestraft wird. Drittens bewirkt die Beobachtung von Verhalten die Bahnung von ähnlichem Verhalten, d.h. das Beobachten des Modellverhaltens ist ein Auslöser dafür, dass ähnliches Verhalten gezeigt wird (Kiesel & Koch, 2012, S. 76-78).

Das Bobo-Doll-Experiment

Ausgangslage für Banduras Vorstellungen war unter anderem das sogenannte Bobo-Doll-Experiment (Bandura, Ross & Ross,1963). In dieser Studie sahen Kinder Filme, in der ein Erwachsener eine Puppe, die Bobo-Doll, schlug und beschimpfte. Der Film endete mit drei verschiedenen Varianten. Erstens eine Person kommt hinzu und lobt den Erwachsenen für sein Verhalten. Zweitens die hinzukommende Person bestraft den Erwachsenen für sein Verhalten. Drittens der Film endet, ohne dass eine Reaktion auf das Verhalten des Erwachsenen erfolgt (Ittel, Raufelder & Scheithauer, 2014, S. 343). Anschließend wurden die Kinder in einen anderen Raum gebracht, der zahlreiche Spielmöglichkeiten anbot, darunter auch die Bobo-Doll. Was sich nun zeigte war, dass Kinder, die eine Belohnung für das aggressive Verhalten beobachteten, anschließend mit größerer Wahrscheinlichkeit auch zu aggressivem Verhalten gegenüber der Puppe neigten als die, die eine Bestrafung beobachteten. Kinder, die nur ein unspezifisches Ende des Films erlebt hatten, zeigten aggressive Verhaltensweisen, die den Kindern der ersten Gruppe ähnlich waren. Demgegenüber zeigten Kinder der Kontrollgruppe, die kein aggressives Verhalten gesehen haben, diese Reaktion nicht. Die Kinder haben also ein neues Verhalten durch reine Beobachtung gelernt und sobald die Gelegenheit dazu bestand, auch angewendet (Bak, 2019, S. 42).

Wie übernehmen Kinder Verhaltensweisen ihrer Eltern?

Nachahmungseffekte spielen in sozialen Zusammenhängen eine große Rolle. In neuen Umgebungen und Kontexten orientieren wir uns an dem Verhalten anderer (Bak, 2019, S. 41). In klinischen Kontexten dient das Beobachtunglernen dazu, die Entstehung von Störungen und problematischen Verhaltensweisen zu erklären. Beobachtet ein Kind bspw., dass die eigene Mutter beim Anblick einer Spinne erschrickt und panisch reagiert, kann dadurch beim Kind ähnliches Vermeidungsverhalten und Angst entstehen. Weiterhin wird Modelllernen herangezogen, um unterschiedliches Suchtverhalten wie Rauchen, Alkoholismus oder Drogenmissbrauch zu erklären (Kiesel & Koch, 2012, S. 78). Kinder lernen durch das Beobachten anderer, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten können oder sollen. Man könnte auch sagen, sie lernen Drehbücher oder Skripte für bestimmte Kontexte. Je häufiger sie Personen bei bestimmten Handlungssequenzen beobachten, umso schneller und einfacher sind die Handlungsskripte verfügbar. Je eher die aktuelle Situation der Lernsituation entspricht, in der das Skript ursprünglich gelernt wurde, umso wahrscheinlicher ist es, dass es zur skriptgemäßen Handlungsausführung kommt (Bak, 2019, S. 43).

Eine optimale Lernumgebung

Die sozialkognitive Lerntheorie kann auch als Grundlage dafür dienen, eine optimale Lernumgebung für Kinder zu implementieren. So muss zunächst die Akquisition von Lerninhalten sichergestellt werden. Lerninhalte sollten mit Aufmerksamkeit bedacht werden. Dies kann bspw. dadurch erreicht werden, dass Lernende darauf hingewiesen werden, dass sie im Folgenden etwas Neues erfahren werden. Auch eine Änderung der Lernumgebung kann zum Neuigkeitsempfinden und dadurch zu erhöhter Aufmerksamkeit führen. Die Lerninhalte sollten darüber hinaus ein mittleres Komplexitätsniveau besitzen. Sind sie zu einfach, wird die Aufmerksamkeit möglicherweise auf andere Dinge gerichtet. Sind sie zu schwer, reicht die Aufmerksamkeit vielleicht nicht aus, um alles Wichtige zu erfassen. Zudem spielen motivationale Faktoren eine Rolle. Hohe Motivation wird etwa durch das Erzeugen persönlicher Relevanz oder auch emotionaler Faktoren, wie Spaß und Freude beim Lernen, erzeugt. Um Kinder dazu zu bringen, das Gelernte anzuwenden, muss das Ergebnis relevant bzw. entsprechend mit Verstärkungserwartungen assoziiert sein. Schließlich sollten die Lerninhalte an die Fähigkeiten des Lernenden angepasst sein, d.h. das Kind sollte prinzipiell in der Lage sein, das zu Lernende auch ausführen zu können (Bak, 2019, S. 44).

Fazit

Beobachtungslernen und Imitation sind bedeutsame Lernmechanismen, da sie automatisch und ohne Lernintention ständig ablaufen. Die sozialkognitive Lerntheorie Banduras beschreibt vier Faktoren, die Lernen und Nachahmungsverhalten fördern. Diese Faktoren entscheiden darüber, ob beobachtetes Verhalten gelernt und nachgeahmt wird. Als Eltern ist es in der Kindererziehung wichtig darauf zu achten, welche Verhaltensskripte wir unseren Kindern vorleben. Kinder beobachten unser Verhalten automatisch und adaptieren es, insbesondere wenn positive Konsequenzen beobachtet werden. Wollen wir unseren Kindern also das Nicht-Rauchen vermitteln, bringt es meist nicht viel, es lediglich zu verbieten. Vielmehr sollten wir ihnen negative Konsequenzen des Rauchens vor Augen führen und selbst das Vorbild des Nicht-Rauchers sein.  

Literatur

Bak, P.M. (2019). Modelllernen. In: Lernen, Motivation und Emotion. Angewandte Psychologie Kompakt. Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59691-3_3

Bandura, A. (1977). Social Learning Theory. New York: General Learning Press.

Bandura, A., Ross, D., & Ross, S. A. (1963). Imitation of film-mediated aggressive models. The Journal of Abnormal and Social Psychology, 66(1), 3–11.

Ittel, A., Raufelder, D. & Scheithauer, H. (2014). Soziale Lerntheorien. In: Ahnert L. (eds.). Theorien in der Entwicklungspsychologie. Berlin, Heidelberg: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-642-34805-1_13

Kiesel A., Koch I. (2012). Beobachtungslernen – Lernen am Modell. In: Lernen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93455-6_7

Meszaros K. (2000). Modelllernen. In: Stumm G., Pritz A. (eds.). Wörterbuch der Psychotherapie. Wien: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-211-99131-2_1183

Beitragsbild:

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