Bei einigen Kindern zeigen sich auffällige Schwierigkeiten bezüglich des Lesens- und / oder Schreibenlernens. Die Schwierigkeiten sind dabei weder auf externe Faktoren wie mangelhaften Unterricht oder Milieufaktoren zurückzuführen. Man geht davon aus, dass etwa 4-6% der Population betroffen sind. Statistisch gesehen sind das ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse.[1]
Verlauf
Die Schwierigkeiten beim Lesen zeigen sich zu Beginn der Schulzeit häufig durch Verwechselungen sowie Verzögerungen beim Benennen der Buchstaben. Die Betroffenen haben Probleme, gelesene Wörter wiederzuerkennen und laut vorzulesen. Infolgedessen kommt es zum Auslassen, Vertauschen, Verdrehen oder Hinzufügen von Wortteilen oder ganzen Wörtern. Hinzukommt eine signifikant reduzierte Lesegeschwindigkeit. Der gesamte Prozess des Lesenlernens ist somit durch eine hohe Anstrengung und Aufmerksamkeit geprägt. Schwierigkeiten in der Rechtschreibung zeigen sich durch Buchstabenverdopplung oder Drehungen sowie Wahrnehmungsprobleme, welche sich durch Verwechselungen von Lauten z.B. d/t, g/k, b/p bemerkbar machen.[2]
Diagnostik
Die Lese- und Rechtschreibschreibschwäche (Synonyme: Legasthenie) zählt zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen und ist in der ICD-10 unter F81 gelistet. Zeigen sich die Probleme nur in der Rechtschreibung, wird von einer isolierten Rechtschreibstörung F81.1 ausgegangen. Kommt zu einer Lese- und Rechtschreibschwäche eine Beeinträchtigung der Rechenleitung (Dyskalkulie) hinzu, spricht man von einer kombinierten Störung F81.3. Zur Diagnose einer Lese- und Rechtschreibschwäche müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
∙ Die normale Aneignung von Fertigkeiten ist vom frühen Entwicklungsalter an beeinträchtigt
∙ Die Ursache ist nicht an einer erworbenen Hirnschädigung zu verorten
∙ Optische oder akustische Beeinträchtigungen müssen ausgeschlossen sein
∙ Die Problematik darf nicht durch eine Intelligenzminderung (IQ muss über 70 liegen) bedingt sein
∙ Mängel an Gelegenheiten zum Lernen dürfen nicht vorliegen
∙ Es muss eine klinische signifikante Beeinträchtigung spezieller schulischer Fertigkeiten vorliegen[3]
Eine Lese- und Rechtschreibschwäche beeinträchtigt die Persönlichkeitsentwicklung. Auf der einen Seiten zeigen betroffene Kinder häufig Psychosomatische Probleme wie z.B. Bauchschmerzen und auf der anderen Seite manifestieren sich negative Glaubensätze „ich bin zu dumm für die Schule“ etc. Beide Effekte üben einen negativen Einfluss auf die weitere Schulische- und Persönlichkeitsentwicklung aus. Des Weiteren ist eine hohe Komorbidität mit anderen Verhaltensauffälligkeiten u.a. die Aufmerksamkeitsdefizits- / Hyperaktivitätsstörung zu beobachten. Eine Differenzialdiagnose ist wichtig, da tägliche negative Schulische Erfahrungen Verhaltensauffälligkeiten ähnlich die einer AD(H)S auslösen können.[4]
Ursachen und Einflussfaktoren
Es wird angenommen, dass zum einen genetische Faktoren, neurophysiologische Besonderheiten und zum anderen Störungen in der Informationsverarbeitung Ursachen der Lese-Rechtschreibschwäche sind. Zusätzlich können psychosoziale Bedingungen, z.B. familiäre Belastungen die Entstehung einer Lese-Rechtschreibschwäche begünstigen.[5]
Schulerfolg
Es zeigt sich, dass der Schulerfolg betroffener Kinder weit hinter dem ihrer Mitschüler ohne einer Lese-Rechtschreibschwäche liegt. Etwa 3% der betroffenen Kinder besuchen nach der Grundschule das Gymnasium, ¼ die Realschule und die Hälfte der Kinder wechselten auf die Hauptschule. Auf eine Förderschule mussten 1/6 der betroffenen Kinder wechseln. In Folge des geringen Schulerfolgs ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit um den Faktor 3 (12% vs.4%) von Jugendarbeitslosigkeit zu rechnen.[6]
Behandlungsmöglichkeiten
Eine Lese-Rechtschreibschwäche wird in der Regel mit durch lerntherapeutische Maßnahmen behandelt, welche die betroffenen Bereiche fördert. Zu Beginn wird im Rahmen der Diagnostik ermittelt, welche Schwierigkeitsbereiche vorliegen. Im Fall einer Rechtschreibschwäche kann das betroffene Kind u.a. durch das Erlernen lautorientierten Schreibens oder durch die Vermittlung von Regelwissen (z.B. Groß- und Kleinschreibung) unterstützt werden.[7] Bei einem gezielten Lesetraining ist darauf zu achte, dass häufig vorkommende Wörter und Wortbausteine vielfach behandelt werden, damit sich betroffene Kinder diese auch einprägen können. Allerdings ist noch unklar, ob dieses Vorgehen in wiederholtem Lesen von Texten oder in Form von psycholinguistisch strukturierten Wortlisten erfolgen soll. Liegen aufgrund der negativen Schulischen Erfahrungen psychosomatische Beschwerden oder eine Schul- und Prüfungsangst vor, empfiehlt sich ergänzend eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen.[8]
Fazit
Eine Lese-Rechtschreibschwäche zählt zu den an den häufigsten diagnostizierten Entwicklungsstörungen im Schulalter. Betroffene Kinder weisen ein sehr langsames Lesetempo und/oder eine Vielzahl von Rechtschreibfehler auf. Interventionsmöglichkeiten bieten symptomorientierte Behandlungsprogramme, welche den Fokus auf eine Verbesserung der schriftsprachlichen Ausübung setzen.[9]
[1] Vgl. Schneider, Margraf (2009), S. 396
[2] Vgl. Mähler, Jörns, Radtke, Schuchardt (2015), S. 455
[3] Vgl. Schmid (2004), S. 1112
[4] Vgl. Schneider, Margraf (2009), S. 397
[5] Vgl. Lohaus, Vierhaus (2019), S. 325
[6] Vgl. Schmid (2004), S. 1115
[7] Vgl. Lohaus, Vierhaus (2019), S.325
[8] Vgl. Schneider, Margraf (2009), S. 404,405
[9] Vgl. Schneider, Margraf (2009), S. 408
Quellen
Lohaus, A. / Vierhaus, M. (2019), Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für Bachelor, Berlin: Springer Verlag GmbH Deutschland
Mähler, C. / Jörns, C. / Radtke, E. / Schuchardt, K. (2015), Chancen und Grenzen eines Trainings des Arbeitsgedächtnisses mit und ohne Lese-/ Rechtschreibschwierigkeiten, in ZfE Erziehungswissenschaften, Online publiziert am 1.Juli 2015, Wiesbaden: Springer Fachmedien
Schmid, R.G. (2004), Lese- und Rechtschreibstörung, in Monatszeitschrift Kinderheilkunde 10, Online publiziert am 10.September 2004, Heidelberg: Springer Medizin Verlag
Schneider, S. / Margraf, J. (2009), Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Heidelberg: Springer Medizin Verlag
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