„Sieh es doch mal positiv“, „Don’t worry, be happy“, „Alles passiert aus einem bestimmten Grund“ oder „Es könnte schlimmer sein“. Diese Sätze kennen wahrscheinlich alle. Doch ist es gut, immer positiv zu denken, auch wenn eigentlich gerade negative Gefühle überwiegen?
Optimismus und seine Folgen
Optimismus ist ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Optimistische Menschen gehen immer von einem positiven Ergebnis aus, auch wenn der Weg, um das positive Ergebnis zu erreichen, noch nicht genau feststeht. In verschiedenen Forschungsstudien wurden überwiegend positive Folgen von Optimismus gefunden (Lübke, 2016, S. 143). So gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen Optimismus und dem psychischen Wohlbefinden, der physischen Gesundheit und der Zufriedenheit im Allgemeinen. Außerdem haben optimistische Menschen bessere Fähigkeiten was das Coping angeht, also besser mit Problemen umzugehen (Carver, Scheier & Segerstrom, 2010, S. 883). Zusätzlich fördert Optimismus proaktives Verhalten. Dinge werden also schneller angepackt und bewältigt (Lübke, 2016, S. 143).
Laut Gillham und Reichvich (2004) kann übertriebener Optimismus allerdings auch dazu führen, dass die Realität verzerrt wird und ggf. Gefahren unterschätzt werden (Lübke, 2016, S. 143). Damit zusammenhängend gibt es den optimistic bias. Dieser beschreibt eine Verzerrung, die Wahrscheinlichkeit negativer Ereignisse zu unterschätzen (Nicolle, Symmonds & Dolan, 2011, S. 401). Die eigenen Stärken werden überschätzt, die anderer unterschätzt. Personen mit einem sehr hohen Optimismuslevel neigen daher dazu, sich weniger über die eigenen Gefahren und Risiken zu informieren (Radcliffe & Klein, 2002, S. 844). Zusätzlich führt zu viel Positivität zu Beziehungsproblemen und langfristig zu Isolation, da eine Person für andere Menschen unauthentisch wirkt, wenn sie nie etwas Negatives erzählt. Auch Mitmenschen finden es mit der Zeit schwierig, negative Emotionen mitzuteilen, da ihnen das Gefühl gegeben wird, dass nur positive Emotionen zugelassen sind und es schon nicht so schlimm ist, wie man sich gerade fühlt. Das Missverständnis für Mitmenschen in schwierigen Situationen kann dazu führen, dass sich diese von der übertrieben positiven Person abwenden (Qunitero & Long, 2019).
Unterdrückung von Gefühlen
Was an zu viel Positivität und Optimismus ebenfalls problematisch ist, ist die Unterdrückung negativer Gefühle. Emotionen und Gefühle sind dazu da, uns die notwendige Motivation und Energie zu geben, die wir brauchen, um bestimmte Handlungen auszuführen (Barnow, 2018, S. 12).
Eine Studie von Gross und Levenson (1997) zeigte, dass die Unterdrückung von Emotionen auch dazu führt, dass körperliche Veränderungen, die normalerweise mit Emotionen einhergehen, nicht auftreten. In dieser Studie wurde ein lustiger Film gezeigt. Eine Gruppe wurde angeleitet zu versuchen, Emotionen zu unterdrücken, während die andere Gruppe das nicht tun sollte. Die Gruppe, die die Emotionen versucht hat zu unterdrücken, hat weniger gelacht und zeigte ebenfalls weniger körperliche Aktivität als die andere Gruppe. Der Film wurde folglich als weniger lustig empfunden. Außerdem wurde festgestellt, dass bei den Personen, die die Gefühle unterdrückt haben, die sympathische Aktivität des kardiovaskulären Systems höher war als in der anderen Gruppe. Dies deutet auf ein höheres Stresslevel hin (Gross & Levenson, 1997, S. 101).
Die Unterdrückung negativer Emotionen wie z. B. Trauer, beseitigt diese nicht und führt somit auch nicht zu einem besseren Empfinden. Vielmehr behindert es die erfolgreiche Bewältigung von Gefühlen. V. a., wenn die Unterdrückung der Gefühle schon chronisch und nicht flexibel in Abhängigkeit des sozialen Umfelds ist, wird dadurch die kognitive Verarbeitung und die Anpassung gestört. Des Weiteren lässt die Gefühlsunterdrückung keine Fremdinterpretation des eigenen Wohlbefindens zu. Auch die Kommunikation zwischen Menschen wird durch Unterdrückung der Emotionen beeinflusst. Wenn jemand negative Gefühle gegenüber einer anderen Person hat, diese jedoch unterdrückt, weiß die andere Person nicht, wie sie sich verhalten muss, um die Situation zu verbessern, z. B. sich zu entschuldigen (Gross & Levenson, 1997, S. 102). Ford, Lam, John und Mauss (2018) haben in einer anderen Studie herausgefunden, dass die Akzeptanz von negativen Emotionen, ohne sich dabei selbst schlecht zu machen, zu einer höheren psychischen Stabilität führt. Psychische Stabilität beinhaltet dabei die Lebenszufriedenheit und depressive oder ängstliche Symptome. Die Personen, die das Vorhandensein negativer Emotionen also akzeptieren, sind psychisch stabiler, als diejenigen, die die negativen Gefühle unterdrücken oder ablehnen (Ford et al., 2018, S. 1085).
Emotionsregulation
Es ist nicht immer hilfreich, negative Emotionen sofort rauszulassen, speziell, wenn es sozial unerwünschte Emotionen sind, um die Gefühle anderer Menschen nicht zu verletzen und Konflikte sowie eine negative Bewertung der eigenen Person zu vermeiden (Brandstätter, Schüler, Puca & Lozo, 2018, S. 233–234). Besser ist es, die Emotionen angemessen zu regulieren. Emotionsregulation nach Gross (1998, S. 275) beschreibt den Prozess, bei dem Menschen beeinflussen, welche Emotionen sie haben, wann sie sie haben und wie sie diese Emotionen wahrnehmen und ausdrücken. Eine angemessene Emotionsregulation zeigt sich dadurch, dass Emotionen und Gefühle zuerst gespürt und akzeptiert werden. Erst dann kann entschieden werden, wie damit umgegangen wird (Barnow, 2018, S. 53–54). Toxisch positive Menschen akzeptieren aber erst gar nicht, dass negative Gefühle vorhanden sind, was zu Vermeidung und somit den beschriebenen Folgen führt.
Fazit
Optimismus hat in vielerlei Hinsicht positive Auswirkungen. Wenn jedoch nur noch positive Emotionen zugelassen und die negativen unterdrückt werden, vermehren sich negative Folgen für sich selbst und auch für das soziale Umfeld. Daher ist eine angemessene Emotionsregulation sehr wichtig. Der Druck zum positiven Denken wird derzeit v. a. durch die sozialen Medien verstärkt. Es sollte sich öfter bewusst gemacht werden, dass negative Gefühle normal sind und auch einen Zweck haben.
Literaturverzeichnis
Barnow, S. (2018). Gefühle Im Griff! Wozu man Emotionen braucht und wie man sie reguliert (3., korrigierte Auflage). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54637-6
Brandstätter, V., Schüler, J., Puca, R. M. & Lozo, L. (2018). Motivation und Emotion. Allgemeine Psychologie für Bachelor (Springer-Lehrbuch, 2. Auflage). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56685-5
Carver, C. S., Scheier, M. F. & Segerstrom, S. C. (2010). Optimism. Clinical Psychology Review, 30(7), 879–889. https://doi.org/10.1016/j.cpr.2010.01.006
Ford, B. Q., Lam, P., John, O. P. & Mauss, I. B. (2018). The psychological health benefits of accepting negative emotions and thoughts: Laboratory, diary, and longitudinal evidence. Journal of Personality and Social Psychology, 115(6), 1075–1092. https://doi.org/10.1037/pspp0000157
Gross, J. J. (1998). The Emerging Field of Emotion Regulation: An Integrative Review. Review of General Psychology, 2(3), 271–299. https://doi.org/10.1037/1089-2680.2.3.271
Gross, J. J. & Levenson, R. W. (1997). Hiding feelings: The acute effects of inhibiting negative and positive emotion. Journal of Abnormal Psychology, 106(1), 95–103. https://doi.org/10.1037/0021-843X.106.1.95
Lübke, R. (2016). Optimismus. In D. Frey (Hrsg.), Psychologie der Werte. Von Achtsamkeit bis Zivilcourage – Basiswissen aus Psychologie und Philosophie (S. 137–147). Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-48014-4_12
Nicolle, A., Symmonds, M. & Dolan, R. J. (2011). Optimistic biases in observational learning of value. Cognition, 119(3), 394–402. https://doi.org/10.1016/j.cognition.2011.02.004
Qunitero, S. & Long, J. (The Psychology Group Fort Lauderdale, Hrsg.). (2019). Toxic Positivity: The Dark Side of Positive Vibes. Zugriff am 11.03.2022. Verfügbar unter: https://thepsychologygroup.com/toxic-positivity/
Radcliffe, N. M. & Klein, W. M. P. (2002). Dispositional, Unrealistic, and Comparative Optimism: Differential Relations with the Knowledge and Processing of Risk Information and Beliefs about Personal Risk. Personality and Social Psychology Bulletin, 28(6), 836–846. https://doi.org/10.1177/0146167202289012
Beitragsbild
Stachowiak, P. (2021). Frau Konfetti funkelt Blondine: pixabay. Zugriff am 19.03.2022. Verfügbar unter: https://pixabay.com/de/photos/frau-konfetti-funkelt-blondine-6318447/