By Published On: 29. Januar 2023Categories: Meine Hochschule und mein Studium

Design Thinking – das ist doch die „Hipster“-Variante des Brainstormings, oder? 

Seit 20 Jahren kommt dieser Designansatz zum Einsatz, um innovative Produkte in der Konsum- und Techindustrie zu entwickeln (Beckman, 2020, S. 145). Unsere Faszination und die weite Nutzung werfen die Frage auf: Kann Design Thinking mehr als unseren Konsum zu optimieren? 

Bill Burnett und Dave Evans beantworten diese Frage mit einem klaren „Ja!“. 

An der Stanford-Universität lehren sie basierend auf den Prinzipien des Design Thinking den Kurs „Designing your Life“, um Erwachsenen bei der Gestaltung des eigenen Lebens- und Karrierewegs zu helfen (Burnett & Evans, 2016).

Jobzufriedenheit und Work-Life-Balance

In der globalen, digitalen Welt von heute ist die breite Auswahl an Berufen, Lebenspartnern und Lifestyles durchaus mit einem komplexen Designproblem vergleichbar. 

Insbesondere die Karrierewahl kann junge Menschen verunsichern. Zudem hat Jobzufriedenheit für jüngere Generationen einen höheren Stellenwert als für ihre Eltern und Großeltern (Ali & Imran, 2020). Diese hängt vor allem von der Work-Life-Balance ab (Wenger, 2015) und davon, inwiefern die eigenen Erwartungen erfüllt werden (Kong, Wang & Fu, 2015). Wenn die Jobzufriedenheit sinkt, wechseln junge Menschen schnell den Job oder Arbeitgeber (Ivanović & Ivančević, 2019). Dies verursacht mitunter hohe Kosten für Unternehmen durch häufigen Personalwechsel (Nolan, 2015). 

Eine klare Vision für den beruflichen Werdegang lohnt sich folglich nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Wirtschaft.

Das Leben im 21. Jahrhundert zeigt viele Optionen auf und gleicht häufig einem Designproblem. Bild von Arek Socha auf Pixabay.

Wie hilft Design Thinking?

Design Thinking verspricht laut Burnett und Evans (2016) Abhilfe durch besseres Planen, Abwägen und Umsetzen von Karriere- und Lebensentscheidungen.

Ursprünglich von David Kelly entwickelt, beschreibt Design Thinking einen mehrphasigen, kognitiven Prozess (Wrigley, Nusem & Straker, 2020, S. 126). Das Modell von Beckmann und Barry (2007), welche Design Thinking als Lernerfahrung betrachten, eignet sich zur Veranschaulichung. 

DieDesign Thinking Phasen. (Quelle: Eigene Übersetzung nach Beckmann & Barry, 2007)

Die Phasen des Design Thinking

Am Anfang des Design Thinking steht eine Frage. Diese kann lauten: Wie kann die Produkterfahrung unserer Verbraucher verbessert werden? Oder aber auch: Wie kann ich meinen Berufsweg so gestalten, dass ich meine Interessen voll entfalten kann, aber auch ein ausgeglichenes Leben führe?

Phase 1 („Observe and Notice“) zielt hierbei auf ein tiefes und breites Verständnis des Nutzers des Produkts oder der Lösung ab. In dieser Phase soll die Designergruppe viele Fragen stellen, frei und ohne Einschränkungen denken. In unserem Beispiel ist folglich Selbstreflexion gefragt: Welche Werte motivieren mich beruflich wie privat? Wie stelle ich mir mein Leben idealerweise in 20, 30, 40 Jahren vor? 

In Phase 2 („Frame and Reframe“) werden Trends und Muster in den Antworten erkannt, sortiert und die zugrundeliegende Problemstellung identifiziert. Beispiel: Wie kann ich Medizin studieren, aber ein geregeltes Familienleben ohne Schichtdienst führen?

Phase 3 („Imagine and Design“) erfordert dann Zusammenarbeit und Kreativität zur Ideen- bzw. Lösungsfindung. Beispiel: Durch kreatives Denken erforscht man verschiedene, konventionelle und unkonventionelle Optionen. Diese könnten eine Anstellung in einer Familienpraxis oder Teilzeit, akademische Forschung oder auch Medizinjournalismus als alternative Karrierewege umfassen.

Die letzte Phase, Phase 4 („Make and Experiment“), beschreibt die Entwicklung, Testung und Anwendung von Prototypen. Beispiel: Im Gespräch mit Medizinern mit konventionellen und unkonventionellen Berufswegen testet man nun an, wie sich ihre Berufs- und Lebensmodelle für einen persönlich anfühlen. Durch diese „Prototypenentwicklung“ werden eigene Testerfahrungen geschaffen. Gedankenexperimente werden angeregt.

Der Innovationstrichter – die Offenheit für neue Erfahrungen, Meinungen, Perspektiven und Ideen – öffnet und schließt sich mit jeder Phase, bis sich zwei bis drei vielversprechende Optionen herauskristallisieren. Dieser Prozess ist, wie oben abgebildet, nicht linear, sondern erlaubt Schleifen (Beckman, 2020).

Neue Denkwege für die richtige Entscheidung

Was können wir daraus mitnehmen? 

Design Thinking ermöglicht angewandt auf eigene Lebensfragen, sich zu fokussieren und den Ideen zugleich freien Lauf zu lassen, wie man sein Leben gestalten kann und will. Der Mensch ist ein rationalisierendes Wesen. Bei zu vielen Handlungsoptionen tendieren wir gemäß des Free-Choice-Paradigmas dazu, unter Entscheidungsstarre und FOMO („Fear of Missing Out“) zu leiden. Bewusstsein, kritisches Denken und vor allem Umdenken sind gefragt, um solche Starren zu überwinden (Atkins & Murphy, 1993). 

Der Design-Prozess lädt genau dazu ein.

Er ermöglicht Selbsterkenntnis durch Reflexion, Selbstwahrnehmung, Erleben, Beobachtung oder Gespräche mit anderen. Durch den strukturierten Prozess werden auch Überlegungen zu schwer zu erkennenden Einflussfaktoren wie sozialen Erwartungen, Autoritäten und Gruppendruck möglich. Auf diese Weise kann man auch relativ unbeeinflusst hinderliche Umstände oder widersprüchliche Gedanken, auch kognitive Dissonanz genannt, durchdenken (Fischer, Jander & Krueger, 2018, S. 146). 

Mehr als die Summe seiner Teile

Design Thinking kann also als Denkschablone Klarheit über die eigenen Lebensziele schaffen. Wir durchlaufen hypothetische Szenarien und erleben, welche Gedanken und Emotionen diese in uns auslösen, bevor wir uns festlegen. Design Thinking regt damit neues Denken an und lässt auch abwegige Ideen und Lösungsoptionen, Innovation, zu. 

Quasi- und experimentelle Studien belegen, dass eine planende Bewusstseinslage das Erreichen eines Ziels wahrscheinlicher macht, da sie unsere Informationsverarbeitung und unser Selbstbild entsprechend ausrichten. Dieser Effekt tritt insbesondere dann ein, wenn das Ziel unwahrscheinlich erscheint, aber stark erwünscht ist – bspw. ein zunächst abwegig erscheinender Lebenstraum. Auf diese Weise wird Aufmerksamkeit gebündelt. Wir entwickeln mehr Durchhaltevermögen und blicken dem Ziel optimistischer entgegen (Armor und Taylor, 2003; Achtziger und Gollwitzer, 2018, S. 369-371).

Angesichts der hohen Anzahl an Handlungsoptionen und dem ständigen Informationsfluss lässt sich heutzutage fast vergessen, dass wir der Designer unseres eigenen Lebens sind. Design Thinking verspricht Abhilfe, indem individuelle Bedürfnisse in den Mittelpunkt gestellt werden und ein dynamischer, aber strukturierter Denkprozess unser Bewusstsein erweitert und uns erlaubt, Lösungen zu schaffen. 

Neugierig? Erfahren Sie hier mehr und probieren Sie es aus! 


Literatur

Achtziger, A., & Gollwitzer, P. M. (2010). Motivation und Volition im            Handlungsverlauf. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und           Handeln (S. 277-300). Berlin: Springer. 

Ali, S., & Imran, R. (2020). Quality of Work Life and Life Satisfaction of Millennials: Examining the Mediating Role of Job Satisfaction. Journal of Managerial    Sciences, 14, 44-59.

Armor, D. A. & Taylor, S. E. (2003). The effects of mindset on behavior: The         regulation in deliberative and implemental frames of mind. Personality and             Social Psychology Bulletin, 29, 86-95.

Atkins, S., & Murphy, K. (1993). Reflection: a review of the literature. Journal of    Advanced Nursing, 18, 1188-1192.

Beckman, S. L. (2020). To Frame or Reframe: Where Might Design Thinking Research    Go Next? California Management Review, 62(2), 144-162.

Beckman, S. L. & Barry, M. (2007). Innovation as a Learning Process: Embedding           Design Thinking, California Management Review50(1), 25-56.

Burnett, B., & Evans, D. (2016). Designing Your Life: How to Build a Well-Lived, Joyful Life. New York: Alfred A. Knopf.

Fischer, P., Jander, K. & Krueger, J. (2018). Sozialpsychologie für Bachelor. Berlin:         Springer.

Ivanović, T., & Ivančević, S. (2019). Turnover Intentions and Job Hopping among Millennials in Serbia. Journal of Sustainable Business & Management Solutions in         Emerging Economies24(1),53-62. 

Kong, H., Wang, S., & Fu, X. (2015). Meeting career expectation: Can it enhance job       satisfaction of Generation Y? International Journal of Contemporary Hospitality       Management, 27(1), 147-168.

Nolan, L. S. (2015). The Roar of Millennials: Retaining Top Talent in the    Workplace. Journal of Leadership, Accountability & Ethics, 12(5), 69-75.

Wenger, E. R. (2015). Balance Is Key to Career Satisfaction for     Millennials. Pennsylvania CPA Journal, 86(1), 5-6.

Wrigley, C., Nusem, E., & Straker, K. (2020). Implementing Design Thinking:        Understanding Organizational Conditions. California Management Review,             62(2), 125-143.

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