„lieben sie kinder mehr als ihnen lieb ist?“ lautete der Slogan, der im Jahr 2005 erstmalig auf vielen Werbeflächen erschien. Sein Ursprung findet sich im Forschungsprojekt „Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch im Dunkelfeld“, das an der Berliner Charité durchgeführt wird und Menschen mit pädophiler Neigung auf ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot aufmerksam machen soll (Beier et al., 2007, S. 33). Im Jahr 2011 wurde dieser Ansatz über Berlin hinaus erweitert. Im Rahmen des Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ finden sich nun bundesweit 13 Anlaufstellen, die Betroffenen helfen sollen, mit ihrer Neigung leben zu lernen. Das Ziel des Projekts ist, direkte und indirekte sexuelle Übergriffe auf Kinder zu verhindern, wozu auch der Konsum von Kinderpornografie gehört (Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, 2022a; Zypries, 2021, S. 155).
Was ist Pädophilie?
Pädophilie ist eine Störung der Sexualpräferenz und wird definiert als eine „anhaltende oder dominierende sexuelle Präferenz für eines oder mehrere Kinder vor deren Pubertät“ (Fromberger, Jordan & Müller, 2013, S. 1125). Eine weitere Sexualpräferenzstörung bezeichnet die Hebephilie. Sie bezieht sich auf ein sexuelles Interesse an Kindern und Jugendlichen, die sich in der Pubertät befinden. Die dominierende Präferenz muss mit wiederholt auftretenden sexuellen Fantasien, sexuellem Drang oder Verhalten einhergehen und mindestens sechs Monate bestehen. Zudem müssen Betroffene nach diesem Drang gehandelt haben, interpersonelle Schwierigkeiten oder anhaltenden Distress aufweisen. Neben dem Wunsch nach sexueller Lustbefriedigung spielt auch der Beziehungsaspekt eine bedeutende Rolle. Schließlich ergibt sich für einen Großteil der Betroffenen ein erheblicher Leidensdruck, weil das Ausleben der gewünschten Sexualität nicht möglich ist (Fromberger et al., 2013, S. 1125-1126; Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, 2022b; Marx, Subic-Wrana & Beute, 2019, S. 120).
Pädophilie ist nicht gleich sexueller Kindesmissbrauch
Sexueller Kindesmissbrauch ist in §176 des Strafgesetzbuchs streng definiert und wird strafrechtlich verfolgt und bestraft. Hierzu gehören z. B. sexuelle Handlungen an und vor einem Kind oder das Abspielen kinderpornografischer Inhalte (Bundesministerium der Justiz, 2022). Eine pädophile Neigung ist nicht strafbar. Um jedoch zu verhindern, dass diese einer Straftat vorausgeht, ist eine gute Verhaltenskontrolle unabdingbar. Letztlich ist zu erwähnen, dass nur eine Minderheit der straffällig gewordenen Personen aus pädophiler Motivation gehandelt hat (Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, 2022b).
Präventionsnetzwerk Kein Täter werden – Therapieverlauf
Die Präventionsambulanz, die von sexualmedizinisch weitergebildeten Beratern betreut wird, ist entweder per E-Mail oder Telefon erreichbar. Betroffene können hier (anonym) Kontakt aufnehmen und erste Informationen und Beratungstermine einholen. Anschließend erfolgt eine Einladung zum Erstgespräch. Das Erstgespräch birgt folgende Bedingungen: Betroffene müssen sich „selbst als pädo-/hebephil identifizieren, motiviert […] sein, am Projekt teilzunehmen“ (Marx et al., 2019, S. 121) und Leiden aufgrund der Neigung aufweisen. Des Weiteren darf kein laufendes Strafverfahren vorliegen. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, folgt eine vertiefte Diagnostik, bei der komorbide Diagnosen ermittelt werden. Im Anschluss daran werden Betroffene in eine Therapiegruppe aufgenommen (Marx et al., 2019, S. 121).
Die wöchentlich stattfindende Gruppentherapie erstreckt sich über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren und weist einen strukturierten Behandlungsplan auf, der sexualwissenschaftliche, psychotherapeutische, psychologische, medizinische und auch medikamentöse Ansätze integriert. Weiterhin kann die Therapie in eine Einzeltherapie umgewandelt werden oder unter der Einbeziehung von Angehörigen stattfinden. Im Allgemeinen wird daran gearbeitet, „die sexuelle Präferenz zu akzeptieren und in das Selbstbild zu integrieren, die sexuellen Wünsche und Bedürfnisse angemessen wahrzunehmen und zu bewerten, fremdgefährdende Entwicklungen zu identifizieren und zu bewältigen […] [sowie] Strategien zur Verhinderung von sexuellen Übergriffen zu erlernen.“ (Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, 2022c)
Evaluation des Projekts
11.374 Personen hatten sich bis Ende 2020 bei den Anlaufstellen gemeldet und um Hilfe gebeten (Zypries, 2021, S. 155). Im Rahmen einer Nachuntersuchung sollte nun herausgefunden werden, ob die Therapie eine nachhaltige Verhaltensänderung bewirkt. Hierfür wurden 56 Probanden rekrutiert, wobei mindestens die Hälfte einen sexuellen Übergriff auf Kinder oder Jugendliche hinter sich hat. Durchschnittlich 15 Monate nahmen die Teilnehmer an der Therapie teil. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung, die mehrere Jahre nach Therapieende stattfand, gaben 55 der 56 befragten Teilnehmer an, keine weitere Straftat begonnen zu haben. Bei rund 98% der Teilnehmer konnte somit eine nachhaltige Verhaltenskontrolle erreicht werden (Beier et al., 2018, S. 51-52).
Fazit
Im Rahmen der Therapie sollen effektive Verhaltensstrategien vermittelt werden, die den Betroffenen helfen sollen, ihre Sexualität zu akzeptieren, mit ihr zu leben und die sexuellen Impulse gegenüber Kindern oder Jugendlichen zu kontrollieren. Wie die Nachuntersuchung zeigt, mit Erfolg. Das Projekt „Kein Täter werden“ wirkt somit nicht nur dem Tabuthema Pädophilie deutlich entgegen, sondern hilft auch dabei, Betroffenen eine Perspektive zu zeigen und Sexualverbrechen vorzubeugen.
Hilfreiche Webseiten:
- Online-Selbsthilfeprogramm „Troubled Desire“
- Kein Täter Werden – Standorte und Kontaktdaten
Literaturverzeichnis
Beier, K., Gieseler, H., Ulrich, H., Scherner, G. & Schlinzig, E. (2018). Das Berliner Präventionsprojekt Dunkelfeld. In: Beier, K. (Hrsg.), Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch (S. 45-58). Berlin: Springer. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-56594-0
Beier, K., Schaefer, G., Goecker, D., Neutze, J. & Ahle, C. (2007). Das Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD). BERLINER ÄRZTE, 7, 32-35.
Bundesministerium der Justiz (2022). Strafgesetzbuch (StGB) § 176a. Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind. Zugriff am 11.08.2022. Verfügbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__176a.html
Fromberger, P., Jordan, K. & Müller, J. (2013). Pädophilie. Nervenarzt, 84, 1123-1135. DOI: 10.1007/s00115-013-3805-9
Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin (2022a). Hilfe für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Zugriff am 11.08.2022. Verfügbar unter https://www.kein-taeter-werden.de/
Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin (2022b). Häufig gestellte Fragen. Zugriff am 10.08.2022. Verfügbar unter https://www.kein-taeter-werden.de/haeufig-gestellte-fragen/
Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin (2022c). Was ist Pädophilie? Was ist Hebephilie? Zugriff am 10.08.2022. Verfügbar unter https://www.kein-taeter-werden.de/fuer-angehoerige/#faq
Marx, C., Subic-Wrana, C. & Beute, M. (2019). Klinische Merkmale der Inanspruchnehmer einer Präventionsambulanz für Pädophilie. Psychotherapeut, 64, 120–126. DOI: https://doi.org/10.1007/s00278-019-0342-4
Zypries, B. (2021). Zehn Jahre Präventionsnetzwerk Kein Täter werden. Sexuologie, Zeitschrift für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft, 28, 153-280.
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