1995 überfiel McArthur Weeler in Pittsburgh am helllichten Tag zwei Bankfilialen. Er tat dies allerdings ohne Tarnkleidung und noch am selben Tag konnte man sein Gesicht in den Fernsehnachrichten sehen. Wenig später wurde er zu seinem Erstaunen von der Polizei verhaftet, war er sich doch sicher, man würde ihn nicht erkennen, da er sich vorher sein Gesicht mit Zitronensaft eingerieben hatte. Die Fruchtsäure lässt Tinte unsichtbar werden und Weeler ging davon aus, dass dieser Effekt auch auf den Kamerabildern eintreten würde.
Die Psychologen David Dunning und Justin Kruger griffen diesen Fall als Paradebeispiel für eine Studie auf und untersuchten diese Art der Selbstüberschätzung wissenschaftlich. Dabei zeigte sich bei Teilnehmern, die eher schlecht abschnitten, häufig die Tendenz, sich deutlich zu überschätzen. Auch nachdem sie die Ergebnisse der tatsächlich erfolgreichen Teilnehmer erhielten, waren sie oft weiterhin überzeugt, eine gute Leistung erbracht zu haben. Dieser Effekt der systematischen kognitiven Verzerrung wird seitdem als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet und manifestiert sich wie folgt:
- Menschen, die wenig kompetent sind, tendieren dazu, ihre Fähigkeiten regelmäßig zu überschätzen
- Sie erkennen zudem nicht die eigene Inkompetenz
- Sie verharren in ihrer Fehleinschätzung und somit in ihrer Inkompetenz
- Sie unterschätzen diejenigen, die tatsächlich Kompetenz aufweisen (Kruger & Dunning 1999, S. 1122)
Dunning und Kruger stellten fest, dass diese Personen in ihrer Metakognition eingeschränkt sind, also der Fähigkeit zu wissen, wie gut die eigene Leistung ist und wann man wahrscheinlich richtig oder falsch liegt. Daraus folgt, dass die Erkenntnis und damit die Voraussetzung für eine Selbstverbesserung gar nicht vorhanden ist. Betroffen ist davon auch die Fähigkeit zum analytischen Denken, politische Debatten seien deswegen oft sinnlos (Pennycook et al. 2017, S. 1774) (Pennycook et al. 2017, S. 1783).
Gleichzeitig stellten Dunning-Kruger in ihrer Studie fest, dass kompetente Personen ihre Leistung hingegen häufig unterschätzten und sie erst dann realistisch bewerten konnten, wenn sie in Relation zu den Leistungen Anderer gestellt wurden. Der Dunning-Kruger-Effekt beruht somit auf einer fehlerhaften Selbst- und Fremdeinschätzung (Kruger & Dunning 1999, S. 1122). Selbsteinschätzung ist die Einschätzung der eigenen Person in Bezug auf positive und negative Eigenschaften (Gölzner & Meyer 2018, S. 338), Fremdeinschätzung dagegen beschreibt die Einschätzung anderer Personen (Gölzner & Meyer 2018, S. 339).
Folgen des Dunning-Kruger Effekts
Der Dunning-Kruger-Effekt sagt nichts über die allgemeine Intelligenz der einzelnen Personen aus und er tritt eher in konkreten Kompetenzfeldern auf, in denen Wissen gleichzeitig zu Kompetenz führt. Dort wo Wissen nicht automatisch zu Kompetenz führt, ist Selbstüberschätzung selten. So verstehen zwar genügend Personen Fußball-Strategien und Techniken, können diese aber physisch nicht in ebendieser Kompetenz umsetzen (Kruger & Dunning 1999, S. 1132). Selbstüberschätzung wird gefördert durch Heuristiken. Diese unterstützen die Entscheidungsfindung anhand von Daumenregeln, mit denen versucht wird, komplizierte Probleme möglichst schnell und einfach zu lösen (Fischer et al. 2018, S. 36).
Kahneman hat dies mit der WYSIATI-Regel („What You See Is All There Is“) erklärt (Kahneman 2012). Danach nutzen Personen bei der Beurteilung von Situationen nur Informationen, die ihnen leicht verfügbar sind, ein subjektives Bild ergeben und eine konsistente Geschichte bilden. Fehlende Informationen, die nicht offensichtlich sind, aber mit denen ein fundierteres Urteil möglich wäre, werden nicht mit einbezogen. Daher denken Menschen, Sachverhalte zu verstehen, die sie aber wegen der verfügbaren Information gar nicht verstehen können und kommen daher zu falschen Urteilen (Weimann 2022, S. 75–76).
Joachim Weimann, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Magdeburg, beschreibt den Effekt der WYSIATI Regel unterhaltsam anhand persönlicher Erfahrungen in Klima-Diskussionen: „nachdem ich mich jetzt seit 45 Jahren professionell (…) mit Ökonomik und seit 30 Jahren mit dem Emissionshandel beschäftigt habe, denke ich schon eine gewisse Expertise mitzubringen – zumindest, wenn es um das Verständnis von Märkten geht. Meine Diskussionspartnerinnen waren dagegen zumeist nicht ökonomisch vorgebildet – was sie nicht daran hinderte, sich selbst zu attestieren, dass sie den Emissionshandel durch und durch verstanden hätten. Selbstüberschätzung kann schon sehr mächtig sein.“ (Weimann 2022, S. 79)
Männer neigen offenbar tendenziell mehr zur Selbstüberschätzung als Frauen (Benesch et al. 2021, S. II). Allerdings verteilt sich der Dunning-Kruger-Effekt auf alle Altersstufen gleichmäßig
Surft man durch die Kommentarspalten von Online-Medien oder Social-Media-Plattformen scheint es, als würde der Dunning-Kruger Effekt allgegenwärtig sein: viel Meinung, wenig Wissen. Dies wird zusätzlich noch befeuert durch algorithmenbasierte Informationsfilterung. Suchmaschinen, Nachrichtenportale und Social-Media-Seiten zeigen uns vorrangig Informationen, die uns interessieren und in unser Weltbild passen. So entstehen Filterblasen, die kritische Inhalte ausblenden und Nutzer in ihrer individuellen Meinungswelt bestätigen. Daraus entstehende Gruppen definieren so ihre eigenen Wahrheiten und bestärken sich zusätzlich gegenseitig darin. Solche Echokammern führen weiter zu einer Polarisierung der Gesellschaft und stellen eine Gefährdung für die Demokratie dar (Zoglauer 2021, S. 8–9).
Was tun?
„Das Gegenmittel gegen Dummheit – und damit auch geistige Verführbarkeit – ist Bildung!“ (Kreutzer 2020, S. 92–93). Dies kann erweitert werden auf das Erlernen von sozialen Kompetenzen (emotionaler Intelligenz, Selbstreflexion, Kritikfähigkeit, Lernbereitschaft), denn so kann die nicht kompetente Person zu einer realistischen Selbsteinschätzung kommen und dann auch offen für Bildung und echtem Wissenserwerb sein (Luerweg 2020). Der Weg zu Kompetenz führt außerdem über die verschiedenen Lernstufen, die im Modell der Kompetenzstufenentwicklung beschrieben sind (Gölzner & Meyer 2018, S. 343–345).
- Unbewusste Inkompetenz:
Die Person kann die eigenen Defizite nicht erkennen. Sie weiß nicht, wie etwas zu tun ist und es ist ihr nicht bewusst, dass sie dies nicht weiß
- Bewusste Inkompetenz:
Die Person kennt die eigenen Defizite und die damit verbundenen Auswirkungen, weiß aber keinen Lösungsweg.
- Bewusste Kompetenz:
Die Person weiß, was erforderlich ist, um ein Problem zu lösen, sie muss sich aber stark darauf konzentrieren, um das erlernte Wissen anzuwenden.
- Unbewusste Kompetenz:
Die Person hat so viel praktische Erfahrung mit ihren Fähigkeiten, dass diese jederzeit problemlos abgerufen werden können.
Eine weitere Empfehlung könnte angemessenes, konstruktives Feedback sein, damit sich die nicht kompetente Person nicht herabgewürdigt fühlt und sich abwendet und ein Selbstwerttraining, um psychologischen Abwehrreaktionen (wie z.B. kognitiven Dissonanzen) vorzubeugen. Allerdings hängt dies meiner Meinung nach davon ab, wie ausgeprägt der Grad der Selbstüberschätzung ist und der Wille bzw. die Fähigkeit zur Reflexion vorhanden sind. Stellt man sich vor, einen Donald Trump zu Selbstreflexion und Feedback anleiten zu können, dürfte schnell klar sein, dass dies wohl vergebene Liebesmüh ist.
Fazit
Menschen, die dem Dunning-Kruger Effekt unterliegen, überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und unterschätzen die derjenigen, die tatsächlich über Kompetenz verfügen. Allerdings sind ausgerechnet die Leistungsschwachen nicht in der Lage, diesen Fehler einzusehen, was zu einer fehlenden Selbsteinsicht führt. Dadurch fehlt auch der Wille und Bedarf zur Weiterbildung um diesen Zustand zu durchbrechen, so kann der Dunning-Kruger Effekt zum Teufelskreis werden.
Literatur
Benesch, V.; Godde, M.; Hammami, B.; Laufkötter, U.; Seidel, M.; Mayer, B. (2021): Überschätzen sich jüngere Personen mehr als ältere? Der Dunning-Kruger-Effekt im Altersvergleich. Hg. v. Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden. Fakultät Betriebswirtschaft. Weiden (No. 82). Online verfügbar unter http://hdl.handle.net/10419/235565, zuletzt geprüft am 04.10.2022.
Fischer, Peter; Jander, Kathrin; Krueger, Joachim I. (2018): Sozialpsychologie für Bachelor. 2. Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer (Springer-Lehrbuch). Online verfügbar unter http://www.springer.com/.
Gölzner, Herbert; Meyer, Petra (2018): Emotionale Intelligenz in Organisationen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Kahneman, Daniel (2012): Schnelles Denken, langsames Denken. 1. Auflage. München: Penguin Verlag.
Kreutzer, Ralf T. (2020): Die digitale Verführung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Kruger, Justin; Dunning, David (1999): Unskilled and unaware of it: How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. In: Journal of Personality and Social Psychology 77 (6), S. 1121–1134. DOI: 10.1037/0022-3514.77.6.1121 .
Luerweg, Frank (2020): Worin wir uns selbst überschätzen. Hg. v. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Online verfügbar unter https://www.spektrum.de/news/selbstbild-wir-ueberschaetzen-unsere-kompetenzen/1776120?utm_term=Autofeed&utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1601974170, zuletzt geprüft am 05.11.2022.
Pennycook, Gordon; Ross, Robert M.; Koehler, Derek J.; Fugelsang, Jonathan A. (2017): Dunning-Kruger effects in reasoning: Theoretical implications of the failure to recognize incompetence. In: Psychonomic bulletin & review 24 (6), S. 1774–1784. DOI: 10.3758/s13423-017-1242-7 .
Weimann, Joachim (2022): Einfach zu einfach. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Zoglauer, Thomas (2021): Konstruierte Wahrheiten. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Bildquelle
Photo by Michal Matlon on Unsplash, https://unsplash.com/photos/4ApmfdVo32Q, abgerufen am 13.11.2022