„In 14 Tagen zur Traumfigur“. Strikte Diäten und Sportprogramme kursieren seit jeher in jeglichen Magazinen und im digitalen Zeitalter auch fast auf jedem Social Media Profil. Personal Trainer:innen und Influencer:innen suggerieren uns, dass wir aussehen können, wie wir wollen, wenn wir nur bereit sind, hart dafür zu arbeiten. Doch während die einen schon beim bloßen Anblick von Pizza, Pasta und co. zunehmen, können andere scheinbar essen, was sie wollen und bleiben trotzdem rank und schlank. Haben manche Menschen also einfach nur „gute Gene“?
Regulation des Köpergewichts: Alles Genetik?
Seit mehreren Jahren wird von einer sogenannten „Set-Point-Theory“ ausgegangen, die besagt, dass der Körper über unterschiedliche Regulationsprozesse versucht, das Körpergewicht innerhalb einer genetisch festgelegten Gewichtsspanne zu halten (Homöostase).[1] In der Praxis würde nach diesem Modell der Organismus über Hunger- und Sättigungsgefühl die Nahrungsaufnahme so regulieren, dass Differenzen zum „Set-Point-Gewicht“ stets ausgeglichen werden und das genetisch festgelegte Körpergewicht gehalten bzw. wieder erreicht wird.[2] Jedoch erklärt die „Set-Point-Theory“ nicht das im wahrsten Sinne des Wortes zunehmende Übergewicht in der Bevölkerung.[3]
Bestimmt die Kalorienzufuhr unser Körpergewicht?
Ein weiteres Modell, das „Settling-Point-Modell“, versucht dieses Phänomen zu erklären.[4] Hier wird davon ausgegangen, dass der Organismus seinen jeweiligen Verbrauch an eine geringere oder höhere Energiezufuhr anpassen kann. Wenn das Körpergewicht bzw. der Körperfettanteil zunimmt, steigt auch der Energieverbrauch, da wir natürlich auch mehr Masse mit uns herumtragen und daher auch Muskulatur aufbauen. Aufgrund dieses Prozesses findet der Körper immer wieder neue Beruhigungspunkte („Settling-Points“) und versucht das Gleichgewicht von Energiezufuhr und -verbrauch zu halten.[5] Gegen das „Settling-Point-Modell“ sprechen jedoch Hungersnotstudien wie die von Key et al (1950).[6] Ebenso konnte in verschiedenen Untersuchungen gezeigt werden, dass der Grundumsatz bei Gewichtsverlust nicht im Verhältnis zu diesem herunterreguliert wird, sondern in einem größeren Ausmaß, um dem Fettverlust entgegenzuwirken. Auch ein zunehmendes Hungergefühl konnte beobachtet werden.[7]
Das Zusammenspiel von Genetik und Umwelt
Während die „Set-Point-Theory“ tief im physiologischen und genetischen Determinismus verwurzelt ist, betont das „Settling-Point-Model“ eher die Auswirkungen von Umwelteinflüssen.[8] Man weiß heute, dass genetische Faktoren durch die Umwelt beeinflusst werden, jedoch die Genetik wiederum die Umwelt prägt.[9] Es ist demnach davon auszugehen, dass das Körpergewicht durch einer Kombination verschiedener Faktoren reguliert wird.[10] So sind sowohl genetische, hormonelle, psychologische und umweltbedingte Einflüsse für die Regulation des Körpergewichts von Bedeutung.[11]
Das „Dual-Intervention-Point-Model“
Das „Dual-Intervention-Point-Model“ versucht diese verschiedenen Faktoren zu integrieren.[12] Wie der Name vermuten lässt wird bei diesem Modell von zwei „Interventionspunkten“ ausgegangen, welche eine Ober- und einer Untergrenze des Körpergewicht markieren. Zwischen diesen Grenzwerten soll die physiologische Regulation des Körpergewichts schwach bis gar nicht vorhanden sein – physiologische Regulation würde demnach nur dann stattfinden, wenn einer der Grenzwerte erreicht oder überschritten wird. Ob die Grenzwerte jedoch umwelt- oder genetisch bedingt sind, ist in diesem Model umstritten.[13] Sowohl die Grenzwerte selbst als auch der Abstand zwischen beiden Interventionspunkten sollen darüber hinaus von Person zu Person variieren.[14]
Aus evolutionären Sicht, könnte ein untere Interventionspunkt vor dem Verhungern schützen, während der obere Interventionspunkt aufgrund des Risikos von Fressfeinden vorhanden ist. Da der Menschen im Laufe der Evolution seine Fressfeinde Großteils eliminiert hat, würde dies erklären, warum sich der obere Interventionspunkt bei einigen Menschen im Laufe der Zeit nach oben verschoben hat. Dies könnte wiederum erklären, warum manche Menschen zu Fettleibigkeit neigen.[15]
Wie aussagekräftig sind die bisherigen Erkenntnisse eigentlich?
Alle drei Modell basieren entweder auf Tierexperimenten, wurde mit übergewichtigen Proband:innen durchgeführt oder stellen Beobachtungsdaten aus Interventionsstudien dar.[16] Die meisten Untersuchungen sind zudem Querschnittsstudien. Es ist demnach fraglich inwiefern diese Beobachtungsdaten Aussagen über die Regulation des Körpergewichts bei einem großen Teil der Bevölkerung zulassen. In den letzten dreißig Jahren befassen sich Wissenschaftler:innen mit spezifische Gene bzw. Gendefekten, welche mit Adipositas assoziiert werde.[17] Bislang können diese Erkenntnisse nicht das Phänomen des immer größer werdende Anteils übergewichtiger Menschen erklären.[18]
Faktoren, die unser Essverhalten und damit auch das Körpergewicht beeinflussen
Mittlerweile konnten verschiedene Umweltfaktoren, die das Körpergewicht über die Nahrungsaufnahme regulieren identifiziert werde: eine Vergrößerung der Mahlzeiten,[19] eine erhöhte Exposition gegenüber Lebensmitteln mit hoher Energiedichte,[20] eine größere Vielfalt an angebotenen Lebensmitteln,[21] eine Tendenz, Mahlzeiten vermehrt außer Haus zu essen,[22] wo die Portionsgrößen wiederum größer sind[23] und ein vermehrtes Essen mit anderen[24] oder während man gleichzeitig anderen Aktivitäten nachgeht (bspw. Fernsehen).[25]
Neben den genannten Umweltfaktoren nimmt jedoch auch der mentale Zustand einer Person Einfluss auf deren Essverhalten. So zeigen Untersuchungen, dass psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen mit Veränderungen des Essverhaltens, beispielsweise in Form von emotionalen Essens oder Appetitverlust, einhergehen und folglich auch mit Gewichtsveränderungen korrelieren.[26]
Fazit
Die Frage, ob das Körpergewicht umwelt- oder genetisch bedingt ist, kann nach heutigem Wissensstand nicht eindeutig beantwortet werden. Verschiedene Modelle und Untersuchungen lassen jedoch eine Kombination aus verschiedenen Faktoren – sowohl biologische, genetische als auch psycho-soziale – vermuten.
In der Praxis könnte das bedeuten, dass nicht jede Diät, jedes Sportprogramm oder sonstige Programme zur Manipulation des Körpergewichts für jeden Menschen gleich gut funktionieren oder nachhaltig umsetzbar sind – obwohl uns das Influencer:in XY vielleicht glauben lassen will. Das ideal Körpergewicht einer Person schwankt womöglich von Mensch zu Mensch. Folglich fühlt sich vermutlich nicht jeder bei derselben Körperkomposition im selben Maße leistungsfähig und gesund.
Verweise
[1] Vgl. Casanova et al (2019); Harris (1990).
[2] Vgl. Müller et al. (2018b).
[3] Vgl. Speakman (2014); Speakman et al. (2011).
[4] Vgl. Speakman et al. (2011); Speakman/Stubbs/Mercer (2002).
[5] Vgl. Müller et al. (2018b); Speakman et al. (2011); Speakman/Stubbs/Mercer (2002).
[6] Vgl. Speakman et al. (2011).
[7] Vgl. Dullo/Jacquet (1998) ; Luke/Schoeller (1992).
[8] Vgl. Speakman et al. (2011).
[9] Vgl. Li et al. (2010); Speakman (2004).
[10] Vgl. Müller et al. (2018b).
[11] Vgl. Casanova et al (2019); De Castro (2010); De Castro/Plunkett (2002).
[12] Vgl. Levitsky (2002); Müller et al. (2018b) ; Speakman (2007).
[13] Vgl. Speakman (2014); Speakman et al. (2011).
[14] Vgl. Müller et al. (2018b); Speakman et al. (2011).
[15] Vgl. Müller et al. (2018b); Speakman et al. (2011).
[16] Vgl. Müller et al. (2018b).
[17] Vgl. Kaur et al. (2017); Müller et al. (2018a); Müller et al. (2018b).
[18] Vgl. Müller et al. (2018a) ; Swinburn et al. (2011).
[19] Vgl. Rolls/Roe/Meengs (2012); Speakman et al. (2011).
[20] Vgl. Rolls (2009); Speakman et al. (2011).
[21] Vgl. Speakman et al. (2011).
[22] Vgl. Speakman et al. (2011); Thornton/Crawford/Ball (2010).
[23] Vgl. Duffey/Popkin (2011); Speakman et al. (2011).
[24] Vgl Hetherington et al. (2006); Speakman et al. (2011).
[25] Vgl. Speakman et al. (2011); Templay/Pérusse/Bouchard (2007).
[26] Vgl. de Wit et al. (2015); Konttinen et al. (2019); Staiano et al. (2016).
Literatur
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