By Published On: 12. November 2022Categories: Gesundheit, Pädagogik, Psychologie

Stellen Sie sich vor, Sie würden heute ein wichtiges Tennis-Match gegen einen ihrer größten Gegner spielen. Lange haben Sie sich auf den Wettkampf vorbereitet. Sie haben Aufschlag. Es herrscht Stille, alle Augen sind auf Sie gerichtet, gleich geht’s los.   
Manche Menschen werden jetzt in Höchstform versetzt, während andere Stress und Angst empfinden, sodass sie ihr sportliches Potential nicht voll ausschöpfen können. Hier ist die Rede von Wettkampfangst. Doch was genau ist das und welche Möglichkeiten gibt es, um ihr zu begegnen?

Angst im Wettkampf

Angst ist ein vorübergehender psychischer Zustand, der durch Besorgnis und körperlicher Aktivierung gekennzeichnet ist und in Situationen auftritt, die als bedrohlich beurteilt werden (Hänsel, Baumgärtner, Kornmann & Ennigkeit, 2022, S. 77).

Im Sport sind das Situationen, die die körperliche Unversehrtheit oder den Selbstwert bedrohen (z.B. Angst vor Verletzungen oder Versagen). Eng damit verbunden ist die Angst vor dem Unbekannten, was die Offenheit über den Ausgang der Wettkampfsituation miteinschließt. Daher ist die Ungewissheit ist eng mit der Angst vor Versagen verknüpft. Hinzu kommen Kontrolleinschränkungen durch externe Faktoren (z.B. Stärke der Gegner*innen), die die Angst vor Misserfolg stärken. Dieser ist mit Selbst- und Fremdbewertungen verbunden, weshalb es zur negativen Selbstbewertung (bspw. Gefühl der Inkompetenz) oder der Furcht vor negativer sozialer Bewertung (wie Enttäuschung der Mannschaft) führen kann (Ehrlenspiel & Mesagno, 2020, S. 272). So zeigt sich, dass Angst über einen kognitiven (Besorgnis) und einen somatischen Anteil verfügt, der zu physiologischer Aktivierung führt (u.a. erhöhte Atem- und Herzfrequenz) (Hänsel et al., 2022, S. 77).

Wettkampfangst zeigt sich häufig im (Leistungs-)Sport und wird der Zustandsangst zugeordnet, da sie ausschließlich in Wettkampfsituationen auftritt. Gegenteilig dazu ist die Eigenschaftsangst ein situationsübergreifendes und zeitlich stabiles Persönlichkeitsmerkmal, das gemeint ist, wenn man von Ängstlichkeit spricht (Lobinger, Musculus & Bröker, 2021, S. 32). Verfügt jedoch eine Person über ein höheres Maß an Eigenschaftsangst, werden potenziell gefährliche Situationen eher als bedrohlich eingeschätzt, was vermehrte Zustandsangst zur Folge hat (Hänsel et al., 2022, S. 78).        

Die sportliche Leistung ist u.a. das Resultat einer Person-Situation-Interaktion, bei der personale Eigenschaften und situative Faktoren (z.B. Klima, Zuschauer oder Druck aufgrund einmaliger Chance zur Leistungserbringung) miteinander interagieren. So konnten Experimente zeigen, dass situativer Druck das Auftreten von Zustandsangst erhöht und so Prozesse der Aufmerksamkeitslenkung und der visuomotorischen Kontrolle verschlechtert (Brand & Schweizer, 2019, S. 115–116).

Erklären lässt sich der Zusammenhang zwischen Angst und sportlicher Leistung durch Hanins Modell der „Individual Zones of Optimal Functioning“, nach dem die optimale sportliche Leistung von dem interindividuellen Ausmaß der Angst abhängig ist. Das bedeutet, dass eine optimale Leistung sowohl bei gering als auch bei hoch ausgeprägter Angst erreicht werden kann, sofern sie in der individuellen und als angenehm empfundenen „In-Zone“ liegt, wie die folgende Grafik zeigt (Hänsel et al., 2022, S. 81–82):

Individual Zones of Optimal Functioning nach Hanin.         
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hänsel et al., 2022, S. 82)

Der Angst begegnen

Sportliche Wettkampfsituationen üben Druck auf Sportler*innen aus, der sie Stress wahrnehmen lässt. Dieser kann, je nach wahrgenommenen Niveau, die Leistung steigern oder hemmen. Daher ist der Umgang mit Druck und Stresssituationen unumgänglich, um der Wettkampfangst zu begegnen (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018, S. 422). Die hierfür entwickelten Strategien der Emotionsregulation haben das Ziel, einen emotionalen Zustand zu erreichen, der sich förderlich auf die sportliche Leistung in Wettkampfsituationen auswirkt. Hier werden zur Änderung des emotionalen Zustandes Situationen selektiert, bzw. modifiziert, die Aufmerksamkeit gelenkt und Kognitionen sowie Verhaltensweisen angepasst (Lobinger et al., 2021, S. 34).

Wie beschrieben, können situative Faktoren Ängste auslösen. Da aber Wettkampfsituationen im Leistungssport nicht dauerhaft vermieden werden können, kann mit der Modifikation der Wettkampfsituation reagiert werden. So kann es z.B. helfen, die angespannte Situation vor Spielbeginn durch Gespräche oder Witze aufzulockern und so zu ändern. Wettkampfsituationen beinhalten außerdem Reize, die von manchen Sportler*innen als bedrohlich gewertet werden. Diese werden evolutionär bedingt bevorzugt wahrgenommen, wodurch sie verstärkt Angst auslösen können. Durch die gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit (z.B. auf geplante Taktiken) kann die Konzentration jedoch zurück auf das Spiel geleitet werden, um angstrelevante Reize auszublenden. So kann es bspw. helfen, sich ein Stoppschild vorzustellen, um das Kreisen negativer Gedanken zu stoppen (Ehrlenspiel & Mesagno, 2020, S. 297–298).

Angst entsteht ebenfalls durch unbewusst ablaufende Bewertungsprozesse. Werden aber die Hinweisreize der Situation einer Neubewertung unterzogen, kann man der Entstehung von Angst entgegenwirken. Um die Situation aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, kann es also helfen, sich selbst Mut zuzusprechen („Ich schaffe das!“) oder Selbstgespräche mit rationalen Inhalten („Auf diesen Wettkampf habe ich lange hintrainiert“) zu führen (Ehrlenspiel & Mesagno, 2020, S. 298).

Um das Entstehen einer Angstreaktion ganz zu verhindern, kann mit Routinen gearbeitet werden. Sie beinhalten festgelegte Verhaltensreihenfolgen, die ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle vermitteln. Angst ist außerdem mit erhöhter Aktivierung verbunden, die sich durch physiologische Reaktionen bemerkbar macht (z.B. Zittern). Um die Aktivierung zu regulieren, helfen Atemübungen und Entspannungsverfahren (z.B. progressive Muskelentspannung) (Ehrlenspiel & Mesagno, 2020, S. 298). Langfristig empfiehlt es sich, die wettkampfbezogene Angst zu akzeptieren und zu versuchen, sie wertungsfrei wahrzunehmen. Hierbei helfen Übungen der Achtsamkeit (wertfreie Momentwahrnehmung), die sich leicht in den Alltag integrieren lassen. Achtsamkeit ermöglicht nicht nur Erholungsphasen, sondern verhilft auch zu einer gelassenen und wertreduzierten Lebenshaltung, die dafür sorgt, dass Situationen weniger schnell als bedrohlich wahrgenommen werden. Ebenso ermöglichen diese Übungen einen achtsamen Umgang mit Stress, wodurch die Regulation der Aktivierung erleichtert wird (Fuchs & Gerber, 2018, S. 425–426).

Fazit

Wettkampfsituationen sind von Momenten des Stresses geprägt, der individuell wahrgenommen wird. Zwar sind Wettkampfängste und ihre Folgen unangenehm, dennoch gibt es Möglichkeiten, sie zu mindern. Nicht zu unterschätzen ist, dass die Strategien zur Emotionsregulation nicht nur im sportlichen, sondern auch im privaten Kontext hilfreich sein können, vor allem dann, wenn die Eigenschaftsangst ohnehin schon stärker ausgeprägt ist.           
Wettkampfangst ist kein seltenes Phänomen bei Sportler*innen. Daher kann die Akzeptanz, dass man sie hat und der Austausch mit anderen, die vielleicht ebenfalls darunter leiden, der erste Schritt in eine gelassene, vielleicht sogar angstfreie Zukunft bedeuten.

Literaturverzeichnis

Beckmann, J. & Ehrlenspiel, F. (2018). Strategien der Stressregulation im Leistungssport. In R. Fuchs & M. Gerber (Hrsg.), Handbuch Stressregulation und Sport (S. 417–433). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-49322-9_20

Brand, R. & Schweizer, G. (2019). Sportpsychologie. Verständnisgrundlagen für mehr Durchblick im Fach (Lehrbuch, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59082-9

Ehrlenspiel, F. & Mesagno, C. (2020). Angst im Sport. In J. Schüler, M. Wegner & H. Plessner (Hrsg.), Sportpsychologie (S. 267–306). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56802-6_12

Fuchs, R. & Gerber, M. (Hrsg.). (2018). Handbuch Stressregulation und Sport. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-49322-9

Hänsel, F., Baumgärtner, S. D., Kornmann, J. & Ennigkeit, F. (2022). Sportpsychologie (Lehrbuch, 2., vollständig überarbeitete Auflage). Berlin, [Heidelberg]: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63616-9

Lobinger, B. H., Musculus, L. & Bröker, L. (2021). Sportpsychologie. Ein Überblick für Psychologiestudierende und -interessierte (Was ist eigentlich …?). Berlin, [Heidelberg]: Springer. Verfügbar unter: http://www.springer.com/

Bildquelle

bomei_615, https://pixabay.com/images/id-1751928/

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