By Published On: 28. Juli 2023Categories: Management, Wirtschaft

Für wen ist Agilität geeignet?

An agilen Methoden in der Unternehmensführung scheint kaum ein Weg vorbeizugehen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wird Unternehmen das agile Konzept sehr nahe gelegt. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff agil eigentlich?

Was genau bedeutet agil?

Der Duden gibt an, dass agil ein Adjektiv mit der Bedeutung „von großer Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig“ (www.duden.de, 2023) ist. Beispiele, die angegeben werden, sind:

  • „ein agiler Geschäftsmann“
  • „sie ist trotz ihres Alters körperlich und geistig noch sehr agil“

Wie kam es zur Verbreitung des agilen Konzeptes?

Agilität ist kein Trend der letzten Jahre. Vielmehr gibt es agile Theorien bereits seit Mitte des letzten Jahrhunderts. Laut Förster und Wendler (2012) gab es Theorien zu Agilität bereits seit den 1950er Jahren sowohl in der Soziologie (Talcott Parsons, 1953), als auch in der Organisationslehre. Seit den 1990er Jahren ist die Erforschung der Agilität in Organisationen stark angestiegen, nachdem der „Lehigh Report“ des Iococca Institute (Pennsylvania, USA) veröffentlicht wurde zum Thema Organisationslehre für das 21. Jhd. (Förster, K. Wendler, R., 2012, S. 2). Weitere Bekanntheit erlangte das Thema Agilität durch das Agile Manifest einer Gruppe von Softwareentwicklern 2001. Diese sahen sich ausgebremst in ihrer Arbeit u.a. aufgrund immer stärkerer Dokumentationspflichten durch das Qualitätsmanagement der 1990er Jahre. Mit dem Formulieren von 12 Prinzipien agiler Software sollte dieser Missstand beseitigt werden. Wichtige Grundsätze sind dabei z.B.:

– besondere Wertschätzung der Wünsche des Kunden

– Änderungen annehmen, auch spät, statt strikter Planverfolgung

– technisch exzellente und funktionierende Produkte erschaffen

– sehr gute, interdisziplinäre Zusammenarbeit und Kommunikation vor Einhaltung von Prozessen und Nutzung von Werkzeugen

– selbstorganisierte Teams  (Beck, K., Beedle, M., 2001)

Agilität ist keine Erfindung der letzten Jahre.

Vielmehr gibt es agile Theorien bereits seit Mitte des letzten Jahrhunderts. Laut Förster und Wendler (2012) gab es Theorien zu Agilität bereits seit den 1950er Jahren sowohl in der Soziologie (Talcott Parsons, 1953), als auch in der Organisationslehre. Seit den 1990er Jahren ist die Erforschung der Agilität in Organisationen stark angestiegen, nachdem der „Lehigh Report“ des Iococca Institute (Pennsylvania, USA) veröffentlicht wurde zum Thema Organisationslehre für das 21. Jhd. (Förster, K. Wendler, R., 2012, S. 2). Weitere Bekanntheit erlangte das Thema Agilität durch das Agile Manifest einer Gruppe von Softwareentwicklern 2001. Diese sahen sich ausgebremst in ihrer Arbeit u.a. aufgrund immer stärkerer Dokumentationspflichten durch das Qualitätsmanagement der 1990er Jahre. Mit dem Formulieren von 12 Prinzipien agiler Software sollte dieser Missstand beseitigt werden. Wichtige Grundsätze sind dabei z.B.:

– besondere Wertschätzung der Wünsche des Kunden

– Änderungen annehmen, auch spät, statt strikter Planverfolgung

– technisch exzellente und funktionierende Produkte erschaffen

– sehr gute, interdisziplinäre Zusammenarbeit und Kommunikation vor Einhaltung von Prozessen und Nutzung von Werkzeugen

– selbstorganisierte Teams  (Beck, K., Beedle, M., 2001)

Wie funktionieren agile Unternehmen?

Agilität in Unternehmen beschreibt Homburg (2019) als das „dynamische, wechselseitige und iterative Zusammenspiel mehrerer Elemente oder Akteure in einem offenen, selbstorganisierenden System, das durch hohe Kundenzentrierung und Anpassungsfähigkeit gekennzeichnet ist.“. Die Schlussfolgerung, welche Homburg aus der sehr starken Markt- und Kundenzentrierung zieht, ist die Neuausrichtung des (Personal-) Managements auf die Förderung der Agilität im Unternehmen durch das Schaffen entsprechender Rahmenbedingungen (Stock-Homburg & Groß, 2019, S. 887–888).

In der Organisationslehre ist die Agilität noch nicht einheitlich definiert. Vielmehr entwickelt sie sich fortwährend. Dem Agilitätsverständnis liegen mehrere Modelle und Theorien zugrunde, wie der Human Relations Ansatz und der Human Ressourcen Ansatz – sie stehen für die menschliche Dimension, einem sehr wichtigen Eckpfeiler der Agilität – und die Selbstorganisations- und Teamtheorie – sie stehen für Teams, die selbstständig und selbstorganisiert Aufgaben lösen (Förster, K. Wendler, R., 2012, S. 13–16).

Tabelle 1: Grundlagen Agilität in Organisationstheorie (nach Förster und Wendler, 2012)

Wie sieht agile Führung aus?

Agile Führung meint die Befähigung der Teammitglieder sich selbst zu organisieren und als Team im Sinne der selbstgesteckten Ziele zu agieren. Führungskräfte in agilen Unternehmen schaffen die für die Selbstorganisation nötigen Rahmenbedingungen und wenden den transformationalen Führungsstil an. Agile Führungskräfte kennen die theoretischen Grundlagen und Methoden von Agilität und nutzen diese auch. Führungskräfte in agilen Unternehmen müssen Macht und Entscheidungen abgeben können  (Stock-Homburg & Groß, 2019, S. 927). Sie müssen darüber hinaus die Mitarbeitenden befähigen selbstständig nach Lösungswegen zu suchen, um Kundenwünsche zu erfüllen. Führungskräfte in agilen Unternehmen sind für die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden hin zu agilem Arbeiten verantwortlich und müssen dem Team die Vision geben, wofür gearbeitet wird und was das gemeinsame Ziel ist (Kauffeld, 2019, S. 126).

Ein agiles Führungskonzept kann nur gelingen, wenn sich auch das Team nach den agilen Werten und Zielsetzungen richtet.

Jedes Mitglied eines agilen, selbstorganisierten Teams muss sich „in angemessenem Umfang“ in dieses einordnen und gemeinsam die Ziele verfolgen, wobei der Kundenorientierung ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Eine hohe Kompromissbereitschaft und ein Eintreten für das Team auch nach außen sind wichtige Grundlagen, ebenso wie Offenheit für Neues. Agile Teams benötigen überdies Umsetzungsstärke und Disziplin, denn sie müssen selbst Ziele und den Weg dorthin festlegen (Stock-Homburg & Groß, 2019, S. 904).

Diese agilen Methoden sind besonders bekannt: Scrum, Kanban, Design Thinking

Häufig genutzt agile Methoden sind Scrum, Kanban und Design Thinking. Sie eignen sich jeweils für kleinere Gruppen von 3 bis 10 Personen.

Die agile Methode Scrum kann bei komplexen und schwach strukturierten Projekten interdisziplinärer Teams eingesetzt werden. (Bundesverwaltungsamt, 2023). Es ist ein Framework, das einen festen Rahmen bietet mit festen Rollen. Projekte werden aufgeteilt in einzelne Etappen (Inkremente) (Schwaber, K., Sutherland, J., 2020, S. 5–7).

Kanban ist eine visualisierende Arbeitsmethode, die darauf abzielt „schrittweise, evolutionäre Veränderungen in Arbeitsabläufen, Prozessen, Systemen, Projekten, Dienstleistungen und Organisationen“ zu schaffen. Zentrales Element der Methode ist das Kanban Board. Dieses besteht aus meist drei Spalten, z.B.:

Aufgaben – in Bearbeitung – erledigt.

In die Spalten wird die jeweilige Aufgabe entsprechend ihrem Stand eingetragen. Die Spalte „in Bearbeitung“ darf eine zuvor festgesetzte Anzahl an Aufgaben nicht überschreiten, um Überforderungen vorzubeugen (Bundesverwaltungsamt, 2023).

Die agile Methode Design Thinking wird zum kreativen Lösen von noch nicht klar benennbaren Herausforderungen durch das Finden neuer Ideen eingesetzt. Verschiedene Kreativitätstechniken können zum Einsatz kommen. Das Team soll aus Personen verschiedener Disziplinen und Sichtweisen bestehen und eine klare Kundenzentrierung haben, ebenso wie eine Offenheit ggü. neuen Ideen. Ein Teammitglied moderiert die Sessions, die anderen unterstützen (Bundesverwaltungsamt, 2023).

Kritik an agilen Methoden

Trotz aller Euphorie und vielgepriesenen Nutzung und Anwendung agiler Methoden, gibt es auch kritische Stimmen, die über die negativen Ausprägungen berichten.

Der Autor des Artikels Wie das agile Konzept die Produktivität tötet bei golem.de (2023) beschreibt, wie ineffektiv agile Methoden sein können und wie sehr sie die Meta-Arbeit, also die Arbeit rund um die eigentliche Arbeit, aufzublähen vermögen. Ferner beschreibt er, dass jeder Zweifel am agilen Konzept auf Unverständnis trifft, das agile Konzept fast schon einer Religion zu gleichen scheint, an der nicht gezweifelt werden darf (golem.de, 2023).

Der Soziologieprofessor Stefan Kühl (2023) beschreibt wie bereits jahrzehntealte Managementkonzepte im regelmäßigen Zyklus wieder in neuer Form und mit neuem Namen aber mit gleichem Inhalt erscheinen. Er beschreibt die Erkenntnisse der Organisationsforschung, die Grenzen der Selbstorganisation und die Notwendigkeit von Hierarchien ab einer bestimmten Organisationsgröße. Er beschreibt die Absurdität, dass gerade agile Organisationen, deren Anspruch es ist Bürokratie abzubauen, neue Regeln gleich einer „Hyperformalisierung“ schaffen, an die sich alle halten müssen, damit das Konzept funktionieren kann (Kühl, 2023, S. 7–9).

Welche Chancen und Grenzen bieten agile Managementansätze?

Agile Führungsmethoden, wie Scrum, Kanban oder Design Thinking  bieten Unternehmen, die bisher eher nach klassischen Managementansätzen agiert haben,  die Möglichkeit moderne Projektmanagementtools für Einzelprojekte auszuprobieren und sich so an das agile Konzept heranzutasten. Grundlegend haben diese Methoden das Potenzial durch die starke Einbeziehung der Mitarbeitenden, eine hohe Identifikation mit der Arbeit und somit eine hohe intrinsische Motivation zu schaffen. Gleichzeitig bedeutet es aber auch ein Umdenken und eine Veränderung von Verhaltensweisen. Beides braucht in der Regel Zeit und Anleitung. Die Werte agilen Managements, wie Kundenzentrierung, Vertrauen in selbstorganisierte Teams und Offenheit für Neues müssen für das Unternehmen überprüft und angewendet werden. Die neuen Methoden müssen erlernt und geprobt werden. Dafür braucht es eine zielgerichtete agile Personalentwicklung. Wo agile Managementansätze Anwendung finden und wo eher klassische Managementansätze überwiegen, soll in Tabelle 3 gezeigt werden.

Agile ManagementansätzeKlassische Managementansätze
Arbeitsbereiche mit hoher Dynamik und Komplexität, große Konkurrenz, unsichere Märktestark ausgeprägte Arbeitsteilung, hierarchische Strukturen und Routinetätigkeiten, immer gleiche Kundenanforderungen und unveränderlicher Markt
Unternehmen in der Softwarebranche und Start-UpsUnternehmen im öffentlichen Dienst, im Gesundheitssektor, Handel und Transport & Logistik
Tabelle 2: Charakterisierung agiler und klassischer Managementansätze (nach Stock-Homburg und Groß, 2019)

Eine Mischform beider Managementansätze – agil und klassisch – ist ebenfalls denkbar in Unternehmen. Wie Tabelle 3 zeigt, werden agile Managementansätze häufig in Start-Ups und in der Softwarebranche genutzt, also in Unternehmen, die von einer hohen Dynamik, starker Konkurrenzsituation und sich schnell ändernden Märkten geprägt sind, wohingegen klassische Managementansätze in linearen Organisationsformen mit klaren Strukturen, Aufgaben und Routinetätigkeiten anzufinden sind. An Grenzen stoßen agile Managementansätze bei starker Ausprägung von Routineaufgaben, wie zum Beispiel im Gesundheitssektor. Hier können bestehende gesundheitlich zwingend notwenige Abläufe nicht ohne Weiteres sich selbstorganisierenden Teams überlassen werden, die nach eigenem Ermessen neue Lösungen finden sollen. Wie im Punkt Kritik an agilen Methoden beschrieben, sind Grenzen auch ganz klar in der tatsächlichen Effektivität der Methoden zu sehen. Wenn ein Wechsel zu agilem Management nicht die erhoffte Entbürokratisierung und auch nicht das schnellere und effektivere Handeln bedeutet, ist es besonders für gut eingespielte Organisationen mit klaren Strukturen nicht empfehlenswert zu wechselnFazit und Ausblick

Fazit – Agilität ist nicht immer das Allheilmittel

Die Begrifflichkeiten agil und Agilität sind sehr häufig genutzt im Zusammenhang mit moderner Unternehmensführung. Es kann leicht der Eindruck entstehen, dass ein Unternehmen des 21. Jahrhunderts ausschließlich agil funktionieren kann. Die verfügbare Literatur zu Agilität im Unternehmenskontext ist entsprechend vielfältig, auch weil es noch keine einheitliche Definition von Agilität gibt, wohl aber eine häufige Nennung agiler Werte, wie Flexibilität, Schnelligkeit, Selbstbestimmung, Autonomie, Anpassungsfähigkeit und Humanisierung der Arbeit.  

Agile Führungsmethoden mit ihrer humanressourcen-orientierten Ausrichtung, der Aufwertung des Teams durch Übernahme von Verantwortung und Selbstorganisation im Team und die Änderung der Führungsrolle hin zu einer partizipativen und dem Team dienenden Rolle, sind besonders geeignet für Start-Ups und Unternehmen mit sich häufig ändernden Projekten, Aufgaben und Märkten. Agile Projektmanagement-Methoden wie Kanban, Scrum oder Design Thinking können auch in klassisch hierarchischen Unternehmen Anwendung finden z.B. bei neuen Projekten oder in Abteilungen wie Marketing oder IT.

Was Agilität im Unternehmenskontext erzielen soll, sind Effektivität, schlankere Prozesse und eine bessere Behandlung der Human Ressourcen. Im Grunde ist der Agilitätsansatz damit nicht so viel anders als der Taylorismus. Dessen Ziel war es u.a. die Produktivität zu erhöhen. Dies sollte durch kleinteilige, repetitive Aufspaltung der Arbeit geschehen. Taylor nahm an, dass Menschen durch eine klar geregelte Arbeit zufriedener sind (Prof.Dr.T. Bartscher).

Da Agilität häufig mit schnell und wendig, also wie im Duden beschrieben, gleichgesetzt wird, muss umso mehr darauf geachtet werden, dass die Einführung eines agilen Managements nicht genau das Gegenteil erreicht. Das gesamte Unternehmen muss klar wissen, welcher Strategie gefolgt wird und was die Leitlinien für jedes Team und jedes Individuum im Unternehmen sind.

Bildnachweis:

Foto von Eden Constantino auf Unsplash

Literaturverzeichnis

Beck, K., Beedle, M. (2001). Manifesto for Agile Software Development: Twelve Principles of Agile Software. https://agilemanifesto.org/

Bundesverwaltungsamt. (2023). Scrum: Organisationshandbuch – Methoden und Techniken. https://www.orghandbuch.de/OHB/DE/OrganisationshandbuchNEU/4_MethodenUndTechniken/Methoden_A_bis_Z.html

Förster, K. Wendler, R. (2012). Theorien und Konzepte zu Agilität in Organisationen. DRESDNER BEITRÄGE ZUR WIRTSCHAFTSINFORMATIK(NR. 63/12), 0–71.

golem.de. (2023). Tech-Branche: Wir arbeiten nicht. Null.: Wie das agile Konzept die Produktivität tötet. https://glm.io/173002

Kauffeld, S. (2019). Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor (3e druk). Springer.

Kühl, S. (2023). Schattenorganisation: Agiles Management und ungewollte Bürokratisierung (1. Auflage). Campus.

Prof.Dr.T. Bartscher. Taylorismus. Springer Nature. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/taylorismus-48480

Schwaber, K., Sutherland, J. (2020). Der Scrum Guide: Der gültige Leitfaden für Scrum: Die Spielregeln. https://scrumguides.org/docs/scrumguide/v2020/2020-Scrum-Guide-German.pdf

Stock-Homburg, R. & Groß, M. (2019). Personalmanagement. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26081-1

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