Nackt in einer Prüfung sitzen, plötzlich wieder einer geliebten Person, die vor kurzem gestorben ist, gegenüberstehen oder angsterfüllt vor einer dunklen Gestalt davonlaufen, das alles sind mögliche Traumszenarien. Nicht nur deuten physiologische Erklärungsansätze darauf hin, dass Träume relevant für die Gehirnentwicklung sind, laut Psychoanalyse werden in den Träumen auch unsere Wünsche und Triebe abgebildet. Jede*r träumt, doch nicht jeder Traum verleiht die Fähigkeit zum Fliegen oder birgt schöne Kindheitserinnerungen. Was wäre aber, wenn genau diese Szenen bewusst erschaffen werden könnten und Albträume abgebrochen werden, bevor sie sich verschlimmern? Die Rede ist dabei vom luziden Träumen oder auch Klarträumen. Haupteigenschaft eines Klartraums ist hierfür das Bewusstsein darüber, dass sich die schlafende Person in einem Traum befindet. Jede*r zweite hat im Leben bereits die Erfahrung gemacht, sich des eigenen Träumens bewusst zu sein. Manchen gelingt es sogar, aktiv in die Handlung einzugreifen. Doch welche psychischen und physischen Prozesse stecken dahinter? Lassen sich durch das bewusste Steuern der Träume tatsächlich Albträume vermeiden und welche Grenzen und Risiken weist die Technik auf?
Geschichte und Definition
Klarträume sind kein modernes Forschungsthema des 21. Jahrhunderts. Bereits im alten Griechenland lag bei Geistlichen und Philosophen wie Aristoteles ein Interesse an der Fähigkeit, ein Bewusstsein für das eigene Träumen zu erlangen, vor. Obzwar die Geschichte des Klarträumens weit zurück reicht, so ist die moderne empirische Forschung dazu noch ziemlich jung und entwickelt sich schleppend. In der Vergangenheit wagten sich Philosophen und Traumforscher rund um Léon d’Hervey de Saint-Denys im 19. Jahrhundert an der Exploration von Klarträumen heran. Einen Meilenstein in der experimentellen Forschung legte jedoch der Psychologe Stephen LaBerge in den 1970er Jahren, indem er die Augenbewegungen der Schlafenden in einem Schlaflabor messen konnte. Heute werden besonders geübte Versuchspersonen im Rahmen einer Untersuchung von Klarträumen dazu aufgefordert, ihre Augen während des Schlafens in einem vorab festgelegten Rhythmus zu bewegen. Sofern die Versuchsperson auch nach Labormaßstäben träumt, gilt dies als Nachweis für einen Klartraum (Sibbel, 2014; Knab & Gerhard, 2017)
Zwar träumt nicht jeder Mensch luzid, aber jede*r träumt und das Nacht für Nacht. Träume werden in erster Linie während der REM-Schlafphase konstruiert. REM wird definiert als „Rapid Eye Movement“, zu Deutsch schnelle Augenbewegungen. Doch nicht nur in der REM-Schlafphase träumt der Mensch, auch in der Tiefschlafphase können sich Träume bilden, allerdings nicht so lebhaft und emotional aufgeladen wie im REM-Schlaf. Definitorisch gesehen lässt sich der Begriff „Klartraum“ auf den deutschen Psychologen Paul Tholey zurückführen. Das bedeutendste Charakteristikum ist laut Tholey dabei das Bewusstsein der träumenden Person darüber, dass sie sich in einem Traum und nicht im Wachzustand befindet. Weiters nennt Tholey eine lückenlose Erinnerung an das Geträumte, wohingegen bei unbewussten Träumen häufig die Geschehnisse nicht unbeeinträchtigt wiedergegeben werden können. Neben diesen Faktoren verfügen Klarträumer*innen über die Fähigkeit, die Welt, die sie selbst im Traum erschaffen haben, zu steuern und zu verändern. Die Träumenden sitzen demnach nicht vor einer Leinwand und beobachten die Ereignisse, sie sind selbst Regisseur*innen und Akteur*innen in der eigens erschaffenen Traumwelt (Sauerwein, 2011).
Somnologische Grundlage von REM-Schlaf und NREM-Schlaf
Der Mensch durchläuft während des Schlafens verschiedene Phasen, wobei vier im NREM-Schlaf („Non-Rapid-Eye-Movement“) und eine während des REM-Schlafs ablaufen. Daraus geht hervor, dass der Großteil des Schlafes im NREM-Schlaf verbracht wird, während nur 1/5 davon im REM-Schlaf abläuft. Träume können sowohl im REM-Schlaf als auch in der NREM-Schlaf Phase erlebt werden. Während Träume des NREM-Schlafs nur lückenhaft wiedergegeben werden können und eine einfachere Struktur aufweisen, sind jene im REM-Schlaf besser für die träumende Person replizierbar und fühlen sich intensiver an. Zudem können innerhalb der NREM-Schlaf Phase Phänomene wie Schlafwandeln oder Zähne-Knirschen auftreten. Parallel zum REM-Schlaf sind oftmals neben den schnellen Augenbewegungen außerdem Atmung, Herzschlag und Blutdruck unregelmäßig. Außerdem lässt die Muskelspannung nach und eine simultan erhöhte Hirndurchblutung tritt auf. Anhand von Studien mit bildgebenden Verfahren wie dem EEG oder PET konnten unterschiedliche Areale lokalisiert werden, die während des REM- und NREM-Schlafs aktiv sind. Dazu zählen unter anderem die Aktivitätserhöhung limbischer und paralimbischer Cortexareale während des REM-Schlafs und ein Aktivitätsabfall in thalamokortikalen Netzwerken beim NREM-Schlaf (Wetter, 2009).
Der Übergang vom Unbewussten zum Bewussten
Gemäß Tholey gibt es zwei unterschiedliche Methoden, die zur Erlangung des Bewusstseins während des Träumens verhelfen. Zum einen erwähnt er hierzu die Reflexionstechniken oder KLG-Techniken, die das Ziel verfolgen, während des Träumens ein Bewusstsein über das Traumgeschehen und das eigene Involviert-Sein zu erlangen und infolgedessen in den Klartraum zu gelangen. Ein bedeutendes Mittel im Rahmen der Reflexionstechniken ist dabei eine kritische Hinterfragung des Wachzustands. Daraus geht hervor, dass das Erlangen von Traumbewusstsein nicht im Traum selbst, sondern während des Wachzustandes trainiert wird, indem die Person die Realität hinterfragt und in Relation zum Traumzustand setzt. Im Fokus des Trainings steht dabei die Wahrnehmung, die durch sogenannte Reality-Checks, also einer Analyse der physikalischen Gegebenheiten, geschärft werden soll. Diese Kontrollen, dazu gehören unter anderem das Austesten, ob durch Wände hindurchgegriffen werden kann oder ob das Atmen durch geschlossener Nase möglich ist, sollen ein Gespür für kleinste Unstimmigkeiten entwickeln, welche in der Realität als unrealistisch eingestuft, im Klartraum hingegen als normal und erlebbar wahrgenommen werden. Unter regelmäßiger Durchführung der genannten Checks, können gemäß Tholey diese auch während eines gewöhnlichen Traums durchgeführt werden und so zu einem Klartraum und der Erlangung von Bewusstsein über das Träumen führen. Zum anderen spricht Tholey von Klarheit bewahrenden Techniken oder auch der KLB-Technik. Diese schützt demnach während des Übergangs in den Schlaf vor einem typischen Bewusstseinsverlust. So bleibt der Geist im aktiven Zustand, während der Körper simultan in den Schlaf übergeht (Sauerwein, 2011).
Klarträume bei der Traumabewältigung
Neben der Fähigkeit einen Traum zu steuern, können sich Klarträumende selbst zum Aufwachen bringen, beispielsweise während sie einen Albtraum erleben. Brigitte Holzinger, Psychologin und Leiterin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien, geht seit Jahren der Frage nach, ob luzide Träume bei der Bewältigung von Albträumen helfen können. Da sie in der Vergangenheit mit schwergradig traumatisierten Personen zusammengearbeitet hat, und diese teils jede Nacht Angst vor dem Einschlafen und den damit einhergehenden Albträumen hatten, zeigte sie ihnen die Technik des Klarträumens. Dadurch erlangten die Betroffenen ein Wissen darüber, dass sie den Albträumen nicht mehr hilflos ausgeliefert waren und sich von den unerwünschten Szenarien befreien konnten. Normalerweise wird eine Therapie für Menschen mit regelmäßigen Albträume im Wachzustand anhand der Image Rehearsal Therapie durchgeführt. Mit Hilfe dieser Technik versetzen sich Betroffene in die Lage eines Regisseurs und gestalten kognitiv die Szenen ihres Albtraums um. Infolgedessen sind sie in der Lage, das Gelernte während des Schlafens zu übertragen – oftmals mit Erfolg. Dennoch ist die Therapie mit Hilfe von Klarträumen nicht für alle geeignet da, entgegen allen Behauptungen von manchen Forscher*innen und Klartraum-Anhängern, diese Technik nicht von jede*m erlernt werden kann (Knab & Gerhard, 2017).
Fazit
Dank modernster bildgebender Verfahren wächst das Verständnis über Träume von Tag zu Tag. Eine nicht unwesentliche Rolle nimmt dabei die Klartraumforschung ein, welche den Sprung von der Esoterik-Szene in die Labore der Neurowissenschaft gemacht hat. Anhand der Erforschung von Klarträumen können Erkenntnisse über das Warum des Schlafens und Träumens gewonnen werden und darüber, welche Rolle dabei das Bewusstsein einnimmt. Nichtsdestotrotz steht die Untersuchung von Klarträumen vor gewissen Hürden, da trotz regelmäßigem Praktizierens, auch die geübtesten Klarträumer nicht auf Befehl einen luziden Traum evozieren können. Auch wenn einige Methoden zu einem steuerbaren Traumerlebnis führen können, wie beispielsweise die KLG-Technik oder aber sich während des Wachzustandes in den Arm zu kneifen, ist keine der genannten Techniken ein zuverlässiger Indikator für erfolgreiches Klarträumen. Bewusst aus einem Albtraum aufzuwachen oder aber aus einem unangenehmen Traumgeschehen ein schönes Erlebnis zu formen, kann vor allem Personen mit regelmäßigen Albträumen, wie sie gehäuft bei schwer traumatisierten oder depressiven Personen vorkommen helfen, dennoch sollten luzide Träume mit Bedacht antrainiert und erlebt werden. Denn bis zu diesem Zeitpunkt sind sich Forscher*innen noch nicht einig, welche psychischen Prozesse im Menschen ablaufen, wenn bewusst in das eigene Traumgeschehen eingegriffen wird. Expert*innen appellieren daher an einen respektvollen und behutsamen Umgang mit den eigenen Träumen (Knab & Gerhard, 2017).
Literaturverzeichnis
Knab, B. & Gerhard, S. (2017). Im Schlaf zur Erleuchtung. Zugriff am 28.04.2023. Verfügbar unter https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2017-09/luzide-traeume-schlaf-klartraeume-traumforschung-erinnerung
Sauerwein, J. (2011). Das Bewusstsein im Schlaf – Über die Funktion von Klarträumen. Image. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, 12, S. 66-81. doi: https://doi.org/10.25969/mediarep/16588
Sibbel, L. (2014). Was Träume über uns selbst verraten. Zugriff am 15.04.2023. Verfügbar unter https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article131682248/Was-Traeume-ueber-uns-selbst-verraten.html
Wetter, T.C. (2009). Schlaf und Bildgebung. Zugriff am 14.04. 2023. Verfügbar unter https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0029-1216144#ID_169_1
Bildnachweis
Titelbild: https://www.pexels.com/de-de/foto/person-frau-entspannung-wolken-8264248/