Im Jahr 2021 gab jeder vierte Deutsche an, sich häufig gestresst zu fühlen, wobei Schule, Studium und Beruf am stärksten belasten. Hohe Ansprüche an sich selbst, Konflikte im familiären Umfeld, ständige Erreichbarkeit sowie Kindererziehung werden als Ursachen für Stress genannt (TK, 2021, S. 8–16). Die für ein Fernstudium abgestimmten Präventionsmaßnahmen bedürfen der Verbindung dieser spezifischen Situation mit dem Phänomen Stress. Nachfolgend wird Stress im wissenschaftlichen Sinne definiert und seine Auswirkungen erläutert werden. Schließlich werden kontextspezifische Risikofaktoren identifiziert und Vorschläge zur Einflussnahme dieser unterbreitet. Wer also daran interessiert ist, zu erfahren wie Stressprävention im Fernstudium mit Familie und Beruf gestaltet werden kann, darf sich auf den Beitrag freuen.
Was ist Stress?
Wird ein bestimmtes Ereignis als Bedrohung für das körperliche oder psychische Wohlbefinden wahrgenommen, das aufgrund mangelnder Kapazitäten nicht als bewältigbar bewertet wird, verursacht dies körperliche oder geistige Spannungen (Rogers & Feuerstein, 2007, S. 2325). Diese Spannungen werden sehr unterschiedlich erlebt und können gesundheitsschädlich werden (Kaluza, 2018b, S. 30). Doch Stress bedeutet nicht gleich Stress: Positiv erlebter Stress (Eustress) ist für einen gesunden Lebenswandel essenziell. Führen die Konsequenzen des Stresserlebens jedoch zu Beeinträchtigungen, so wird Stress negativ erlebt (Distress) (Zimbardo, 2008, S. 476). Distress gilt als einer der Hauptgründe für psychisches und körperliches Leiden. Findet keine ausreichende Erholung statt, wird der Zustand chronisch und geht mit dysfunktionalen Verhaltensweisen einher. Daraus können ernstzunehmende Folgen wie bspw. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Kognitionseinbußen sowie Angststörungen, Depressionen und Süchte resultieren (Bak, 2023, S. 34; Kaluza, 2018b, S. 32).
Je nach Perspektive, kann Stress unterschiedlich operationalisiert werden und bedarf einer präzisen Definition, um Missverständnisse zu vermeiden. Die hier eingenommene Perspektive von Stress vollzieht sich auf der Ebene eines schädigenden Umweltreizes, wonach die Situation selbst als Stressauslöser (Stressor) betrachtet wird (Kaluza, 2018a, S. 62–63; Schwarzer, 2004, S. 153).
Identifikation von Risikofaktoren mithilfe von Rollentheorien
Rollen können definiert werden als erwartungsgemäße, sozial definierte Verhaltensmuster an den/die Rolleninhaber*in (Zimbardo, 2008, S. 670). Die Unvereinbarkeit mehrerer, gleichzeitig ausgeübter Rollen, kann zu sogenannten Interrollenkonflikten führen. Je unterschiedlicher und widersprüchlicher diese Rollen zueinander sind, umso gravierender ihre Auswirkungen auf das Individuum (Klüver, Klüver & Schmidt, 2021, S. 108).
Soziale Unterstützung als wichtige Ressource zur Stressprävention
Erfolgreiche Stressbewältigung bedarf unterschiedlicher Ressourcen. Im Kontext der fernstudienbedingten Mehrfachbeanspruchung kann das Konstrukt der sozialen Unterstützung besonders relevant sein. Darunter werden Ressourcen verstanden, die andere Menschen bereitstellen, indem sie vorgeben zu lieben, zu umsorgen, wertzuschätzen und mit anderen verbunden zu sein. Somit können dies materielle als auch emotionale Ressourcen sein: Trost und Mitgefühl, finanzielle Hilfen oder bspw. das Angebot zur Kinderbetreuung (Zimbardo, 2008, S. 483). Fehlt es an sozialer Unterstützung, kann dies zu sozialer Isolation führen, was wiederum als gesundheitsrelevanter Risikofaktor gilt (Kaluza, 2018b, S. 51).
Einflussnahme einer Stressebene unter Berücksichtigung von Rollentheorien und sozialer Unterstützung
Werden solche Situationen identifiziert, die zu Interrollenkonflikten und demnach zu Distress führen, macht eine Prävention dieser (Stressoren-) Ebene Sinn. Ziel sollte demnach sein, solche Umweltreize möglichst zu reduzieren, die mit potenzieller Bedrohungsassoziation aufgrund der Unvereinbarkeit mehrerer Rollen einhergehen. Nun macht es wenig Sinn, flexibel Rollen aus dem Leben einer Person zu streichen, da sie i.d.R. wichtige Bedürfnisse erfüllen, wie z.B. die Selbstverwirklichung, die mithilfe eines Studiums angestrebt werden könnte (Myers & DeWall, 2023, S. 471). Es braucht also ein geschicktes Management, genauer genommen ein optimiertes Zeitmanagement durch achtsamen Umgang mit der Zeit (Scherenberg & Buchwald, 2016, S. 97), um diese Rollen miteinander in Einklang zu bringen. Diese Fähigkeit wird ohnehin als relevant erachtet: 45,5% der befragten Personalverantwortlichen zählen Zeitmanagement zu einer sehr wichtige Sozialkompetenz (Statista, 2024). Ob nun im Kopf präsent, auf einem Blatt Papier an der Wand hängend oder digital visualisiert, wichtig ist es, sich seiner aktuellen Rollen stets bewusst zu sein. Wird ihnen eine würdige Priorisierung zugeordnet, erleichtert dies zudem die adäquate Gestaltung der Rahmenbedingung. Das Konstrukt der sozialen Unterstützung kann damit eng verbunden sein. Denn eine adäquate Ausübung der Studentenrolle ist bspw. ohne verfügbare Kinderbetreuung mit dem Interrollenkonfliktrisiko und demnach mit Stress assoziiert, sodass soziale Unterstützung eine wichtige Ressource darstellt.
Zusammenfassung und Fazit
Stress ist ein komplexes Phänomen, das bei negativem Erleben (Distress) mit körperlichem und psychischem Leiden verbunden sein kann, insbesondere dann, wenn keine ausreichende Erholung stattfindet und der Zustand chronisch wird. Besonders häufig betroffen sind Fernstudierende mit Mehrfachbeanspruchung durch Familie und Beruf. Mit zunehmender Rollenausübung und mangelnder sozialer Unterstützung geht die Gefahr von Distress einher, sodass Stressprävention nicht unterschätzt werden sollte. Die Einflussnahme auf Distress kann mit Blick auf den Umweltreiz als Auslöser erfolgen. Optimiertes Zeitmanagement unter Berücksichtigung jeder relevanten Rollenausübung kann mithilfe sozialer Unterstützung gelingen. Mein Fazit:
Scheuen Sie sich nicht, soziale Unterstützung, insbesondere während Ihrer Fernstudienzeit, in Anspruch zu nehmen. Sie ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine wichtige Ressource und die Fähigkeit eigene Grenzen zu kennen und einschätzen zu können. Zudem leisten Sie damit einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Bewältigung Ihres Fernstudiums (Scherenberg & Buchwald, 2016a, S. 142).
Bildnachweis
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Literaturverzeichnis
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