In diesem Artikel geht es um Prävention. Das Wort für sich genommen löst bei manchen Menschen gleich ein ödes Gefühl aus, da häufig ein Verzicht auf etwas Schönes oder Leckeres damit verbunden oder der erhobene Zeigefinger einer Person im weißen Kittel und strengen Blick damit assoziiert wird. Aber das muss nicht so sein, lesen Sie ruhig weiter.
Demenz stellt in ihren unterschiedlichen Formen eine weltweit stark verbreitete Erkrankung des höheren Alters dar. Es gibt einige wichtige Risikofaktoren für ihre Entstehung, darunter schlechte Ernährung, hoher Blutdruck, Einsamkeit, Depression und mangelnde körperliche und geistige Aktivität . Im Folgenden wird auf die Bedeutung von körperlicher Bewegung und insbesondere des Tanzens bei der Entwicklung von Demenz eingegangen. Zunächst jedoch wird an dieser Stelle ein Überblick über Demenz als Erkrankung gegeben sowie aktuelle Gesichtspunkte zur Therapie dargestellt.
Was wird unter Demenz verstanden und wie stark ist die Verbreitung?
Mit dem Begriff Demenz wird ein Syndrom bezeichnet, welches als Folge einer organischen Hirnerkrankung mit Gehirnschädigung auftritt und durch das früher im Leben erlernte Fähigkeiten verloren gehen (3,4). Es können Gehirnfunktionen wie Denken, Sprechen, Rechnen, Orientierung, Auffassungsgabe, Lernfähigkeit und Urteilsvermögen beeinträchtigt sein. Diese kognitiven Einschränkungen werden oftmals begleitet von Veränderungen der Motivation, der Emotionsregulierung und des Sozialverhaltens.
Die wohl bekannteste Form ist die Alzheimer Demenz, welche 75% der in Deutschland diagnostizierten Demenzerkrankungen ausmacht (2). Weitere Arten der Demenz sind die arteriosklerotische (durch Gefäßverkalkung verursachte) und die senile Demenz (3). Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit ca. 55 Millionen Menschen an Demenz erkrankt mit einer prognostizierten Zunahme von 10 Millionen pro Jahr (Website Dementia WHO 2023). Eine Hochrechnung für Deutschland sieht laut Krankenkassen- und Umfragedaten folgendermaßen aus: lag die Zahl der Demenzerkrankungen 2021 bei ca. 1,5 Millionen, so kann diese bis 2050 auf 3,5 Millionen ansteigen (2). Ein wesentlicher Grund für diese hohe Prävalenz in Deutschland ist neben persönlichen Risikofaktoren die steigende Lebenserwartung in Kombination mit sinkenden Geburtenzahlen.
Behandlungsmöglichkeiten von Demenz
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels hin zu einer immer älter werdenden Bevölkerung bekommt die Behandlung von altersbedingten Erkrankungen wie Demenz eine zu- nehmende Bedeutung. Die Tatsache, dass es aktuell keine zugelassene pharmakologische Therapie für Demenz gibt, rückt den Fokus auf nichtmedizinische Interventionen im Rahmen der Prävention in den Mittelpunkt (5). Es gehört zum normalen Alterungsprozess dazu, dass Gehirnfunktionen sich verändern und nachlassen. Ein wichtiger Ansatz in der Prävention ist demzufolge, durch wirksame Stimulation verschiedenster Hirnregionen diesen Prozess positiv zu beeinflussen und damit zu verlangsamen. In Bezug auf die Entstehung von Erkrankungen wie der Alzheimer Demenz ist bedeutsam, dass es eine etwa 20 Jahre dauernde symptomfreie Latenzphase gibt, in der bereits hirnorganische Veränderungen passieren bevor die ersten deutlichen Symptome sichtbar und spürbar werden (2).
Präventive Maßnahmen in diesem Zeitraum wirken sich positiv auf die Manifestation der Demenz aus und können diese hinauszögern und verlangsamen. Zugrundeliegend dabei ist die Neuroplastizität des Gehirns, welche ein Leben lang nachweisbare strukturelle und funktionelle Veränderungen ermöglicht (6). Im Rahmen der Prävention haben vor allem körperliche Bewegung und soziale Interaktionen einen positiven Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung von Demenz (5,7). Aerobes Ausdauertraining hat sich als wirksam gegenüber beeinflussbaren Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Übergewicht, Depression, hoher Blutdruck oder Diabetes mellitus erwiesen (2,6).
Und was hat Tanzen damit zu tun?
Tanzen ist eine Aktivität, bei der verschiedene Anforderungen und komplexe Abläufe eingebettet in ein soziales Geschehen aufeinandertreffen. Bewegungsmuster werden neu gelernt und in einer wechselnden Reihenfolge gebraucht – für das Gehirn bedeutet das ein fortlaufendes Speichern und Abrufen. Es werden motorische, sensorische und kognitive Fähigkeiten benötigt. Die Musik gibt nicht nur einen Rhythmus sondern auch ein Tempo vor, was die Kondition trainiert. Neben diesen Effekten kommt beim Tanzen ganz entscheidend der sozial – interaktive Gesichtspunkt hinzu (2).
Es konnte gezeigt werden, dass Tanztraining zu eindrucksvollen Ergebnisse führen kann (8): Im Verlauf der 18-monatigen Studie wurde bei den tanzenden Senioren zwischen 63 und 80 Jahren gegenüber der Kontrollgruppe, die ein normales Sportprogramm erhielt, eine Zunahme grauer Hirnsubstanz festgestellt. Parallel dazu konnte im Blut ein signifikanter Anstieg des Nervenwachstumsfaktors BNDF nachgewiesen werden. Außerdem zeigte sich in der Tanzgruppe eine deutliche Verbesserung der Aufmerksamkeit, der Gedächtnisleistung, der Reaktionsgeschwindigkeit und des Gleichgewichts.
Fazit
Die WHO stellt in ihrer Richtlinie zur Vorbeugung und Behandlung dementieller Erkrankungen 12 Handlungsstrategien vor, wobei körperliche Aktivität auf Platz 1 steht (9). In Bezug auf die oben beschriebenen Vorteile des Tanzens erscheint diese Form der Bewegung besonders geeignet, den normalen Alterungsprozessen sowie der Entstehung und dem Verlauf von Demenz etwas entgegenzusetzen. Eine vielseitigere und zugleich unterhaltsamere Präventionsmaßnahme als Jive, Tango, Disco-Fox, langsamen Walzer oder Volkstänze gibt es wohl kaum.
Und: Ist Tanzen als Prävention wirklich nur etwas für ältere Menschen?
Da speziell die Alzheimer Demenz mit einer sehr langen Latenzphase einhergeht, ist es möglich, dass bereits in einem relativ jungen Alter, in dem Menschen noch berufstätig und fit sind, diese Gehirnveränderungen schon begonnen haben. Niemand kann in die Zukunft blicken und sicher sein, was auf ihn zukommt – da ist der Blick auf das Angebot von Tanzschulen in der Nähe schon einfacher! Los geht’s…
Literaturverzeichnis:
1. Kessler J, Linden P, Folkerts AK. Der andere Anti-Demenz-Ratgeber: Wie Sie mit falscher Ernährung, wenig Bewegung und Einsamkeit Ihren Verstand schädigen [Internet]. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2020 [zitiert 8. Januar 2024]. Verfügbar unter: https://link.springer.com/10.1007/978-3-662-60606-3
2. Müller P, Stiebler M, Schreiber S, Braun-Dullaeus R, Hökelmann A, Müller NG. Bewegung gegen Vergesslichkeit: Besonders Tanzen beugt Demenz vor. Geriatr-Rep. 1. November 2021;16(4):18–20.
3. Delank HW. Neurologie. 7. Auflage. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag; 1994. (Enke Reihe zur AO(Ä)).
4. Zentralinstitut für die Kassenärztliche Vereinigung. Zi-Kodier-Manual Demenz [Internet]. 2023 [zitiert 11. Januar 2024]. Verfügbar unter: https://www.zi.de/fileadmin/Downloads/Themen/Medizin/Kodierung/Manual_Demenz_2023.pdf
5. Müller P, Schmicker M, Müller NG. Präventionsstrategien gegen Demenz. Z Für Gerontol Geriatr. Mai 2017;50(S2):89–95.
6. Kempermann G. Körperliche Aktivität und Hirnfunktion. Internist. 1. Juni 2012;53(6):698–704.
7. World Health Organization. Dementia [Internet]. 2024 [zitiert 8. Januar 2024]. Verfügbar unter: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/dementia
8. Müller P, Rehfeld K, Schmicker M, Hökelmann A, Dordevic M, Lessmann V, u. a. Evolution of Neuroplasticity in Response to Physical Activity in Old Age: The Case for Dancing. Front Aging Neurosci [Internet]. 14. März 2017 [zitiert 12. Januar 2024];9. Verfügbar unter: http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fnagi.2017.00056/full
9. World Health Organization. Risk reduction of cognitive decline and dementia: WHO guidelines [Internet]. Geneva: World Health Organization; 2019 [zitiert 12. Januar 2024]. Verfügbar unter: https://iris.who.int/handle/10665/312180
Bildquelle: https://unsplash.com/de/fotos/mann-und-frau-tanzen-im-gebaude-H0rpqkUlmWk