By Published On: 18. April 2024Categories: Digitalisierung

In der zunehmend digitalisierten Welt gewinnt das Konzept der digitalen Souveränität auch für die Europäische Union immer mehr an Bedeutung. Denn Politiker:innen, Unternehmen und Bürger:innen generieren kontinuierlich größere Mengen digitaler Daten. Dabei streben alle Parteien stets danach, ihre Unabhängigkeit und Kontrolle über diese zu bewahren.  Dies stellt für die Europäische Union eine Herausforderung dar, die bislang nicht vollständig bewältigt ist. Im Folgenden werden die Bedeutung von digitaler Souveränität in der EU untersucht, aktuelle Herausforderungen analysiert und zukünftige Perspektiven und Maßnahmen aufgezeigt.

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung in die Begrifflichkeit
  2. Aktuelle Herausforderungen
  3. Zukünftige Perspektiven und Maßnahmen
  4. Zusammenfassung

1. Einführung in die Begrifflichkeit der digitalen Souveränität in der EU

Digitale Souveränität im Allgemeinen bezieht sich auf die Fähigkeit einer Einheit, ihre eigenen digitalen Daten und Technologien unabhängig zu kontrollieren und zu nutzen. Dies erfordert nicht nur moderne und vertrauenswürdige Informationstechnik und Expertise, sondern auch politische Entscheidungen zu Regulierungen in dem Bereich.
Solche politischen Entscheidungen werden unter anderem durch die EU durchgeführt, um durch ihre digitale Souveränität die Position im globalen, digitalen Wettbewerb zu stärken, die Privatsphäre von Bürger:innen zu schützen und die Sicherheit digitaler (kritischer) Infrastrukturen zu gewährleisten. Dazu gehören beispielsweise die Festlegung und Durchsetzung von Normen und Standards für den digitalen Markt und die Regulierung von Technologien wie aktuell künstliche Intelligenz (KI), Cloud-Dienste und Cybersicherheit (Bendiek & Stürzer).

In der wissenschaftlichen Analyse wird der Begriff der digitalen Souveränität in Bezug auf die Fähigkeit der EU zur politischen Interessenswahrnehmung bisher kaum verwendet. Stattdessen wird er hauptsächlich in politiknahen Institutionen genutzt, um die Fähigkeit von Bürgern und Unternehmen zu beschreiben, digitale Technologien selbstbestimmt zu nutzen (Bendiek & Neyer, 2020, S. 104).
Bendiek und Neyer schlagen daher vor, die Fähigkeit der EU zur digitalen Selbstbestimmung entlang der Begriffe „digital“ und „Souveränität“ einzeln zu betrachten:
Digitales in der EU bezieht sich auf die algorithmische Verarbeitung von Sachverhalten in Politik, Wohlfahrt und Sicherheit. Diese digitale Verarbeitung umfasst die Analyse und Nutzung von Daten sowie die Anwendung von IT-Lösungen zu Problemen und zur Optimierung von Prozessen in diesen Bereichen.
Der Begriff der Souveränität kann in dem Zusammenhang in drei Weisen interpretiert werden:

  • rechtliche Souveränität = das Recht, verbindliche Entscheidungen zu treffen
  • politische Souveränität = die faktische Fähigkeit, Regelungen zu erlassen
  • und Volkssouveränität = die Fähigkeit eines Volkes, einen gemeinsamen Willen zu bilden

Wenn man diese Definitionen miteinander kombiniert und auf die EU anwendet, bezeichnet Digitale Souveränität die Fähigkeit der EU, in algorithmisch geprägten Umgebungen, eigenständige Entscheidungen zu treffen und politische Ergebnisse zu erzielen, die den Werten und Prinzipien des EU-Binnenmarkts und seiner Völker entsprechen (Bendiek & Neyer, 2020, S. 105-106). Dies mag simpel und einleuchtend erscheinen, allerdings gibt es bei der Umsetzung von politischen Entscheidungen und Regulierungen im digitalen Umfeld einige Herausforderungen für die EU. Einige davon werden im folgenden Kapitel kurz aufgezeigt.

2. Aktuelle Herausforderungen für die digitale Souveränität in der EU

Die Herausforderungen, um eine digitale Souveränität in der EU erreichen zu können sind vielseitig und verändern sich stetig durch die rasante Entwicklung neuer Technologien.

Cybersicherheit: Die zunehmende Vernetzung von Systemen und die damit einhergehende Bedrohung durch Cyberangriffe erfordern eine Stärkung der Cybersicherheit in der gesamten EU. Diese Systeme werden aktuell insbesondere von US-amerikanischen und chinesischen Unternehmen dominiert. Dies führt wiederum zu einer Abhängigkeit, die bewirken könnte, dass die EU nicht in der Lage, ihre eigenen Regeln und Werte im digitalen Raum durchzusetzen und somit anfällig für externe Einflüsse und Bedrohungen (Farrand & Carrapico, 2022).

Abhängigkeit von außereuropäischen Technologiegiganten: Weiterhin steht die EU vor der Herausforderung, ihre Abhängigkeit von Technologieunternehmen außerhalb ihrer Grenzen zu verringern. Außereuropäischen Technologiegiganten dominieren den Markt für digitale Dienste, und haben somit eine große Marktmacht. Durch die weitgehende Kontrolle der Technologien der Unternehmen außerhalb des Einflussbereiches der EU, kann die digitale Souveränität der EU beeinträchtigt werden.
Auch jüngste Entwicklungen von Künstlicher Intelligenz stellen in diesem Zusammenhang eine Herausforderung dar. Die EU verfügt über wenige Werkzeuge, um eine globale Führungsrolle bei der Festlegung von KI-Standards zu übernehmen, da es ihr an einer führenden KI-Industrie und einer kohärenten Verteidigungsstrategie (Calderaro & Blumfelde, 2022). Im gleichen Zuge führt der Versuch der EU große Technologieunternehmen zu regulieren (um fairen Wettbewerb zu gewährleisten und Datenhoheit zu schützen) gelegentlich zu Bedenken. Beispielsweise seitens der USA äußerten Politiker:innen Sicherheitsbedenken  durch Bestimmungen des Digital Markets Act (DMA), der unter anderem die Verbreitung von Programmen wie Apps außerhalb geschlossener Systeme erlaubt (Bendiek & Stürzer, 2022).

Datenschutz und Datensicherheit: Wie in der Einführung erwähnt, ist der Schutz personenbezogener Daten und die Gewährleistung der Datensicherheit entscheidend für die digitale Souveränität. Die DSGVO ist ein Schritt in diese Richtung, aber die Durchsetzung bei der großen Masse an Unternehmen und gegenüber mächtigen Technologieunternehmen bleibt eine Herausforderung (Li et al., 2019; Voigt & von dem Bussche, 2017).

Digitale Spaltung:  Es gibt eine Ungleichheit von Technologien in EU-Staaten, die durch die rasanten Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien, kombiniert mit der Zugangslücke zu Informationen einiger Staaten entsteht. Diese digitale Kluft innerhalb der EU-Mitgliedstaaten untergräbt die Bemühungen um eine einheitliche digitale Souveränität. Unterschiede im Zugang zu digitalen Technologien und Fähigkeiten führen zu ungleichen Chancen (Szeles, 2018).

3. Zukünftige Perspektive und mögliche Maßnahmen

Es wurden bereits 2020 in einem Briefing des Forschungsdienst des Europäischen Parlaments (European Union, 2020) Maßnahmen zur Bewältigung der Herausforderungen vorgeschlagen:

  • Cybersicherheit: Es wird eine verbesserte Koordination und Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten im Bereich der Cybersicherheit gefordert. Dies beinhaltet beispielsweise die Einführung eines EU-weiten Cybersicherheitszertifizierungsschemas.
  • Regulierung und Wettbewerbspolitik: Die Überprüfung und Anpassung der EU-Wettbewerbspolitik und des regulatorischen Rahmens an die Anforderungen des digitalen Zeitalters sind wesentliche Punkte. Es wird auch die Schaffung eines EU-weiten Rahmens für die Sicherheit und Regulierung digitaler Plattformen und Ökosysteme angeregt.
  • Datenschutz: Durch die Schaffung europäischer Datenräume soll mehr Daten für die Nutzung in der Wirtschaft und Gesellschaft verfügbar gemacht werden. Gleichzeitig sollen Unternehmen und Einzelpersonen die Kontrolle über ihre Daten behalten.
  • Förderung von Innovation und Technologie: Vorgeschlagen werden Investitionen in Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz, Internet of Things (IoT), Blockchain und Quantentechnologien. Außerdem soll ein Innovationsökosystem in Europa durch Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor gefördert werden, ebenfalls die Förderung von Forschungskooperationen auf EU-Ebene.

Bendiek und Stürzer betonen zudem die Wichtigkeit der Transatlantische Zusammenarbeit, um einen demokratischen und fairen digitalen Markt zu fördern, insbesondere angesichts des Wettbewerbsdrucks aus China. Dafür wurde bereits der Handels- und Technologierat (TTC) von der EU und den USA ins Leben gerufen (Bendiek & Stürzer, 2022).

4. Zusammenfassung

Digitale Souveränität ist ein zentrales Thema für die Zukunft Europas. Die EU muss ihre Unabhängigkeit im digitalen Raum wahren, um ihre Bürger zu schützen und international wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Zukunft der digitalen Souveränität in der EU hängt von einer konsequenten Umsetzung geeigneter Maßnahmen ab. Durch Investitionen in Forschung und Entwicklung, den Ausbau digitaler Kompetenzen sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft aber auch mit anderen Staaten kann die EU ihre Position als globaler Akteur im digitalen Zeitalter stärken.

Bildverzeichnis

https://pixabay.com/illustrations/gdpr-privacy-europe-eu-authority-3518254/

Literarturverzeichnis

Bendiek, A., & Neyer, J. (2020). Europas digitale Souveränität. Bedingungen und Herausforderungen internationaler politischer Handlungsfähigkeit. In M. Oswald & I. Borucki (Eds.), Demokratietheorie im Zeitalter der Frühdigitalisierung (pp. 103-125). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30997-8_6

Bendiek, A., & Stürzer, I. (2022). https://www.swp-berlin.org/publikation/die-digitale-souveraenitaet-der-eu-ist-umstritten

Calderaro, A., & Blumfelde, S. (2022). Artificial intelligence and EU security: the false promise of digital sovereignty. European Security, 31(3), 415-434. https://doi.org/10.1080/09662839.2022.2101885

European Union. (2020). Digital sovereignty for Europe. https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2020/651992/EPRS_BRI%282020%29651992_EN.pdf

Farrand, B., & Carrapico, H. (2022). Digital sovereignty and taking back control: from regulatory capitalism to regulatory mercantilism in EU cybersecurity. European Security, 31, 435-453. https://doi.org/10.1080/09662839.2022.2102896

Li, H., Yu, L., & He, W. (2019). The Impact of GDPR on Global Technology Development. Journal of Global Information Technology Management, 22(1), 1-6. https://doi.org/10.1080/1097198X.2019.1569186

Szeles, M. R. (2018). New insights from a multilevel approach to the regional digital divide in the European Union. Telecommunications Policy, 42(6), 452-463. https://doi.org/10.1016/j.telpol.2018.03.007

Voigt, P., & von dem Bussche, A. (2017). Enforcement and Fines Under the GDPR. In P. Voigt & A. von dem Bussche (Eds.), The EU General Data Protection Regulation (GDPR): A Practical Guide (pp. 201-217). Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-319-57959-7_7

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