Einführung
In vielen Orten des öffentlichen Lebens sind wir mit Überwachungstechnologie konfrontiert. Sei es an Bahnhöfen, Flughäfen, Einkaufszentren oder dem Straßenverkehr – in Ballungszentren gibt es kaum einen Ort, wo keine Kameraüberwachung besteht. Vorwiegend zur Erhöhung der Sicherheit oder zumindest des Sicherheitsgefühls scheinen diese Maßnahmen eine Überwachungsdichte zu ermöglichen, die durch menschliches Personal kaum zu stemmen ist. Doch gibt es tatsächliche Belege für die abschreckende Wirkung einer Kamera? Gibt es negative Einflüsse auf sich rechtens verhaltende Menschen?
Überwachung durch Kameraanlagen im weltweiten Vergleich
Weltweit gibt es erhebliche Unterschiede, was die Anzahl an Überwachungsgeräten und deren Präsenz in der Öffentlichkeit angeht. In der Volksrepublik China könnten nach Schätzungen 439,07 Überwachungskamera pro 100 Einwohner existieren. Im Vergleich mit. Die Statistik führt auch auf, welche Städte zu den 10 am meisten überwachten nach Kameras/1000 Einwohner oder Kameras/km² gehören. Hierbei sind außerhalb von China insbesondere London, Los Angeles oder Moskau zu nennen. Es finden sich beispielsweise in London pro 1000 Einwohner 13,21 Kameras und pro km² 209,94 Kameras. Im Vergleich zu den chinesischen Werten ist dies gering (Bond & Moody, 2023). In Berlin dagegen finden sich 7,7 Kameras pro 1000 Einwohner. (Bond & Moody, 2023, zitiert nach de.statista.com, 2023).
Situationsbezogene Kriminalitätsprävention
Situationsbezogene Kriminalprävention soll dafür sorgen, dass Tätern weniger Gelegenheit und Anreiz gegeben werden, ihre Tat auch tatsächlich durchzuführen. besteht aus drei Komponenten (Clarke, 1997, S. 4):
– direkte Ausrichtung auf spezifische Kriminalität
– Veränderung der Umwelt durch feste und zielgerichtete Maßnahmen
– das Erhöhen der Schwierigkeit, des Risikos, gefasst zu werden oder
– das Minimieren des Ertrags durch die Tat
Objektiv betrachtet scheint das Anwenden von Kameratechnik hierfür vortrefflich geeignet zu sein. Sie ist im Vergleich zu Sicherheits- oder Polizeikräften günstig, erfordert keine Lohnkosten oder Ausbildungszeit, weniger Platz und kann an unzähligen Orten zeitgleich eingesetzt werden. Sie dient dazu, den Tätern ein Gefühl der Unsicherheit zu verschaffen und die Attraktivität der Tat durch die höhere Wahrscheinlichkeit, gefasst zu werden, zu minimieren. Doch kann Überwachungstechnik tatsächlich einen messbaren Rückgang der Kriminalität begründen? Schließlich kann die Technologie keinen unmittelbaren physischen Effekt auf die Täter ausüben.
Erfolg von Kameraüberwachung
In einer Metaanalyse wurden diverse Studien zum Thema der Effektivität von Kameraüberwachung in öffentlichen Räumen auf die Kriminalitätsrate untersucht (vorwiegend, n=34, aus dem Vereinigten Königreich). Es wurden im Zeitraum von 2007-2017 80 Studien in die Analyse einbezogen, die die Anzahl begangener Straftaten im Kontrollgebiet vor und nach der Installation einer Videoüberwachung maß und das Chancenverhältnis (Odds Ratio, OR) bestimmte. Hierbei gilt: OR ≥ 1,0 = erfolgeicher Effekt der Maßnahme, OR ≤ 1,0 = negativer Effekt (Piza et al., 2019, S. 138–140).
Die Ergebnisse wurden nach Kategorien der analysierten Kontrollgebiete aufgeteilt (Auszug):
- Parkplätze: Bei Parkplätzen wurde der stärkste positive Präventionseffekt aller Kategorien gefunden (OR=1,588, p=0,027, statistisch signifikant). Dies bedeutet einen Rückgang der Kriminalität um 37 % im Vergleich zu nicht-überwachten Gebieten.
- Im ÖPNV wurden nur statistisch nicht signifikante, aber dennoch positive Effekte (OR=1,370, p=0,227) gefunden.
- Die Verwendung von Überwachungstechnik in öffentlichen Räumen in Städten konnte nur schwach einen positiven Effekt auf die Kriminalitätsrate bewirken (OR=1,066). Hierbei fällt auf, dass der Effekt im Vergleich zu Parkplätzen oder auch dem ÖPNV noch deutlich geringer ausfällt
(Piza et al., 2019, S. 141–144)
Die vorgestellten Bereiche sind für die Allgemeinheit besonders interessant und betreffen die meisten Menschen. Es konnte überall ein mindestens schwach positiver Effekt gefunden werden. Grundsätzlich ist die Anwendung von Kameratechnologie somit aus kriminologischer Perspektive als positiv und sinnvoll zu sehen.
Negative Effekte
Eine Analyse der Videoüberwachung in Amsterdam sollte den Effekt auf die Verdrängung der Kriminalität und die gefühlte Sicherheit der Menschen untersuchen. Um den Verdrängungseffekt zu bestimmen wurde in der Nähe des überwachten Gebiets ein ähnliches Areal ausgemacht, was für eine Ansiedlung der verdrängten Kriminalität passend schien. Eine Umfrage bestätigte einen Rückgang der Kriminalität in den überwachten Gebieten um 23 %. Die Angst vor der Kriminalität ging nur mäßig zurück (92 auf 81 %), außerdem wurde auch keine erhöhte Angst davor in dem postulierten Verdrängungsort festgestellt. Bezüglich der Verdrängung muss gesagt werden, dass die Kriminalitätszahlen im überwachten (z.B. Rückgang um 12 % bei Gewaltdelikten) Bereich stark sanken. Im Verdrängungsgebiet stiegen die Raubtaten (+ 8 %) und Körperverletzung (+ 6 %) an; im Übrigen sanken die Kriminalitätszahlen in diesem Bereich geringer als im überwachten. Ein Verdrängungseffekt ist daher z.B. für die Raubstraftaten anzunehmen. (Flight et al., 2007, S. 5–8).
Neben dem Verdrängungseffekt könnte auch ein Gefühl der Unsicherheit bei sich regelkonform verhaltenden Menschen hervorgerufen werden. Beispielsweise kann das Wissen, dauerhaft beobachtet zu werden, zu einer erhöhten inneren Anspannung und Angst vor unbewussten Fehlverhalten führen. Dem entgegenzuwirken ist also im Verhältnis zur erhöhten öffentlichen Sicherheit wichtig, um die Akzeptanz der Maßnahmen zu erhöhen (Malik et al., 2024, 5, 10).
Fazit
Abschließend lässt sich sagen, dass der positive Effekt der Videoüberwachung belegbar ist. Jedoch bringt er auch negative Einflüsse mit sich, wie die Verdrängung oder Furcht sich regelkonform verhaltender Menschen. Daher ist das transparente Aufzeigen der positiven Effekte sicher sinnvoll, um das Verständnis und mögliche Ängste in der Allgemeinheit zu minimieren. Es ist neben der dauerhaften Videoüberwachung gerade an Brennpunkten auch polizeiliche Präsenz erforderlich, um die Abschreckungswirkung durch die maximal erhöhte Wahrscheinlichkeit, gefasst zu werden, noch zu steigern.
Es ist aber auch zu beachten, dass Täter, insbesondere unter Einfluss von Betäubungsmitteln, Alkohol oder psychischen Erkrankungen das Entdeckungsrisiko nicht rational abwägen. Diese Kritik ist des Öfteren geäußert worden: die Empfehlung der situationsbezogenen Prävention bezieht sich auf die Rational Choice Theory, wonach Personen eine Handlung aus persönlichen Bedürfnissen durchführt und abwägt. Insbesondere wird Kritik laut, weil die Theorie als zu objektiv gilt und eben keinerlei Beachtung dem Affekt und Emotion der Täter schenkt Jedoch ließ sich die Theorie in Studien auch nicht komplett widerlegen. (Clarke, 1997, 6, 10; Loughran et al., 2016, S. 86–87). Diese Unsicherheit begründet dringend weiteren Forschungsbedarf.
Literaturverzeichnis
Bond, C. & Moody, R. (2023). Surveillance Camera Statistics: The World’s Most-Surveilled Cities. https://www.comparitech.com/vpn-privacy/the-worlds-most-surveilled-cities/
Clarke, R. V. (1997). Situational crime prevention: Successful case studies (2. ed.). Criminal Justice Press; Harrow and Heston.
de.statista.com (Hrsg.). (2023). Anzahl der Überwachungskameras (CCTV) je 1.000 Einwohner in ausgewählten Großstädten weltweit 2023. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1136552/umfrage/cctv-kameras-in-ausgewaehlten-grossstaedten/
Flight, S., Van Heerwaarden, Y. & Van Soomeren, P. (2007). Does CCTV displace crime? An evaluation of the evidence and a case study from Amsterdam. In M. L. Gill (Hrsg.), CCTV (Softcover reprint of the original 1st ed. 2003). Palgrave Macmillan.
Loughran, T. A., Paternoster, R., Chalfin, A. & Wilson, T. (2016). CAN RATIONAL CHOICE BE CONSIDERED A GENERAL THEORY OF CRIME? EVIDENCE FROM INDIVIDUAL-LEVEL PANEL DATA. Criminology, 54, 86–112.
Malik, A. S., Acharya, S. & Humane, S. (2024). Exploring the Impact of Security Technologies on Mental Health: A Comprehensive Review. Cureus, 16(2), e53664. https://doi.org/10.7759/cureus.53664
Piza, E. L., Welsh, B. C., Farrington, D. P. & Thomas, A. L. (2019). CCTV Surveillance For Crime Prevention: A 40-year systematic review with meta-analysis. Criminology & Public Policy(1), 135-159. https://doi.org/10.1111/1745-9133.12419
Abbildungsverzeichnis
Beitragsbild: ElasticComputeFarm (2016). Pixabay.com. Abgerufen am 17.09.2024. https://pixabay.com/de/photos/cctv-sicherheit-kamera-1144371/