By Published On: 3. Oktober 2024Categories: Gesundheit, Psychologie

Eigentlich ist es ein ganz besonderer Augenblick für Eltern, ein Kind zu bekommen. Insbesondere der Moment, in dem das Neugeborene erstmalig im Arm gehalten werden kann. Doch für manche Mütter und Väter ist die Geburt ihres Kindes mit ganz anderen Erfahrungen verbunden. Wenn sich etwa in einer der verletzlichsten Phasen des Lebens Übergriffe ereignen, die sich in Form von psychischer oder physischer Gewalt darstellen können. Berichte über missbräuchliche Behandlung unter der Geburt beinhalten unter anderem körperliche Misshandlung, Demütigung, verbale Beleidigung, aufgezwungene oder ohne ausdrückliche Einwilligung vorgenommene medizinische Eingriffe, grobe Verletzung der Intimsphäre oder Vernachlässigung von Frauen unter der Geburt (WHO Team: Sexual and Reproductive Health and Research (SRH), 2014, S. 1). Dies in einer Situation zu erleben, in der eine Frau besonders verletzlich und wenig handlungsfähig ist, kann zu erheblichen psychischen Beeinträchtigungen führen. 

Abb. 1: Negative Geburtserfahrung

Unmittelbar und langfristig können Erlebnisse dieser Art negative Folgen für die Mutter, den Säugling und auch für den Vater haben. Für die einzelnen Personen, aber auch für die Beziehungen zwischen der Mutter, dem Vater und dem Kind. Dabei reichen die emotionalen und psychischen Reaktionen von kurzfristiger Trauer und Wut bis hin zu Traumata und schweren psychischen Erkrankungen. 30 % aller Frauen berichten nach einer traumatisch erlebten Geburt von subklinischen Symptomen und 4% der Mütter entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Dabei ist eine postpartale PTBS weniger stark mit medizinischen Interventionen assoziiert als mit der subjektiven Erfahrung der Mutter (Kerr et al., 2023, S. 1; Mundlos, 2015, S. 169; WHO Team: Sexual and Reproductive Health and Research (SRH), 2014, S. 1).

Wenn Gewalt unter der Geburt erlebt wurde, kann dies neben einer PTBS auch zu Angstzuständen, Depressionen und anderen psychischen Problemen führen (Mundlos, 2015, S. 170-171). Zur Überwindung solcher negativen Nachwirkungen bietet die Psychotherapie wirksame Methoden und kann betroffenen Frauen helfen, die belastenden Erlebnisse zu verarbeiten und zu überwinden. Dabei sind kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen die ersten der Wahl. Diese bestehen aus Psychoedukation, Entspannungstrainings sowie kognitiver Therapie. Therapieziele können sein:

  • Reduktion des Wiedererlebens   
  • Modifikation dysfunktionaler Gedanken und Überzeugungen
  • Abbau von kognitivem und offenem Vermeidungsverhalten (Wittchen & Hoyer, 2011, S. 999)
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)
Die PTBS ist eine mögliche Folgereaktion aufgrund des Erlebens oder Beobachtens einer oder mehrerer traumatischer Situationen, welche einen außergewöhnlich bedrohlichen Charakter haben. Beispiele sind das Erleben von Unfällen, körperlicher oder sexualisierter Gewalt, Krieg, Naturkatastrophen, Mord oder Folter. Dabei sind charakteristisch für die PTBS das ungewollte Wiedererleben von Aspekten des Traumas mit den gleichen sensorischen Reaktionen wie während des traumatischen Erlebnisses. Dabei werden Situationen oder Personen, die an das Trauma erinnern, von den Betroffenen als extrem belastend erlebt und lösen starke körperliche und emotionale Reaktionen aus (Caspar, Pjanic & Westermann, 2018, S. 78; Gerrig & Zimbardo, 2018, S. 479).

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren haben sich als sehr erfolgreich bei der Behandlung der PTBS gezeigt. Als Behandlung erster Wahl werden traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT) sowie Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) empfohlen. Traumafokussierte Psychotherapie ist eine psychotherapeutische Intervention, bei der der Fokus auf der Verarbeitung der Traumaerinnerungen und/oder die Veränderung traumabezogener Kognitionen liegt. Die EMDR-Behandlung ist eine strukturierende und manualisierte Behandlung für traumatische Erinnerungen, bei der durch schnelle rhythmische Augenbewegungen bei gleichzeitigem Denken an das belastende Ereignis, die psychischen Belastungen verringert werden. Durch die Augenbewegungen werden Teile des limbischen Systems stimuliert, was eine inhibierende Wirkung auf den Output zu angstauslösenden Regionen im Gehirn hat (Hoyer & Knappe, 2020, S. 1174-1175; Wittchen & Hoyer, 2011, S. 1001, 112; Richter, 2023, S. 43).

Fazit

Ereignisse, die negativ und unkontrollierbar sind, erzeugen besonders viel Stress. Insbesondere gilt dies für traumatische Ereignisse, zu denen auch Gewalterfahrungen unter der Geburt zählen können. Die Psychotherapie kann einen wertvollen Beitrag dazu leisten, Frauen und auch Männern, die durch negative Geburtserfahrungen nachhaltig belastet sind, zu unterstützen und zu begleiten. Aktuelle Studien zeigen, dass die Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen von PTBS gegeben ist. So konnte eine internationale Metastudie zeigen, dass Psychotherapie erheblich zur Reduktion von PTBS Symptomen beiträgt, Wohlbefinden verbessert und somit für betroffene Frauen eine wichtige Unterstützung ist, um negative Geburtserfahrungen und Traumata zu überwinden (Hoppen, Meiser-Stedman, Kip, Birkeland & Morina, 2024, S. 2-3; Mundlos, 2015, S. 177).

Als übergeordnetes Ziel zur Vermeidung von Geburtstraumata ist natürlich eine wertschätzende Versorgung von Gebärenden und ein Ende von Geringschätzung erstrebenswert. Dies kann nur durch partizipative Prozesse unter Einbeziehung aller Beteiligten gelingen. Dazu gehört eine angemessene Personalsituation auf den Geburtsstationen, um einer Überlastung von Hebammen und ÄrztInnen entgegenzuwirken. Auch wenn viele bestehende Nachweise nahelegen, dass die von Frauen erlebte Geringschätzung und Misshandlung unter der Geburt weit verbreitet ist, besteht ein großes Forschungsinteresse, um national und international einen Konsens zur wissenschaftlichen Definition sowie zur Erfassung der aufgeführten Aspekte zu etablieren, um ein tieferes Verständnis geringschätzender Behandlung von Frauen unter der Geburt und wie diese vermieden und beseitigt werden kann, zu entwickeln. Das öffentliche Bewusstsein für dieses wichtige Thema zu schärfen und politische Initiativen für eine wertschätzende Versorgung zu initiieren, kann helfen, die Versorgung der Frauen zu verbessern, Geringschätzung und Gewalt unter der Geburt zu erkennen und vorbeugende und therapeutische Maßnahmen umzusetzen (WHO Team: Sexual and Reproductive Health and Research (SRH), 2014, S. 2-3;  Deutscher Bundestag, 2022, S. 4-5).

Literaturverzeichnis

Deutscher Bundestag, W. D. (2022). Zur Personalbemessung von Hebammen in geburtshilflichen Kliniken. Zugriff am 30.8.2024. Verfügbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/928554/c19078193871cdd7f5b208795b2de29a/WD-9-073-22-pdf-data.pdf

Hoppen, T. H., Meiser-Stedman, R., Kip, A., Birkeland, M. S. & Morina, N. (2024). The efficacy of psychological interventions for adult post-traumatic stress disorder following exposure to single versus multiple traumatic events: a meta-analysis of randomised controlled trials. The Lancet Psychiatry11(2), 112–122. https://doi.org/10.1016/S2215-0366(23)00373-5

Hoyer, J. & Knappe, S. (Hrsg.). (2020). Klinische Psychologie & Psychotherapie (Lehrbuch) (3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage.). Berlin: Springer.

Kerr, A., Warnock-Parkes, E., Murray, H., Wild, J., Grey, N., Green, C. et al. (2023). Cognitive therapy for PTSD following birth trauma and baby loss: clinical considerations. The Cognitive Behaviour Therapist16, e23. https://doi.org/10.1017/S1754470X23000156

Mundlos, C. (2015). Gewalt unter der Geburt (1. Auflage). Marburg: Tectum.

Richter, A.-K. (Hrsg.). (2023). EMDR: ein Lehrbuch für Psychotherapie-Studium und Weiterbildung (Lehrbuch). Berlin, Germany: Springer.

WHO Team: Sexual and Reproductive Health and Research (SRH). (2014). Vermeidung und Beseitigung von Geringschätzung und Misshandlung bei Geburten in geburtshilflichen Einrichtungen.

Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (Hrsg.). (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (Springer-Lehrbuch) (2., überarbeitete und erweiterte Auflage.). Berlin Heidelberg: Springer.

Abbildungen

Titelbild: Anna Derzhina (2020), Stock-Fotografie-ID:1285071775, Zugriff am 30.08.2024, verfügbar unter: https://www.istockphoto.com/de/foto/nahaufnahme-rosa-neugeborenen-fersen-auf-dem-bett-gm1285071775-382015046

Abb. 1: Negative Geburtserfahrung (2017), kieferpix, Stock-Fotografie-ID:817147690, Zugriff am 04.09.2024, verfügbar unter: https://www.istockphoto.com/de/foto/betonte-junge-frau-patient-im-krankenhaus-gm817147690-132757921

Teile diesen Artikel