Werkstätten für Menschen mit Behinderung auf dem Weg zur Industrie 4.0

Einführung / Ausgangslage

Technische Entwicklungen entstehen seit Jahren mit rasantem Tempo und die Industrie 4.0 erhält immer weiter Einzug in die Unternehmen. Burrus beschreibt hierzu: „Industrie 4.0 hat die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Produkte konzipieren, herstellen und vertreiben, neu definiert.“¹ Dabei meint diese Veränderung nach Darstellung von Hewer eine Vernetzung der realen mit der virtuellen Welt, in der Fertigungsprozesse mit Informationstechnologien verschmelzen.²

Scholle stellt hierzu auf Statista dar, dass 2022 bereits 65 Prozent der Befragten Unternehmen Technologien nutzen, die hierauf einzahlen, was einer Steigerung von 6 Prozent innerhalb von zwei Jahren gleichzusetzen ist.³

Auch in Zeiten des demografischen Wandels gilt es neue Lösungen zu suchen. Nach Darstellung von Gude wird die bereits bestehende Lücke an Fachkräften im sozialen Sektor bis 2049 um 33 Prozent steigen.⁴ Hier gilt es nach Bundesminister Habeck „[…] out-of-the-box-Denken […]“⁵ zu fördern und kreative Lösungen zu suchen.

¹ Burrus
² Vgl. Hewer
³ Vgl. Scholle (2024)
⁴ Vgl. Gude (2023)
⁵ Ewers (2023)

Von der Vier-Stufen-Methode hin zur Industrie 4.0

Bisher waren die Ansätze in den Werkstätten von Menschen mit Behinderungen (WfbM) sehr vom klassischen Ansatz der Vier-Stufen-Methode geprägt, dessen Kern im Vor- und Nachmachen besteht. Die wesentlichen Schritte beinhalten wie von der HRM Akademie dargestellt die vier wesentlichen Schritte: Vorbereitung, Vorführung, Nachvollzug und Übung. Ein Nachteil der Methode, welche viele Jahre auch die Arbeit in WfbM geprägt hat, besteht in der starken Zentrierung auf die führende Person.⁶ Die Sinne kreativer Lösungen, die sowohl der zunehmenden Ressourcenknappheit wie auch der Industrie 4.0 einspielen, wird auch in WfbM zunehmend auf digital unterstütze Systeme gesetzt. 

⁶ Vgl. Human Resources Management Akademie DEUTSCHLAND GmbH (2023)

Tulip – der innovative Assistenz

Die 2001 erstmal auf den Markt gebrachte Software Tulip ermöglicht es nach Darstellung von DMG Mori Prozesse individuell zu modellieren und hierbei sowohl auf visuelle, akustische wie taktile Unterstützung zu setzen. Die Vorteile von Tulip, welche in der Wirtschaft vielfach im Einsatz sind, kommen hierbei zunehmend in den WfbM an.

• papierlose Produktion: Steigerung der Effizienz und Produktivität durch benutzerfreundliche Apps,
• no code: Apps können ohne Programmierkenntnisse erstellt werden,
• App-Vorlagen: Neue Prozesse können einfach durch Nutzung von Vorlagen generiert werden,
• nahtlose Integration: Schnittstellen ermöglichen die Einbindung bestehender Systeme, über Plug & Play ist die Einbindung von IoT (Internet of Things) Geräten möglich.⁷

⁷ Vgl. DMG MORI Global Marketing GmbH

Einsatzgebiete von Tulip

DMG Mori stellt sieben grundsätzliche Einsatzgebiete bzw. Mehrwerte von Tulip dar, welche in über 500 globalen Unternehmen bereits genutzt werden:

• Maschineneinrichtung und Rüstungsanleitungen: dynamische und multimediale Anleitungen zur Modellierung von Prozessabläufen erstellen,
• Digitale Betriebsdatenerfassung: sämtliche Betriebsdaten der Prozesse können erfasst und analysiert werden,
• Digitale Maschinendatenerfassung: Erstellung einer mobilen Leistungsüberwachung über den Maschinenpark,
• Shopfloor Monitoring: Digitale Prozessdokumentation aller Schritte, Ableitungen von Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung,
• Montage– und Rüstanleitungen: Unterstützung bei der Digitalisierung von Prozessschritten,
• Qualitäts– und Fehler-Checklisten: durch systematische Datenerfassung und Abgleich mit Qualitätskontrollaspekten findet eine konstante Verbesserung statt,
• Training und Ausbildung: digitale, interaktive und individuell angepasste Trainings und Schulungen.⁸

Durch die Möglichkeit der (nahtlosen) Vernetzung sind wie von tulip.co dargestellt deutliche Mehrwerte in der Praxis erkennbar, welche beispielhaft hier in die Praxis transferiert, werden:

• Qualitätskontrolle: Eine Kamera gleicht den vorher definierten Soll mit dem Ist-Zustand ab und gibt über eine grün/rote Leuchtdiode dem Klient Rückmeldung, ob das Produkt die Qualitätsstandards erfüllt.
• Visuelle Prozessanleitung: Der ausführende Klient wird Schritt für Schritt visuell anhand eines Tablets durch die einzelnen Prozessschritte geleitet. Komplexe Prozesse werden so in einfache Schritte aufgegliedert und Überforderung vermieden. 
• Pick-by-light Anleitung: Einzelne Prozessschritte z. B. das Anbringen einer Schraube wird durch Aufleuchten der jeweiligen Schraubenbox signalisiert. Bei Entnahme aus falscher Box wird eine entsprechende Fehlermeldung (visuell oder akustisch) ausgegeben.
• Robotik: Bei Menschen mit Mobilitätseinschränkungen kann die Robotik einzelne Komponente dem Klienten entspr. des definierten Prozessablaufs zureichen.
• Monitoring: Ein Mitarbeiter kann den gesamten Prozessablauf und die einzelnen Fertigungsschritte inklusive des Maschinenparks am PC überwachen und so bei Prozessabweichungen umgehend einschreiten.
• Waagen und Uhren: Waagen und Uhren ermitteln Prozessschrittgenau die Konformität mit der Vorgabe und geben unmittelbar über definierte Kanäle Rückmeldung an den Klienten.
• Schulung / Unterweisung: Klientenbezogen können individuelle Schulungen und Unterweisungen mit Bild, Ton und Video erstellt werden, bei welchen über ein Quiz am Ende der Erfolg abgefragt wird.⁹

Durch die vollständige digitale Abbildung in Tulip sind auch automatisierte Meldungen via Push oder Mail jederzeit möglich.

⁸ Vgl. DMG MORI Global Marketing GmbH
⁹ Vgl. Tulip Interfaces GmbH

Zusammenfassung und kritische Betrachtung

Tulip stellt im Bereich der WfbM eine innovative Neuigkeit dar. Die Apps können individuelle programmiert werden, ohne dass spezielle Programmierkenntnisse notwendig wären. Dies lässt eine hohe Flexibilität in der Anpassung an jeweilige Bedarfe zu. Prozesse sind künftig durch digitale Assistenz unabhängig von Personen, was sowohl den Klienten wie auch dem zunehmenden Mangel an Fachkräften positiv einspielt. Wissensmanagement erfolgt über die Programmierung der Apps und nicht mehr über persönliche Weitergabe. Dies mindert die Fehleranfälligkeit und trägt zu einem Erhalt hoher Qualitätsstandards bei. Durch eine Vielzahl an Hilfsmittel können Prozesse auf die jeweils individuellen Bedarfe der Klienten angepasst werden und die Teilhabe am Arbeitsleben erfährt dadurch eine deutliche Aufwertung.

Neue Möglichkeiten in der Befähigung von Klienten entstehen. So ist Tulip beispielsweise auch in der Arbeit mit Menschen mit Autismus von Bedeutung, welche menschliche Nähe häufig nur schwer ertragen können.

Nachweise

Literaturverzeichnis

Burrus, D., Was ist Industrie 4.0?, in: https://www.sap.com/germany/products/scm/industry-4-0/what-is-industry-4-0.html, abgerufen am 19. 9. 2024.

DMG MORI Global Marketing GmbH, TULIP – Einfach zur papierlosen Fertigung, in: https://de.dmgmori.com/produkte/digitalisierung/tulip?tax=438344, abgerufen am 19. 9. 2024.

Ewers, D. (2023), Klischeefrei dem Fachkräftemangel begegnen, in: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/05/20230504-klischeefrei-dem-fachkraeftemangel-begegnen.html, abgerufen am 19. 9. 2024.

Gude, J. (2023), Demografischer Wandel, in: https://www.destatis.de/DE/Im-Fokus/Fachkraefte/Demografie/_inhalt.html, abgerufen am 19. 9. 2024.

Hewer, A., Was ist Industrie 4.0?, in: https://www.din.de/de/forschung-und-innovation/themen/industrie4-0/was-ist-industrie-4-0, abgerufen am 19. 9. 2024.

Human Resources Management Akademie DEUTSCHLAND GmbH (2023), Vier-Stufen-Methode, in: https://www.hrm-akademie.de/stichworte/vier-stufen-methode.html, abgerufen am 19. 9. 2024.

Scholle, K. (2024), Welche Bedeutung hat Industrie 4.0 für Ihr Unternehmen?, in: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/830769/umfrage/bedeutung-von-industrie-40-in-deutschland/, abgerufen am 19. 9. 2024.

Tulip Interfaces GmbH, Digitale Fertigungssoftware. Fertigungsprozesse laufen besser mit Apps, in: https://tulip.co/de/, abgerufen am 18. 9. 2024.

Titelbildquelle

designed by freepik, Hintergrund des flachen Designs der Industrie 4.0, www.freepik.com, abgerufen am 19.09.2024 https://de.freepik.com/vektoren-kostenlos/hintergrund-des-flachen-designs-der-industrie-4-0_153758791.htm#fromView=search&page=1&position=14&uuid=aa4af15f-39ce-4aa3-b289-10162092a70c