Die Aussage von Paul Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren“ ist sehr bedeutend und bekannt. Der zweite Teil des Satzes wird meist nicht betrachtet, in dem wird die Kommunikation mit dem Verhalten verglichen (Bender, 2018). Die Menschen verhalten sich fortlaufend. Insbesondere bei Menschen mit komplexen Behinderungsbilder wird das Verhalten häufig missverstanden, da es nicht den erwarteten Sozialnormen entspricht. Es wird oftmals als störend oder problematisch wahrgenommen. Dabei gilt es zu bedenken, dass jedes Verhalten seiner eigenen Logik und Sinnhaftigkeit folgt. Für das Verstehen ist ein Zugang zu den Bedürfnissen, Gefühle und Gedanke wichtig. Jedes Verhalten hat einen Hintergrund und somit einen Sinn. An diesem Punkt setzt das Konzept VEMAS 2.0 an. „VEMAS (VErhalten MAcht Sinn) ist ein […] Konzept, das dazu beitragen möchte, die Perspektive auf Verhalten(sauffälligkeiten) von Menschen mit Behinderungen zu verändern. In VEMAS wird grundlegend davon ausgegangen, dass jedes Verhalten sinn-voll ist, d.h., es gibt einen Grund für das jeweilige Verhalten.“ (Falkenstörfer & Dins, 2024, S. 3) Hierdurch wird das Verständnis für Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit Behinderung gefördert (VEMAS, 2024).
Das Verhalten der Menschen ist sehr unterschiedlich und somit ist auch die Spanne der Verhaltensauffälligkeiten groß. Diese negativen Verhaltensweisen führen häufig zu Ablehnungen und Ausgrenzungen. Menschen mit Behinderungen, die Verhaltensauffälligkeiten zeigen, sind von Exklusion und damit zusammenhängenden Benachteiligungen betroffen. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Umfelde und der Person mit auffälligen Verhalten selbst, sollen die Stigmatisierungen und Diskriminierungen abgebaut werden. Die Verhaltensweisen sollen so verändert werden, dass eine soziale Teilhabe möglich ist (Falkenstörfer & Dins, 2024, S. 3–6). Im nächsten Abschnitt wird betrachtet, wie eine solche Veränderung angegangen werden kann.
Methodik des Konzeptes
Jedes Verhalten, auch das Auffällige, einer Person sollte als eine sinnvolle Handlung wahrgenommen werden. Es müssen Hypothesen über den Sinn des Verhaltens gebildet werden. Dazu werden geeignete diagnostische Methoden benötigt. Durch diese kann das Verhalten des Menschen genau reflektiert werden, um zu ergründen, warum die Person sich so verhält. Wenn das Verhalten verstanden wird, können mögliche alternative Handlungsmöglichkeiten erarbeitet werden, denn das Verhalten von Menschen ist als ein intentionaler Ausdruck zu sehen. Dem Handeln und Verhalten kann ein Sinn unterstellt werden. Dies erfolgt vor dem sozialen und kulturellen Hintergrund. Hiermit erschließt sich, warum sich eine Person so verhält, wie sie sich verhält. Das Verstehen wollen des Verhaltens ist in der Pädagogik ein Schritt um sich dem Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten reflektiert zu nähern (Falkenstörfer, 2022, S. 181–183). Daran schließt sich die Grundannahme an, dass Verhalten einen Sinn hat. Das Verständnis für Zusammenhänge ist wichtig und entscheidend. Daher ist eine tiefe Analyse der Beweggründe hinter dem jeweiligen Verhalten notwendig (Universität Innsbruck, 2022). Folgend wird betrachtet, welche Materialien dafür erarbeitet wurden.
Um das Verhalten zu deuten, wurden im Projekt VEMAS 2.0 unterschiedliche Hilfsmittel erarbeitet. Diese einzelnen Teile decken die verschiedenen Aspekte der Unterstützung ab. Hierzu zählen die zentralen Bausteine wie Personenbogen, persönliches Netzwerk und Ergebnisbogen. Neben diesen Elementen wird eine flexible Struktur angeboten, bei der andere Bausteine, je nach Bedarf, verwendet werden können. Dabei handelt es sich um die Produkte wie Beobachtungsbogen, Interview für den Menschen mit Behinderung, Interview für das soziale Umfeld, Medikamenteninformation, Biographiearbeit und Zukunftsplanung. Bei der Erstellung der Bausteine wurden betroffene Personen und deren Umfeld aktiv eingebunden. Die durch diese partizipative Vorgehensweise entstandenen Materialen und Methoden entsprechen den tatsächlichen Bedürfnissen der betroffenen Menschen. Im Bereich des Interviews des Menschen mit Behinderung wurden Methoden der Unterstützten Kommunikation eingesetzt. Die erarbeiteten Materialien stehen für alle frei auf der Internetseite VEMAS 2.0 (https://vemas-perspektive.de) zur Verfügung. Sie können als PDF heruntergeladen und analog oder digital bearbeitet werden. Ebenso sind dort Erklärvideos zu finden (VEMAS, 2024).
Fazit
Menschen mit Behinderung sind im Gegensatz zur durchschnittlichen Bevölkerung häufiger von Gewalt betroffen. Die Gewalterfahrungen werden in den psychischen, physischen, sexuellen wie auch strukturellen Bereichen gemacht (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 2020). Dabei können die Menschen mit Behinderungen die Gewalt erfahren oder erfahren haben, wie auch selbst mit gewalttätigem Verhalten reagieren. Daher ist es wichtig, dass dieses Verhalten nicht unterbunden wird, sondern nach den Ursachen und dem Kontext geforscht wird. Die Erkenntnis ist, dass jedes Verhalten einen Sinn hat und dieser erkannt werden muss. Nur durch eine dauerhafte Veränderung des Verhaltens kann es zu einer Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe dieser Menschen kommen. Hierbei sollte die Intention sein, den Personen Wege aufzuzeigen, wie sie mit der Aggression, die Wut, Ohnmacht, Verzweiflung und Frust auslösen, umgehen und diese anders äußern können (Falkenstörfer, 2022, S. 184). Die Betroffenen und ihre Geschichte werden verstanden, wodurch sie weniger durch Aggression reagieren. Ein auffälliges Verhalten kann für den Menschen selbst, wie auch dessen Umfeld zu einem Problem werden. Es geht darum, die Logik hinter dem Verhalten wahrzunehmen und festzustellen, was dieses Verhalten für die betreffende Person bedeutet (Klauß, 2006, S. 4). Wie zu sehen ist, haben sich bereits viele Personen Gedanken zu auffälligem Verhalten gemacht. Mit VEMAS 2.0 kommt ein weiterer Schritt hinzu der neue Inhalte und Ansätze verfolgt. Vor allem ist ein wichtiger Ansatz, dass die Wechselwirkung zwischen Verhalten und Medikamenten betrachtet wird. Menschen mit auffälligem Verhalten bekommen meist Medikamente verordnet, welche sich ebenfalls auf das Verhalten auswirken können. Es wäre wünschenswert, alle Bausteine des VEMAS-Konzeptes mit Unterstützter Kommunikation anzubieten, um die Menschen mit Behinderung besser in den Prozess einzubinden. Das Konzept ist ein wichtiger Beitrag, um die Sichtweisen und Praktiken im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten weiterzuentwickeln und mehr Menschen mit Behinderung die aktive Beteiligung an der Gesellschaft zu ermöglichen.
Literaturverzeichnis
Bender, S. (2018). Die 5 Axiome der Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick, Zugriff 26.11.2024. Verfügbar unter: https://www.paulwatzlawick.de/axiome.html
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. (2020). Informationen zu Behinderung und Gewalt in Österreich, Zugriff 25.11.2024. Verfügbar unter: https://www.sozialministerium.at/Themen/Soziales/Menschen-mit-Behinderungen/Behinderung-und-Gewalt.html
Falkenstörfer, S. (2022). Grundzüge einer Pädagogik der Ermöglichung. Zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten aus phänomenologischer Sicht. Ein Perspektivwechsel. In B. Badstieber & B. Amrhein (eds.), (Un-)mögliche Perspektiven auf herausforderndes Verhalten in der Schule. Theoretische, empirische und praktische Beiträge zur De- und Rekonstruktion des Förderschwerpunkts Emotionale und Soziale Entwicklung (1. Aufl., S. 166–185). Weinheim: Beltz Juventa.
Falkenstörfer, S. & Dins, T. (2024). VEMAS_2.0_Handreichung, Zugriff 24.11.24. Verfügbar unter: https://vemas-perspektive.de/sites/default/files/files/VEMAS_2.0_Handreichung.pdf
Klauß, T. (2006). Was ‚bewegt’ Menschen, deren Verhalten uns auffällt? Sichtweisen und pädagogische Konsequenzen. Vortrag bei der Fachtagung der Fachschule für Sozialpädagogik in Schwarzach: Verhal- tensauffälligkeiten in Bewegung – Ein interdisziplinärer Austausch. 12.05.06, Zugriff 25.11.2024. Verfügbar unter: https://www.ph-heidelberg.de/fileadmin/user_upload/wp/klauss/Verhalten_Bewegung.pdf
Universität Innsbruck. (2022). Verhalten Macht Sinn (VEMAS), Zugriff 26.11.2024. Verfügbar unter: https://www.uibk.ac.at/projects/vemas/index.html.de
VEMAS. (2024). VEMAS 2.0. Verhalten verstehen – den Menschen sehen – die Perspektive ändern, Zugriff 25.11.2024. Verfügbar unter: https://vemas-perspektive.de/
Titelbildquelle
Titelbild von RyanMcGuire veröffentlicht am 04.01.2025 über https://pixabay.com/de/photos/argument-konflikt-kontroverse-238529/, abgerufen 16.02.2025
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