By Published On: 11. März 2025Categories: Gesundheit, Management

Gesundheitsprogramme, Achtsamkeitskurse, Work-Life-Balance, Mental-Health-Angebote oder flexible Arbeitszeiten – all das sind Versprechen, mit denen sich moderne Unternehmen schmücken, ganz nach dem Motto: „Wir kümmern uns um unsere Mitarbeitenden!“ Doch wie lassen sich diese Maßnahmen mit den Zahlen aus aktuellen Studien vereinbaren? Laut einer Burnout-Studie sehen sich 61 % der Arbeitnehmenden als gefährdet und laut Statista fühlen sich rund 40 % der Beschäftigten in Deutschland durch ihre Arbeit psychisch belastet, und die Anzahl der Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen steigt kontinuierlich (Mental Health am Arbeitsplatz | Statista, 2024; Studie: Erwerbstätige leiden zunehmend an Überlastung, 2024). Diese Diskrepanz wirft eine zentrale Frage auf: Warum nehmen psychische Belastungen am Arbeitsplatz weiter zu, obwohl Unternehmen verstärkt Maßnahmen zur Förderung der mentalen Gesundheit anbieten?

Von Wellness-Washing in Unternehmen zur kognitiven Dissonanz

Der Begriff Wellness-Washing leitet sich vom Greenwashing ab – einer Praxis, bei der Unternehmen sich als umweltbewusst präsentieren, ohne tatsächlich nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen. Ähnlich verhält es sich beim Wellness-Washing: Unternehmen werben mit Gesundheits- und Wohlfühlangeboten für ihre Mitarbeitenden, doch oft handelt es sich nur um eine Fassade – besonders nach außen hin oder im Bewerbungsprozess – ohne dass sich die Arbeitsbedingungen tatsächlich verbessern (Franke, 2024).

Kognitive Dissonanz beschreibt in der Sozialpsychologie den Zustand, in dem zwei Kognitionen im Widerspruch zueinander stehen und dadurch ein Gefühl des Unwohlseins auslösen. Um dieses unangenehme Gefühl zu vermeiden, suchen wir nach Möglichkeiten zur Reduktion der Dissonanz. Dafür gibt es verschiedene Strategien:

  1. Verhaltensänderung: Anpassung des eigenen Verhaltens, um es mit der widersprüchlichen Kognition in Einklang zu bringen.
  2. Rechtfertigung des Verhaltens: Veränderung der eigenen Wahrnehmung oder Interpretation, um das bestehende Verhalten zu legitimieren.
  3. Hinzufügen neuer Kognitionen: Einführung zusätzlicher Gedanken oder Überzeugungen, die das Verhalten rechtfertigen und die Dissonanz verringern (Aronson et al., 2023, S. 205).

Wellness-Washing in der Arbeitswelt

Das HR-Journal beschreibt vier Indikatoren, anhand derer man beurteilen kann, ob in einem Unternehmen Wellness-Washing stattfindet:

  1. Widerspruch zwischen Unternehmenswerten und tatsächlichem Verhalten: Arbeitgeber nehmen den Wandel und die steigenden Ansprüche von Bewerber:innen wahr, ergreifen jedoch oft nur minimale Maßnahmen zur Verbesserung des Wohlbefindens ihrer Mitarbeitenden. Häufig wird als Begründung angeführt, dass es finanziell nicht möglich sei, flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice anzubieten.
  2. Abstrakte Versprechen ohne Umsetzung: Unternehmen präsentieren sich als fortschrittlich und mitarbeiterorientiert, setzen die versprochenen Maßnahmen jedoch kaum oder gar nicht in die Praxis um.
  3. Kleine Anpassungen ohne (finanzielle) Investition: Anfangs ist das Engagement groß, sich an modernere Unternehmen anzupassen und Veränderungen umzusetzen. Doch besonders kleine und mittelständische Unternehmen geraten schnell in finanzielle Engpässe, wenn es um innovative Maßnahmen geht. Während einmalige Investitionen, etwa für Stehschreibtische oder ergonomische Stühle, oft noch realisierbar sind, fehlt es langfristig an finanziellen Mitteln für tiefgreifendere Maßnahmen wie Coaching-Programme.
  4. Initiativen ohne Anpassung grundlegender Problemprozesse: Große Unternehmen setzen auf professionelle Maßnahmenpakete, die jedoch primär darauf abzielen, Burnout-Betroffene möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren – ohne die eigentlichen Ursachen des Problems zu beheben (Franke, 2024).

Entstehung kognitiver Dissonanz

Um die kognitive Dissonanz in der Arbeitswelt zu erörtern, wird ein fiktives Unternehmen genutzt, das die folgenden Punkte aus der obigen Theorie aufgreift.

Das Unternehmen XY vermarktet sich als modernes, mitarbeiterfreundliches Unternehmen, das mit flexiblen Arbeitszeiten, Homeoffice und Gesundheitsprogrammen wirbt.

Frau Mustermann stellt jedoch nach wenigen Wochen fest, dass die flexiblen Arbeitszeiten zwar offiziell existieren, aber dennoch eine ständige Erreichbarkeit erwartet wird. Auch die Homeoffice-Option war für sie ein ausschlaggebender Grund, diese Stelle anzunehmen. Doch schon bald bekommt sie das Gefühl, dass Mitarbeitende, die nicht vor Ort sind, als weniger engagiert wahrgenommen werden. Zwar gibt es ein Gesundheitsprogramm, das Yoga-Kurse beinhaltet, dennoch bleiben Überstunden und eine hohe Arbeitsbelastung weiterhin bestehen. Die Widersprüche im Unternehmen führen bei ihr und anderen Mitarbeitenden zu einer kognitiven Dissonanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit:

  1. Verhaltensänderung: Einige Mitarbeitende versuchen, sich den widersprüchlichen Bedingungen anzupassen und nehmen an den Yoga-Kursen teil. Dennoch fühlen sie sich weiterhin gestresst und überlastet.
  1. Rechtfertigung des Verhaltens: Frau Mustermann und andere Mitarbeitende beginnen, sich die Arbeitsbedingungen schönzureden. Sie sagen sich Dinge wie: „Es ist normal, dass Unternehmen mehr versprechen, als sie halten“ Oder „Vielleicht liegt es an mir – ich sollte einfach besser mit dem Stress umgehen können.“ Diese Selbstrechtfertigung hilft ihnen, die Dissonanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu ertragen, ändert jedoch nichts an den tatsächlichen Arbeitsbedingungen.
  1. Hinzufügen neuer Kognitionen: Einige Mitarbeitende entwickeln neue Überzeugungen, um die Situation für sich zu erklären. Sie reden sich ein, dass die kleinen Maßnahmen besser seien als gar keine und dass sich das Unternehmen immerhin bemüht.

Langfristig kann die kognitive Dissonanz, die durch diese Widersprüche entsteht, zu Unzufriedenheit, psychischer Belastung oder sogar Burnout führen. Frau Mustermann könnte mit der Zeit feststellen, dass sie diese Diskrepanz nicht länger aushält, da die versprochenen Maßnahmen keine langfristige Verbesserung bewirken.

Handlungsempfehlungen

Um Frau Mustermann und anderen Mitarbeitenden die möglichen Folgen einer kognitiven Dissonanz zu ersparen, sollten Unternehmen transparenter damit umgehen, was sie tatsächlich bieten.

Um ein Unternehmen zu finden, das den eigenen Ansprüchen gerecht wird, erläutert das HR-Journal vier Indikatoren, die für eine „Good Practice“ sprechen:

  1. Proaktive Umsetzung: Maßnahmen zur Mitarbeitendenförderung werden aus Überzeugung und nicht nur auf Druck umgesetzt.
  2. Individuelle Entwicklung: Instrumente wie Coachings und Persönlichkeitsentwicklung helfen, Potenziale und Perspektiven zu erkennen.
  3. Menschen im Fokus: Auch in schwierigen Zeiten bleibt die Mitarbeiterorientierung im Fokus.
  4. Wertebasierte Strukturen: Transparenz, Fairness und Vertrauen prägen Prozesse und Strategien des Unternehmens (Franke, 2024).

Fazit

Wellness-Washing stellt in der modernen Arbeitswelt für viele Arbeitnehmende ein Problem dar. Irreführende Versprechen können sich negativ auf die psychische Gesundheit der Betroffenen auswirken. Um dem entgegenzuwirken, müssen Unternehmen Transparenz schaffen und Gesundheitsmaßnahmen nicht nur als PR-Strategie nutzen, sondern nachhaltig in die Unternehmenskultur integrieren. Nur so kann verhindert werden, dass gut gemeinte Angebote als leere Versprechen wahrgenommen werden und stattdessen zu einer echten Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen.

Literaturverzeichnis

Aronson, E., Wilson, T. D., & Sommers, S. R. (2023). Sozialpsychologie (M. Reiss, Übers.; 10., aktualisierte Auflage). Pearson.

Franke, R. (2024, Juli 6). Wellness-Washing: Wann ist es echte Fürsorge und wann nur Fassade? | HR JOURNAL. https://www.hrjournal.de/wellness-washing-echte-fuersorge-oder-fassade/

Mental Health am Arbeitsplatz | Statista. (2024). https://de.statista.com/themen/13073/mental-health-am-arbeitsplatz/#topicOverview

Studie: Erwerbstätige leiden zunehmend an Überlastung. (2024). https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Studie-Erwerbstaetige-leiden-zunehmend-an-Ueberlastung-447103.html

Titelbildquelle

RosZie. (24.07.2022). Pixabay. https://pixabay.com/illustrations/work-life-balance-time-management-7339480

Nutzungsbedingung unter https://pixabay.com/de/service/terms, abgerufen am 26.02.2025

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