By Published On: 18. August 2016Categories: Gesundheit, Psychologie, Wirtschaft

Wenn wir uns durch die Straßen unserer Stadt bewegen, denken wir, wir handeln selbstbestimmt. Wir denken dass unsere Gedanken, Wünsche und Vorstellungen unser Verhalten beeinflussen und wir dieses in die Realität umsetzen. Tatsächlich ist es nur zum Teil so.

An vielen Stellen unseres Alltags wird unser Verhalten manipuliert und modifiziert. Völlig unbemerkt von uns.

In der Architektur gibt es zwei Fachbegriffe für dieses Phänomen. Sie nennen sich „Unpleasant Design“ und „Hostile Architecture“, übersetzt „Unangenehmes Design“ oder „Feindliche Architektur“.[1]

Unpleasant Designs  sind dabei nicht gescheiterte Installationen, die ihren Zweck verfehlen oder missraten sind. Im Gegenteil. Diese Bauten sind sogar sehr erfolgreich wenn es darum geht, durch ihre Gestaltung bestimmte Verhaltensweisen und Aktivitäten zu verhindern.[2] Öffentliche Räume heißen zwar „öffentlich“, möchten aber meist doch nicht zu öffentlich verstanden sein. So werden gestalterische Maßnahmen ergriffen, die genau kommunizieren wer dort willkommen ist und wer nicht. Man hat sich diese architektonischen Strukturen gezielt erdacht, um Menschen zu frustrieren oder fernzuhalten. Hiervon sind in besonderem Maße die Menschen der untersten Gesellschaftsschichten betroffen.[3] Dies führte kürzlich in Großbritannien zu starken Diskussionen über die Ethik und Moral von städteplanerischen Maßnahmen.[4] 

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Abb. 1. Quelle: https://pixabay.com/de/transport-eisenbahn-zug-verkehr-731380/

Ein sehr berühmtes und vieldiskutiertes Unpleasant Design-Objekt ist die „Camden Bench“.[5] Es ist eine Art Bank, die in London vermehrt auf öffentlichen Plätzen aufgestellt wurde und die auch „das perfekte Anti-Objekt“ genannt wird. Die Camden Bench besitzt eine spezielle Oberfläche, die Graffitispray und anderen Vandalismus in Form von Schnitzen oder Kritzeleien nicht haften lässt. Die Form gleicht einem abschüssigen Sarkophag ohne Hohlräume oder tiefe Einbuchtungen, sodass Dealer dort keine Drogen verstecken können. Die Seiten der Bank sind abgeschrägt und wellenartig gestaltet, sodass Skateboarder nicht darauf entlangfahren können, Werbezettel nicht kleben und Müll nicht darauf liegen bleibt. Die Sitzfläche ist uneben und holperig und macht so das Nächtigen auf der Bank für Obdachlose unmöglich. Tatsächlich wurde die Camden Bench so designt, dass sie für nichts anderes, als eine Bank, verwendet werden kann. Man bezeichnet die Camden Bench daher häufig als „Non-Object“, denn sie definiert sich stärker über das was sie nicht ist, als was sie ist.[6]

Auch Beleuchtung wird im Unpleasant Design modifiziert und genutzt. Pinkes Licht wird beispielsweise verwendet um unerwünschtes Herumhängen von Teenagergruppen zu verhindern. Da die Farbe Hautunreinheiten hervorhebt, fühlen sich die Jugendlichen in solchen Umgebungen nicht wohl. Blaue Beleuchtung wird häufig und sehr erfolgreich in öffentlichen Toiletten benutzt um Drogensüchtige davon abzuhalten, sich dort zu injizieren. Das blaue Lichtspektrum erschwert es, Venen zu erkennen.[7] [8] [9] [10] Schließlich wird auch Musik als Unpleasant Design eingesetzt, um unerwünschte soziale Gruppen fernzuhalten.[11]

Aber nicht nur in unseren Städten begegnet uns Unpleasant Design. Auch im täglichen Arbeitsleben sind wir umgeben von beeinflussenden architektonischen Vorgaben.

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Abb. 2. Quelle: https://pixabay.com/de/ausstellung-staunen-architekt-973140/

So sind beispielsweise in vielen Meetingräumen keine bequemen Stühle mit Rücken- und Armlehnen mehr vorhanden. Stattdessen werden (Bar-)Hocker angeboten, auf denen man zwar kurzzeitig sitzen oder sich abstützen kann, auf denen es allerdings nach spätestens einer Stunde recht ungemütlich wird.

Hinter der Raumarchitektur steckt der Gedanke, dass Meetings mit zunehmender Länge nicht zu produktiveren Ergebnissen führen. Es ist wünschenswert, dass Besprechungen zielorientiert und intensiv, jedoch so kurz wie möglich, abgehalten werden. Auch um damit anderen Meetinggruppen freie Räume zu bieten. Leerstehender Raum ist teuer, deshalb soll der verfügbare Platz so effektiv wie möglich genutzt werden.

Bei einem Automobilkonzern in München läuft aktuell ein Projekt, bei dem in einem kompletten Gebäudekomplex weniger Schreibtische bereitgestellt werden, als dort Arbeitnehmer beschäftigt sind. Zunächst wird dadurch Raum eingespart, denn das Unternehmen rechnet damit, dass immer ein paar Beschäftigte krank oder im Urlaub sind. Warum sollten also ständig leere Schreibtische Platz blockieren? Dieser Gedanke ist der vordergründige, der auch Jedem einleuchtet. Was in der Realität passiert, ist jedoch, dass es häufig vorkommt, dass zu wenige Arbeitsplätze vorhanden sind. Kommt man um 9 Uhr ins Büro, kann es sein, dass kein freier Schreibtisch mehr vorhanden ist. Man muss sich dann zu jemand anderem dazusetzen … Die Folge ist, dass die Arbeitnehmer dieses Projektkomplexes möglichst früh zur Arbeit erscheinen, um sich einen guten Arbeitsplatz zu sichern. Das Verhalten der Mitarbeiter wird also auch hier durch bauliche Vorgaben modifiziert.

Kaffe- und Teeecken werden häufig mitten in zugigen Gängen geplant. Die kalte und ungemütliche Atmosphäre, die strategische Ortsplanung, sowie die spartanische, zweckgebundene Ausstattung – das alles ist Unpleasant Design. Natürlich möchte man seinen Mitarbeitern nicht den nötigen Kaffee vorenthalten, den sie brauchen um ihr Mittagstief oder ihre überarbeitete Müdigkeit zu überbrücken. Und natürlich ist ein kleines Schwätzchen beim Kaffeeautomaten auch nicht gegen den Wunsch des Unternehmens. Vor allem dann nicht, wenn es sich um Arbeitsthemen dreht. Vermieden werden soll jedoch, dass sich Einer oder Mehrere in der Kaffeeecke gemütlich einrichten. Dass sie ins Plaudern kommen, und aus der kurzen Koffein-Kick-Pause ein ausgiebiges Kaffeekränzchen wird.

Neben designierten Raucherbereichen, der Hektik und Ungemütlichkeit der Betriebskantine und fehlenden Sitz- und Verweilmöglichkeiten an imposant angelegten Springbrunnen und Gärten vor den Firmen, gibt es zahlreiche weitere Beispiele für Unpleasant Design. Es scheint, dass dies das gängige Verhalten ist, das Unternehmen ihren Angestellten gegenüber an den Tag legen.

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Abb. 3. Quelle: https://pixabay.com/de/google-www-online-suche-suche-485611/

Das stimmt so nicht ganz, denn es gibt durchaus Betriebe, die einen anderen Weg wählen. Der beliebteste Arbeitgeber der Welt[12], der Mega-Konzern Google, schafft in seinen Bürozentren das Paradies auf Erden für seine Angestellten.

Frisches, junges Design. Moderne und aufwändige Ausstattung.[13] Liebevolle Aufmerksamkeiten. Kostenloses 5-Sterne-Essen, Spa, Musikunterricht und Personal Trainer, und vieles mehr. Ein starker und wahrlich extremer Kontrast zum grauen Alltag in den meisten anderen Unternehmen. Google fährt im Gegensatz der allgemeinen Richtung, das Prinzip des „Pleasant Design“. Hier ist alles so gemütlich und kuschelig wie nur möglich. Ist das jedoch wirklich so paradiesisch? Könnte es nicht sein, dass auch hinter „Pleasant Design“ eine Agenda versteckt ist? Die Erfahrungsberichte zeigen, dass die Googlearbeitnehmer viele, viele Überstunden leisten und mehr Zeit im Bürogebäude verbringen, als sie das normalerweise tun würden.[14] Also auch hier: manipulativer Charakter in der vordergründigen Kuschelatmosphäre.

Völlig unabhängig davon, ob man denkt, dass Unpleasant Design zwar manipulativ ist, dabei aber einem höheren Ziel dient oder ob man es einfach als bevormundend und deshalb beleidigend empfindet – denke ich, dass es wichtig ist, sich bewusst zu sein, dass Entscheidungen von außen durch Unpleasant Design beeinflusst werden.

Für interessierte Leser, die gerne tiefer in die Thematik einsteigen möchten, empfehle ich das Buch „Unpleasant Design“ der Experten Nikola Korac, Gordan Savicic und Selena Savic.[15]


[1] Vgl. http://www.stadtbaukultur-nrw.de/neues/unpleasant-design-der-oeffentliche-raum-sortiert-aus/ (02.08.2016).

[2] Vgl. https://infoscience.epfl.ch/record/207789/files/STS-unpleasant-design.pdf (02.08.2016).

[3] Vgl. http://99percentinvisible.org/episode/unpleasant-design-hostile-urban-architecture/ (02.08.2016).

[4] Vgl. https://www.theguardian.com/artanddesign/2014/jun/13/anti-homeless-spikes-hostile-architecture (02.08.2016).

[5] Vgl. http://www.factoryfurniture.co.uk/camden-bench/ (02.08.2016).

[6] Vgl. https://medium.com/futures-exchange/designing-the-perfect-anti-object-49a184a6667a#.w9xrc67go (02.08.2016).

[7] Vgl. http://unpleasant.pravi.me/category/devices/light/ (02.08.2016).

[8] Vgl. http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/england/cambridgeshire/3147170.stm (02.08.2016).

[9] Vgl. https://nextcity.org/daily/entry/how-blue-lights-on-train-platforms-combat-tokyos-suicide-epidemic (02.08.2016).

[10] Vgl. http://weburbanist.com/2016/04/19/blue-light-special-colored-streetlamps-precede-decline-in-crime/ (02.08.2016).

[11] Vgl. http://latimesblogs.latimes.com/culturemonster/2011/04/classical-music-still-works-at-dispersing-loitering-teens-.html (02.08.2016).

[12] Vgl. http://www.wiwo.de/erfolg/jobsuche/ranking-die-beliebtesten-arbeitgeber-der-welt/8799398.html (02.08.2016).

[13] Vgl. http://www.spiegel.de/fotostrecke/lee-penson-designt-hauptquartier-von-google-fotostrecke-86086-3.html (02.08.2016).

[14] Vgl. http://www.volksfreund.de/webtipps/Webtipps-Arbeitsbedingungen-in-Deutschland-Google-setzte-neue-Standards;art340112,3204962 (02.08.2016).

[15] Vgl. https://www.amazon.de/Unpleasant-Design-English-Nikola-Korac-ebook/dp/B01HNLXML2/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1467794374&sr=8-1&keywords=unpleasant+design (02.08.2016).

 

Bildnachweis:

Abb. 1. Quelle: https://pixabay.com/de/transport-eisenbahn-zug-verkehr-731380/

Abb. 2. Quelle: https://pixabay.com/de/ausstellung-staunen-architekt-973140/

Abb. 3. Quelle: https://pixabay.com/de/google-www-online-suche-suche-485611/

 

Quellen:

Anti homeless spikes. URL: https://www.theguardian.com/artanddesign/2014/jun/13/anti-homeless-spikes-hostile-architecture (02.08.2016).

Arbeitsbedingungen in Deutschland: Google setzt neue Standards. URL: http://www.volksfreund.de/webtipps/Webtipps-Arbeitsbedingungen-in-Deutschland-Google-setzte-neue-Standards;art340112,3204962 (02.08.2016).

Blue light stops users. URL: http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/england/cambridgeshire/3147170.stm (02.08.2016).

Blue light special colored streetlamps precede decline in crime. URL: http://weburbanist.com/2016/04/19/blue-light-special-colored-streetlamps-precede-decline-in-crime/ (02.08.2016).

Camden bench. URL: http://www.factoryfurniture.co.uk/camden-bench/ (02.08.2016).

Classical music still works at dispersing loitering teens. URL: http://latimesblogs.latimes.com/culturemonster/2011/04/classical-music-still-works-at-dispersing-loitering-teens-.html (02.08.2016).

Designing the perfect anti-object. URL: https://medium.com/futures-exchange/designing-the-perfect-anti-object-49a184a6667a#.w9xrc67go (02.08.2016).

Design von Google. URL: http://www.spiegel.de/fotostrecke/lee-penson-designt-hauptquartier-von-google-fotostrecke-86086-3.html (02.08.2016).

Dirty tricks of city design. URL: http://www.bbc.com/future/story/20131202-dirty-tricks-of-city-design (02.08.2016).

How blue lights on train platforms combat tokyos suicide epidemic. URL: https://nextcity.org/daily/entry/how-blue-lights-on-train-platforms-combat-tokyos-suicide-epidemic (02.08.2016).

Light. URL: http://unpleasant.pravi.me/category/devices/light/ abgerufen

Ranking der beliebtesten Arbeitgeber der Welt. URL: http://www.wiwo.de/erfolg/jobsuche/ranking-die-beliebtesten-arbeitgeber-der-welt/8799398.html (02.08.2016).

Unpleasant Design. URL: https://infoscience.epfl.ch/record/207789/files/STS-unpleasant-design.pdf (02.08.2016).

Unpleasant Design. URL: https://www.amazon.de/Unpleasant-Design-English-Nikola-Korac-ebook/dp/B01HNLXML2/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1467794374&sr=8-1&keywords=unpleasant+design (02.08.2016).

Unpleasant Design – Der öffentliche Raum sortiert aus. URL: http://www.stadtbaukultur-nrw.de/neues/unpleasant-design-der-oeffentliche-raum-sortiert-aus/ (02.08.2016).

Unpleasant Design – Hostile Urban Architecture. URL: http://99percentinvisible.org/episode/unpleasant-design-hostile-urban-architecture/ (02.08.2016).

 

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