In den letzten Tagen sehe ich häufig seltsame Menschen, wenn ich hinaus auf die Straße gehe. Sie bewegen sich nur langsam und ungelenk voran, als wären ihre Beine nicht gewohnt zu Fuß zu gehen. Sie sind blass und haben teigige Haut, als würde diese nur sehr selten ein Sonnenstrahl treffen. Auf dem Rücken ein Rucksack oder eine Umhängetasche. In der Hand das Handy. Der Blick – fest auf das Display gerichtet.
Seit dem 13. Juli ist die neue Smartphoneanwendung „Pokémon Go“ in Deutschland verfügbar. Millionenfach wurde sie heruntergeladen. Ein neuer Hype ist geboren. Nach 20 Jahren gibt es nun ein Revival der Pokémon-Monster. Das amerikanische Studio „Niantic Labs“ entwickelte für Nintendo die Augmented-Reality-App und selbst die Entwickler sind erstaunt über den hohen Zuspruch, den das neue Spiel erfährt.[1]
Aber was ist „Pokémon Go“ eigentlich?
Es ist ein Onlinespiel, bei dem die Spieler virtuelle Monster einfangen müssen. Was das Spiel so besonders macht, ist die Einbettung in die reale Welt. Nach dem Prinzip einer Schnitzeljagd müssen die Spieler zu Fuß durch die Straßen wandern, um die Pokémons einzufangen. Diese können trainiert werden und in virtuellen Arenen, die sich in realen Gebäuden, Plätzen oder Landschaftsmerkmalen befinden, gegen Monster eines anderen Spielers antreten. Wichtige Utensilien zur Monsterjagd erhält man in sogenannten „Poké-Stops“. Auch diese befinden sich an besonderen Land- oder Stadtmarken.[2]
Ziel des Spiels ist es, möglichst viele Monster zu fangen und diese zu trainieren. Um das zu erreichen, ist es notwendig viele, viele Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Um beispielsweise Monstereier auszubrüten, sind aktiv gegangene Strecken von ca. fünf Kilometern pro Ei notwendig. Per Handy-GPS werden die genauen Ortungsdaten genommen. Betrügen ist kaum möglich. Die Software erkennt, wer mit der Straßenbahn oder dem Auto fährt. Selbst mit dem Fahrrad muss man extrem langsam fahren, um die App auszutricksen.[3]
Das führt dazu, dass sich viele Jugendliche und Erwachsene zu Fuß durch die Straßen bewegen, auch wenn das normalerweise nicht ihrer Gewohnheit entspricht. Der Bewegungszwang, der dem Augmented-Reality-Spiel zugrundeliegt, wird von den Nutzern nicht negativ empfunden. Scheinbar bereitwillig gehen plötzlich alle zu Fuß um Monster zu fangen, auszubrüten oder auf Kämpfe vorzubereiten. „Man sieht ganz deutlich, dass die Leute sich täglich mehr bewegen, wenn sie „Pokémon Go“ spielen.“ stellt Wei Peng, Professorin der Michigan State University, fest. Sie erforscht positive Auswirkungen von interaktiven Spielen und Medien auf die Gesundheit.[4]
Durch Bewegung – vor allem an der frischen Luft – kräftigt der Mensch sein Herz-Kreislaufsystem. Er stärkt seine Ausdauer und seine Abwehrkräfte und sorgt so für einen gesunden, leistungsfähigen Körper.[5] Jeder zweite Deutsche treibt heute keinen oder kaum mehr Sport.[6] Zusätzlich wird unser Leben immer bewegungsärmer – durch sitzende Tätigkeiten im Beruf, durch Transportmittel oder durch Lieferdienste, die es ermöglichen, ohne vom Sofa aufzustehen, alles was das Herz begehrt zu kaufen.
Auch immer mehr Kinder und Jugendliche sind übergewichtig. Nach der KiGGS-Studie, die wichtige Daten zur Gesundheitslage im Kindes- und Jugendalter liefert, sind rund 15% aller untersuchten Kinder übergewichtig, davon 6,3% adipös.[7] Der Begriff der Adipositas ist als eine, über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung von Körperfett, definiert.[8] Zur Verringerung des Körperfettanteils ist eine ausgewogene Ernährung unbedingt vonnöten. Gleichzeitig weisen Experten darauf hin, dass Bewegung und sportliche Betätigung eine ebenso wichtige Rolle im Kampf gegen die Kilos spielen.[9]
Während die Kinder und Jugendlichen ihre Freizeit häufig sitzend vor dem Computer, der Spielkonsole oder dem Fernseher verbringen, entdecken sie nun mit dem neuen „Pokémon Go“ die reale Welt. Freiwillig bewegen sie sich umher und verbinden so unkompliziert Spiel und Spaß mit körperlicher Bewegung. Die American Heart Association widmet der App deshalb sogar einen lobenden Blogartikel auf ihrer Internetseite und stellt den sportlichen Aspekt des Spiels positiv hervor.[10]
Ein weiterer positiver Effekt des Spiels ist die Interaktion, in die sich die Spieler miteinander begeben. Man kann andere User auf Monster aufmerksam machen, schnappt sie sich aber nicht gegenseitig weg, sodass kein Konkurrenzdruck entsteht. Häufig sieht man nun kleine Grüppchen von Jugendlichen unterwegs oder an irgendeinem Platz, wo sie sich über ihre Pokémons austauschen oder (freundliche) Kämpfe mit ihren gefangenen Monstern austragen.
Selbst leichte Depressionen können von dem Spiel positiv beeinflusst werden. Von der sozialen und gesellschaftlichen Isolation, die ein reines Computerspiel mit sich bringt – hin zu echten realen Begegnungen und Gesprächen. Selbst wenn diese sich um ein Spiel drehen, so bieten sich doch Plattformen zum Kennenlernen und Freundschaften knüpfen. Ulrich Hegerl, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Leiter der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig meint dazu: „Ob und wie das Spiel im Einzelfall hilfreich sein könnte, hängt von der Schwere der Depression ab. Bei leichteren Formen der Erkrankung sehe ich Möglichkeiten. Hier kann das Spiel einen Anreiz liefern, ins Freie zu gehen und sich zu bewegen. Aus Studien wissen wir, dass Bewegung bei der Behandlung einer Depression unterstützend wirken kann.“[11]
Wie lange der Hype um „Pokémon Go“ anhält, ist nicht absehbar. Es bleibt jedoch die Hoffnung, dass die Jugendlichen sich nach der erzwungen Bewegung durch das Spiel so wohl fühlen, dass sie auch andere Sportarten wie Radfahren oder Schwimmen ausprobieren. Den Entwickler von Smartphonespielen kann man nur zurufen: weiter so! Was wir in unserer modernen Welt brauchen, ist eine spielerische Verknüpfung von Bewegung und Entertainment. Wir brauchen mehr Spiele, die soziale Interaktion, Sport und Bewegung, heraus aus der Isolation, hinein in die reale Welt ermöglichen.
Die Gesundheit unserer Gesellschaft würde sich dadurch merklich verbessern!
[1] Vgl. http://www.zeit.de/video/2016-07/5035507077001/pokemon-go-auch-in-deutschland-sind-die-monster-los (27.07.2016).
[2] Vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/phaenomen-pokemon-go-kinder-geht-zum-spielen-doch-an-die-frische-luft-14342183.html (27.07.2016).
[3] Vgl. http://eatsmarter.de/gesund-leben/news/pokemon-go-fitnesstrend (27.07.2016).
[4] Vgl. http://news.heart.org/pokemon-go-brings-video-games-outside/ (27.07.2016).
[5] Vgl. Mensink, GBM; 2003.
[6] Vgl. http://www.gesundheit.de/medizin/vorsorge/vorsorge-und-sport/wie-wichtig-ist-sport-fuer-die-gesundheit (27.07.2016).
[7] Vgl. http://www.kiggs-studie.de/deutsch/studie.html (27.07.2016).
[8] Vgl. http://www.adipositas-gesellschaft.de/index.php?id=39 (27.07.2016).
[9] Vgl. https://www.ifb-adipositas.de/blog/2012-11-09-bewegungstherapie-bei-adipositas (27.07.2016).
[10] Vgl. http://news.heart.org/pokemon-go-brings-video-games-outside/ (27.07.2016).
[11] Vgl. http://www.stern.de/gesundheit/pokemon-go-depression-bewegung-6971450.html (27.07.2016).
Bildnachweis:
Beitragsbild. Quelle: https://pixabay.com/de/pokemon-gehen-pokemon-stra%C3%9Fe-rasen-1569794/
Abb. 1. Quelle: https://pixabay.com/de/pokemongo-pokemon-handy-mobil-hand-1517819/
Abb. 2. Quelle: https://pixabay.com/de/dick-%C3%BCbergewicht-adipositas-gewicht-373064/
Abb. 3. Quelle: https://pixabay.com/de/pokemon-spiele-digital-elektronik-1543556/
Quellen:
Adipositas. URL: http://www.adipositas-gesellschaft.de/index.php?id=39 (27.07.2016).
Bewegungstherapie-bei-Adipositas. URL: https://www.ifb-adipositas.de/blog/2012-11-09-bewegungstherapie-bei-adipositas (27.07.2016).
Bewegung-und-Sport. URL: https://www.diabetesinformationsdienst-muenchen.de/therapie/bewegung-und-sport/ (27.07.2016).
GBM, M.: Bundes-Gesundheitssurvey. Körperliche Aktivität. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Robert-Koch-Institut. 2003.
KiGGS-Studie. URL: http://www.kiggs-studie.de/deutsch/studie.html (27.07.2016).
Phänomen Pokemon-go. URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/phaenomen-pokemon-go-kinder-geht-zum-spielen-doch-an-die-frische-luft-14342183.html (27.07.2016).
Pokemon-go auch in Deutschland. URL: http://www.zeit.de/video/2016-07/5035507077001/pokemon-go-auch-in-deutschland-sind-die-monster-los (27.07.2016).
Pokemon-go brings video games outside. URL: http://news.heart.org/pokemon-go-brings-video-games-outside/ (27.07.2016).
Pokemon-go Depression Bewegung. URL: http://www.stern.de/gesundheit/pokemon-go-depression-bewegung-6971450.html (27.07.2016).
Pokemon-go. Fitnesstrend. URL: http://eatsmarter.de/gesund-leben/news/pokemon-go-fitnesstrend (27.07.2016).
Wie wichtig ist Sport für die Gesundheit. URL: http://www.gesundheit.de/medizin/vorsorge/vorsorge-und-sport/wie-wichtig-ist-sport-fuer-die-gesundheit (27.07.2016).
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