By Published On: 7. August 2017Categories: Psychologie, Wirtschaft

Ich bin ein vorurteilsfreier Mensch, da bin ich mir ganz sicher. In Diskussionen um die beispielsweise aktuelle Flüchtlingskrise argumentiere ich sachlich und datenbasiert. Die Verallgemeinerungen der beiden Lager “ Pro und Contra Flüchtlinge “ nehme ich nicht an. Denn meiner Meinung nach kann man nicht jeden über einen Kamm scheren. Denn ich bin und agiere vorurteilsfrei. Das dachte ich zumindest bis gestern Abend. Ich traf mich mit Freundinnen in einer Bar um den neuen Job meiner besten Freundin zu feiern. Auf dem nächtlichen Nachhauseweg kam mir ein auf den ersten Blick scheinbar ausländischer Mann entgegen. Und da war es – vollkommen ungesteuert durchfuhr mich der Gedanke diesem Mann aus dem Weg zu gehen. Ich wechselte also wie fremdgesteuert die Straßenseite und nahm mein Handy ans Ohr. Ja, ich täuschte einen Anruf vor. Als ich bemerkte, dass der Mann mich nicht beachtete entspannte sich mein Körper merklich. Trotzdem ging ich schneller und aufmerksamer nach Hause. Auch wenn ich es nicht gerne eingestehe – in diesem Moment habe ich mich von Vorurteilen leiten lassen und dem Mann böse Absichten unterstellt. Doch warum habe ich das getan? Wie entstehen Vorurteile und wie kann ich diese abbauen?

Stereotype und Schemata erleichtern den Alltag

Der Mensch sieht sich tagtäglich einer Vielzahl von Informationen gegenüber. Um sich in dieser Informationsflut zurechtzufinden, greift unser Gehirn auf verschiedene Mechanismen zurück, so beispielsweise auch der sozialen Kategorisierung. Diese führt zu der Neigung, Menschen basierend auf gemeinsamen charakteristischen Merkmalen in Gruppen zu gliedern, beispielsweise Frauen und Flüchtlinge.[1] Ausgehend von dieser Kategorisierung bildet unser Gehirn sogenannte Stereotype, welche unser Wissen, unsere Überzeugungen und unsere Erwartungen gegenüber einer Gruppe enthalten. Die Aktivierung eines Stereotypen basiert lediglich auf den schnell und unmittelbar wahrnehmbaren Merkmalen.[2] Anhand des äußeren Erscheinungsbildes kann man augenscheinlich erkennen, ob ein Mann aus Syrien stammt. Diese Merkmale führen unbewusst zu der Zuordnung in die Gruppe der Flüchtlinge und aktiviert damit sämtliche verallgemeinerten, teilweise unbelegten Erwartungen bezüglich dessen Persönlichkeit. Im Beispiel des syrischen Mannes beispielsweise Aggressivität oder fehlender Respekt vor Frauen. Dieses Vorgehen vereinfacht zwar das tägliche Leben, birgt jedoch aber auch das Risiko sich voreingenommen zu verhalten.

Gruppenzugehörigkeiten als Basis für Vorurteile

Gordon Allport, ein bedeutender US-amerikanischer Psychologe, definierte Vorurteile als eine „ablehnende oder feindselige Haltung gegen eine Person, die zu einer Gruppe gehört, einfach deswegen, weil sie zu dieser Gruppe gehört und deswegen dieselben zu beanstandenden Eigenschaften haben soll, die man dieser Gruppe zuschreibt.“ [3] Demnach stellen Vorurteile eine meist negativ behaftete Einstellung gegenüber Menschen allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe dar. Unterschieden wird dabei zwischen Gruppen, denen man selbst angehört (Eigengruppe) und jenen, denen man nicht angehört (Fremdgruppe).[4] Die Gruppierungen basieren dabei auf verschiedenen Merkmalen wie Religion, Alter, Herkunft, Geschlecht oder berufliche Position. Die positive Distinktheit sowie der Drang zur Selbstwerterhöhung führen dazu, dass die Eigengruppe gegenüber einer Fremdgruppe automatisch begünstigt und aufgewertet wird.[5] Die Fremdgruppe wird  im Gegensatz zur eigenen Gruppe als vollkommen homogen wahrgenommen, jedem Gruppenmitglied werden die gleichen positiven und negativen Eigenschaften unterstellt.[6] Bestes Beispiel hierfür ist die Aussage, dass nur ein gewisser Teil der Deutschen kein Respekt vor Frauen habe. Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten dagegen hätten definitiv alle keinen Respekt.

Neben der automatischen Zuteilung von charakteristischen Eigenschaften wird auch die Zuschreibung von Verhaltensweisen unterschieden. Die Attributionstheorie besagt, dass Verhalten der Fremdgruppe, welches einen bestehenden Stereotyp bestätigt, einem Persönlichkeitsmerkmal zugesprochen wird. Die Ursache wird demnach in der Person selbst gesehen. Verhalten, dass dagegen dem Stereotyp widerspricht, wird der Situation zugeschrieben. Dadurch wird positives Verhalten einer Fremdgruppe „weggeredet“, negatives Verhalten dagegen gegen sie verwendet. Ein Fehlverhalten, beispielsweise eine körperliche Auseinandersetzung von Flüchtlingen bestätigt dementsprechend die Annahme, dass alle dieser Gruppe zugehörigen Personen gewalttätig sind.[7] Zusätzlich spielt die selbsterfüllende Prophezeiung bei der Entstehung von Vorurteilen eine große Rolle. Sie führt dazu, dass unsere Erwartungen gegenüber einer Person erfüllt werden, indem sie ein bestimmtes Verhalten hervorrufen, welches zu einer Bestätigung der Erwartung führt. So tritt man Flüchtlingen beispielsweise abweisend gegenüber und integriert sie nicht, was in einem frustrierten und teilweise wütendem Verhalten ihrerseits resultieren kann. Dieses wiederrum bestätigt das Vorurteil der gewalttätigen Flüchtlinge.[8]

Abbau und Prävention von Vorurteilen

Die Kontakthypothese von G.W. Allport gilt als eine der bedeutendsten Forschungen im Bereich der Prävention und dem Abbau von Vorurteilen. Demnach können Vorurteile durch Intergruppenkontakt abgebaut werden, wenn dieser „(1) das Potential zum Anknüpfen von Bekannschaften birgt, (2) unter Bedingungen gleichen Status´ abläuft, (3) Kooperation in Richtung auf ein gemeinsames Ziel beinhaltet und (4) in einem unterstützenden normativen Klima stattfindet“. [9] Es kommt also nicht nur darauf an, mit einer anderen Gruppe in Kontakt zu stehen. Vielmehr zählt die Häufigkeit, Enge und Dauer dieses Kontakts.[10] Intergruppenkontakte sollten daher möglichst persönlich gestaltet werden (Modell der Dekategorisierung). Um dies zu gewährleisten müssen die Mitglieder der Fremdgruppe im ersten Schritt differenziert wahrgenommen werden. Dies gibt ihnen ihre Individualität und Einzigartigkeit zurück. Darauf aufbauend wird die Aufmerksamkeit folglich verstärkt auf die individuellen statt auf kategoriebasierte Informationen gerichtet, wodurch die Vorurteile abgebaut werden. Ebenso besteht die Möglichkeit, dem Modell der Neukategorisierung entsprechend die Unterschiede zwischen Eigen- und Fremdgruppe durch eine gemeinsame Eigengruppenidentität auf übergeordnetem Niveau zu ersetzen. Diese übergeordnete Identität sollte sowohl aus Mitgliedern der früheren Eigengruppe, als auch aus Mitgliedern der früheren Fremdgruppe bestehen. In dieser Konstellation werden die positive Distinktheit sowie der Drang zur Selbstwerterhöhung zu einer Erhöhung der Wertschätzung der ursprünglichen Fremdgruppenmitglieder auf das Niveau der ursprünglichen Eigengruppenmitglieder führen. Insofern man seine Gruppenkategorisierung nicht aufgeben möchte, kann das Modell der wechselseitigen Kategorisierung bei dem Abbau von Vorurteilen helfen. Eine steigende Wertschätzung der Fremdgruppenmitglieder resultiert hier aus positiven Interdependenzsituationen, wie beispielsweise der Kooperation bei der Erreichung eines gemeinsamen Ziels. Die in solch Situationen gewonnen positiven Eindrücke werden anschließend automatisch auf die Fremdgruppe generalisiert. [11]

Was lerne ich nun daraus?

Ein deutsches Sprichwort besagt ganz treffend „Beurteile den Baum nicht nach seiner Rinde!“.[12] Genauso möchte ich nun auch versuchen, meine Mitmenschen zu beurteilen. Denn jeder hat eine eigene Geschichte, eigene Erfahrungen und eigene Werte. Meinungen anderer unbedacht zu übernehmen schadet der vorurteilsbehafteten Personengruppe sowie auch Einem selbst, da durch die Verschlossenheit manch positive Erfahrung verwehrt bleibt. Durch die aktuelle Präsenz der Flüchtlingskrise fällt es natürlich schwer, nicht doch unbewusst andere Urteile anzunehmen. Daher möchte ich mich nicht auf die Geschichten anderer verlassen und stattdessen nun meine Vorurteile überprüfen. Möglichkeiten wie die betriebliche Organisation verschiedener Praktiken sowie die Unterstützung der Integration einer jungen Familie in meiner Stadt stehen nun auf meiner „To do-Liste“. Durch den persönlichen Kontakt möchte ich meine Vorurteile Schritt für Schritt hinterfragen und abbauen. Ich möchte davon abkommen, Vorurteile zu unterdrücken und mir einzureden, ich wäre vollkommen vorurteilsfrei. Denn dies, so habe ich nun ja selbst erfahren, bewirkt einen Bumerang Effekt – meine Urteilsbildung wurde unbewusst stärker denn je beeinflusst.[13] Und wer weiß, vielleicht spornt mein Engagement ja auch Freunde an, ihr Verhalten zu überdenken. Denn manchmal reicht ja das bloße Wissen über eine gute Beziehung zweier Personen, um bestehende Einstellungen gegenüber einer Personengruppe zu verbessern.[14]

 

Quellenverzeichnis:

[1] Vgl. Pendry, L.: 2007, S. 116

[2] Vgl. Assmann, A.: 2009, S. 2f

[3] Allport, G.W.: 1971, rezitiert nach Spektrum ( 23.06.2016), www.spektrum.de

[4] Vgl. Nijstad, B.A./ Knippenberg,D.: 2007, S. 441

[5] Vgl. Kessler, T./ Mummendey, A.: 2007, S. 520

[6] Vgl. Petersen, L.-E.: 2011, S. 235

[7] Vgl. Abels, H.: 2009, S. 185

[8] Vgl. Abels, H.: 2009, S. 144f

[9] Jonas, K. et al: 2014, S. 548

[10] Vgl. Jonas, K. et al: 2014, S. 548

[11] Vgl. Jonas, K. et al: 2014, S. 553ff

[12] Vgl. Aphorismen (10.06.2017), https://www.aphorismen.de

[13] Vgl. Aronson, E. et al: 2004, S. 88

[14] Vgl. Jonas, K. et al: 2014, S. 559

 

Abbildungsverzeichnis:

Beitragsbild: https://pixabay.com/de/tribalismus-antagonismus-widerstand-1201697/

https://pixabay.com/de/handschellen-verhaftung-1251664/

https://pixabay.com/de/h%C3%A4nde-teamarbeit-teamgeist-1939895/

 

Literatur:

Abels, H.: Wirklichkeit. Über Wissen und andere Definitionen der Wirklichkeit, Über uns und Andere, Fremde und Vorurteile. VS Verlag. Wiesbaden. 2009.

Aronson, E. et al.: Sozialpsychologie. 4. überarbeitete Auflage. Pearson Studium. München. 2004.

Assmann, A: Einführung. In: Pelinka, A. (Hrsg.): Vorurteile. Ursprünge,Formen, Bedeutung. De Gruyter. Göttingen. 2012. S. XI-1

Kessler,T./ Mummendey, A.: Vorurteile und Beziehungen zwischen sozialen Gruppen. In: Jonas, K. et al. (Hrsg.): Sozialpsychologie. Eine Einführung. Springer Medizin Verlag Heidelberg. 2007. S. 487-532

Nijstad, B. A./ Van Knippenberg, D.: Gruppenpsychologie: Grundlegende Prinzipien. In: Jonas, K. et al. (Hrsg.): Sozialpsychologie. Eine Einführung. Springer Medizin Verlag Heidelberg. 2007. S. 409-442

Pendry, L.: Soziale Kognition. In: Jonas, K. et al. (Hrsg.): Sozialpsychologie. Eine Einführung. Springer Medizin Verlag Heidelberg. 2007. S. 111-146

Petersen, L.-E.: Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. In: Bierhoff, H.-W./ Frey, D.: Sozialpsychologie – Individuum und soziale Welt. Hogrefe, Göttingen. 2011, S. 233-252

Spears, R./ Tausch, N.: Vorurteile und Intergruppenbeziehungen. In: Jonas, K. et al. (Hrsg.): Sozialpsychologie. Eine Einführung. Springer Medizin Verlag Heidelberg. 2007. S. 507-564

 

Internetquellen:

Spektrum (Hrsg.):

Six, B./ Six-Materna, I.: Vorurteile. 2000.

URL (10.06.2017):

http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/vorurteile/16528

 

Aphorismen:

URL (10.06.2017):

https://www.aphorismen.de/suche?f_thema=Vorurteil

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