Die letzten zwei Jahrhunderte waren geprägt von technologischen Entwicklungen, die den Menschen immer weiter von der Natur entfernten. Gleichzeitig entstanden Zivilisationskrankheiten, die heute das Gesellschaftsbild prägen. Dabei wäre die Lösung dieses Problems ganz einfach, sagen zumindest japanische Forscher: Eine altbewährte Tradition aus Japan soll auch in westlichen Kulturen die Bevölkerung vor diesen Zivilisationskrankheiten schützen – das Waldbaden (japanisch Shinrin Yoku).[1] Doch kann ein Aufenthalt im Wald tatsächlich ausreichen, den Körper und Geist des Menschen zu heilen?
Was bedeutet „Zivilisationskrankheit“?
Zivilisationskrankheiten beziehen sich auf Erkrankungen, deren Ursprung in der Lebensweise einer Zivilisation zu finden ist. Vertreter der evolutionären Medizin und Psychiatrie konnten in ihren Forschungen feststellen, dass viele Störungsbilder hauptsächlich oder ausschließlich in modernen industriellen Bevölkerungsgruppen auffindbar sind (sogenannte western-culture-bound-syndromes).[2] Verglichen mit anderen Krankheiten gibt es allerdings keine einheitliche Übereinkunft in Bezug auf Symptomatik, Behandlung und Präventionsmaßnahmen. Neben koronaren Herzerkrankungen, Adipositas und Allergien werden auch psychiatrische Anomalien, Infektionskrankheiten oder Infertilität zu den Zivilisationskrankheiten gezählt.[3] Zu der Vielzahl auslösender Faktoren gehören unter anderem körperliche Inaktivität, falsche Ernährung, Stress im Berufs- und Privatleben sowie Suchtmittelkonsum.[4]
Problematisch ist diese Art von Krankheit vor allem deswegen, weil lange Zeit keine Beschwerden auftauchen und sie häufig von den Betroffenen nicht als ernstzunehmende Erkrankung betrachtet wird.[5] Doch selbst wenn ein Störungsbild erkannt wird, wird von den meisten Menschen keine vollständige Änderung der Lebensweise in Betracht gezogen. Dadurch stellen Zivilisationskrankheiten ein immer größer werdendes Problem der Gesundheitspolitik und der Volkswirtschaft dar.[6]
Wie kann Waldtherapie helfen?
Als Teil der Klimatherapie wird die Waldtherapie vor allem zur Rehabilitation und Prävention eingesetzt. Begründet wurde sie in Japan, wo ihre Wirksamkeit in zahlreichen Studien belegt werden konnte.[7] Zu den wichtigsten Forschern zählt Dr. Qing Li, dessen Forschung die positive Wirkung des Waldbadens auf Psyche, Stressempfinden und Immunsystem beweisen konnte. Er stellte unter anderem fest, dass die Therapie eine effiziente Präventionsmaßnahme für stressbedingte Störungsbilder, wie Herz-Kreislaufbeschwerden oder Stoffwechselstörungen, darstellt. Zudem konnte er belegen, dass Patienten mit psychischen oder physischen Problemen, die regelmäßig den Wald aufsuchen, weniger Medikamente einnehmen müssen. Außerdem seien Kinder konzentrierter und aufnahmefähiger, wenn sie mehr Zeit in der Natur verbringen.[8]
Japanische Forscher gehen heute von zwei Hauptbegründungen aus, warum der Wald eine ähnlich heilende Wirkung wie Medizin hat. Zum einen wirkt die Natur entspannungsfördernd. Zum anderen konnten im Wald bioaktive sekundäre Pflanzenstoffe festgestellt werden, die sogenannten Phytonzide (im Westen als Terpene bezeichnet). Wenn diese Terpene im Wald eingeatmet werden, erhöht sich auch die Anzahl der körpereigenen natürlichen Killerzellen, die wiederum einen positiven Einfluss auf das Immunsystem haben. NK-Zellen erkennen Zellen, die dem Körper Schaden zufügen können (zum Beispiel Tumorzellen), und töten sie spontan ab.
In Japan und Südkorea ist die Therapie seit Jahren staatlich anerkannt und wird gefördert. So finden sich dort 63 Waldtherapiezentren.[9] Doch auch an der Universität München werden bereits Waldtherapeuten ausgebildet. Waldtherapeuten sind unter anderem in den Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit, Erwachsenenbildung, Psychotherapie und Rehabilitation tätig. Das Waldbaden soll hier als Alternative zu rein verbalen Therapieformen zum Einsatz kommen.[10]
Fazit
Ob ein Aufenthalt im Wald allein reicht, um zum Beispiel Adipositas zu heilen, ist fraglich. Doch auch, wenn nicht jede Zivilisationskrankheit nur durch Waldbaden kuriert werden kann, stellt sie eine beachtliche alternative Therapieform und ein wissenschaftlich fundiertes Präventionskonzept dar, das immer mehr Anhänger auf der ganzen Welt findet. Es ist daher empfehlenswert, bereits vor dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome ab und zu einen Waldspaziergang zu unternehmen und die heilende Luft der Natur tief einzuatmen.
Fußnoten
[1] Vgl. ADAMEK (2018), S. 12
[2] Vgl. KÖNNEKER (o.A.)
[3] Vgl. ROELCKE (1999), S. 12
[4] Vgl. KÖNNEKER (o.A.)
[5] Vgl. ZWICK (2004), S.15
[6] Vgl. KÖNNEKER (o.A.)
[7] Vgl. BACH (2019), S. 173
[8] Vgl. BERNJUS/ CAVELIUS (2019), S. 10
[9] Vgl. ADAMEK (2018), S. 20-21
[10] Vgl. BACH (2019), S. 173
Literaturverzeichnis
ADAMEK, M. (2018), IM WALD SEIN, o.A.
BACH, C. (Hrsg.) (2019), Pädagogik im Verborgenen, Berlin.
BERNJUS, A./ CAVELIUS, A. (2019), Waldbaden, 2. Auflage, München.
ROELKE, V. (1999), Krankheit und Kulturkritik: psychiatrische Gesellschaftsdeutungen im bürgerlichen Zeitalter, Frankfurt/Main.
ZWICK, H. (Hrsg.) (2004), Bewegung als Therapie: gezielte Schritte zum Wohlbefinden, Wien.
Internetquellen
KÖNNEKER, C. (o.A.), Zivilisationskrankheiten, https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/zivilisationskrankheiten/71834, abgerufen am 19.07.2019.
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