Wir alle kennen es: Das Jahr neigt sich dem Ende zu und wir fangen an unsere persönliche Bilanz zu ziehen und Erfolge, Misserfolge, Wünsche und Ziele revue passieren zu lassen. Insgesamt nehmen sich 30-40% der Deutschen das neue Jahr zum Anlass alte Fehler auszuräumen und als Chance nochmal „neu“ anzufangen und alles besser zu machen.[2] In der Psychologie werden die Neujahrsvorsätze mit großem Interesse untersucht. Psychologen stellen sich dabei die Frage wieso wir überhaupt Neujahrsvorsätze fassen, wie erfolgreiche Zielsetzungen funktionieren und warum immer noch so viele Vorsätze schon nach wenigen Wochen scheitern.[3]
Die DAK-Gesundheitsstudie erfragt jährlich die Neujahrsvorsätze von deutschen Bürgern. Im Jahr 2019 dominieren die unten aufgeführten elf Zielsetzungen. Besonders bemerkenswert ist, dass sich immer mehr Deutsche vornehmen weniger Zeit mit digitalen Medien zu verbringen. Insbesondere bei den 14- bis 29jährigen ist hier mit 49% der Angaben ein Anstieg von 69% im Vergleich zum Jahr 2014 zu verzeichnen. Die restlichen Abweichungen sind im Vergleich zum Vorjahr 2018 hinter den Prozentangaben der Hauptanworten einzusehen [4]
Neujahrsvorsätze 2019: Platz 1-11[5]
Platz 1: Stress vermeiden oder abbauen (62% / +3%)
Platz 2: Mehr Zeit für die Familie /Freunde (60% / +2%)
Platz 3: Mehr bewegen/Sport (57% / +4%)
Platz 4: Mehr Zeit für sich selbst ( 51% / +3%)
Platz 5: Gesünder ernähren (49% / +2%)
Platz 6: Abnehmen (34% / +4%)
Platz 7: Sparsamer sein (32% / +4%)
Platz 8: Weniger Handy, Computer, Internet (25% / +7%)
Platz 9: Weniger fernsehen (19% / +4%)
Platz 10: Weniger Alkohol (16% /+4%)
Platz 11: Rauchen aufgeben (11% / +2%)
Wieso setzen wir uns gute Vorsätze für das neue Jahr?
Sozialpsychologen gehen davon aus, dass Individuen stetig darauf bedacht sind ihren eigene Selbstwert zu erhöhen, um einen Status der inneren Zufriedenheit zu erlangen.[6] Die notwendigen Handlungen oder Veränderungen im Leben werden durch den Vergleich des Ist-Zustandes des eigenen Selbstbildes und dem Wunsch-Selbstbild gebildet. Dabei können die Soll-Ist-Vergleiche viele verschiedene Aspekte im Leben betreffen, etwa den Beruf, die Familie, die Gesundheit oder das Aussehen, die nicht alle gleichermaßen stark auseinanderdriften müssen. Je größer die Diskrepanz ist oder je mehr Bereiche des Selbstbildes hinter den eigenen Erwartungen zurückbleiben, desto stärker leiden betroffene Personen unter Unzufriedenheit, Traurigkeit oder Enttäuschungen.[7] Die logische Schlussfolgerung ist die sogenannte „Diskrepanzauflösung“, indem Individuen versuchen proaktiv auf ihre Zukunft einzuwirken. Das neue Jahr eignet sich dafür gut als terminlicher Startschuss.[8]
Ergänzt wird die Theorie der Selbstwerterhöhung durch die Anforderungen der Umwelt und Mitmenschen. Somit sind Individuen nicht nur danach bestrebt ihr eigenes Selbstbild zu erhöhen sondern auch eine soziale Zugehörigkeit sowie soziale Anerkennung zu erfahren. Charles Cooley prägte in diesem Zusammenhang den sogenannten „Spiegelbildeffekt“, im englischen „looking-glass-self“. Er beschrieb das Phänomen folgendermaßen: „Each to each a looking-glass. Reflects the other that doth pass.“[9] Damit versucht Cooley zu verdeutlichen, dass die Annahmen über unsere Außenwirkung auf andere ebenso einen Teil unseres Selbstbildes und unseren Selbstwert ausmachen. Unter Berücksichtigung der von der DAK ermittelten Neujahrsvorsätze ist somit auch anzunehmen, dass beispielsweise 49% der Deutschen im Jahr 2019 erfahren haben, dass ihre aktuelle Ernährungsweise nicht den gesellschaftlichen Empfehlungen und Ansprüchen genügt. Sie wollen mit dem Vorsatz einer gesünderen Ernährung nicht nur ihre eigene Gesundheit positiv beeinflussen, sondern auch die potenziellen Gefahr als Normabweichler angesehen zu werden, umgehen.[10]
Zu guter Letzt werden Neujahrsvorsätze durch das sogenannte „Impression Management“ beeinflusst, indem Individuen ihre Ziele und Vorhaben bewusst oder unbewusst formulieren, um ihre Mitmenschen zu beeindrucken. Anders (2018) nennt beispielhaft die laute Verkündung im neuen Jahr eine Luxusurlaub oder eine Alpenüberquerung durchführen zu wollen.[11]
Wie setzen wir uns erfolgreiche Neujahrsvorsätze?
Obwohl sich so viele Menschen gute Vorsätze für das neue Jahr setzen, scheitern so viele an ihren Plänen. Die neuen Laufschuhe verstauben schon nach einigen Monaten im Schrank, die Rohkost am Abend wird durch die Tüte Chips ersetzt oder der Terminkalender nach einigen Wochen der Pause wieder prall gefüllt. Laut der DAK Gesundheitsumfrage gelingt es lediglich 54% der Deutschen ihre guten Vorsätze vier Monate oder länger durchzuführen.[12] Warum ist das so? Hat die erfolglose Umsetzung lediglich mit fehlender Willenskraft zu tun?
Laut Locke und Latham spielen wesentlich mehr Faktoren bei einer erfolgreichen Zielsetzung und Durchführung eine Rolle. In diesem Kontext entwickelten sie die „Theorie der Zielsetzung“.[13] Leistungsergebnisse werden besser, wenn die gesetzten Ziele schwierig und herausfordernd, konkret, präzise sowie erreichbar sind. Insbesondere der schmale Grad zwischen einer angemessenen Herausforderung und einer zu schwierigen oder unereichbaren Zielsetzung gestaltet sich für viele Menschen als schwierig. Zu hoch gesetzte Ziele fungieren häufig nicht als Zeichen zur Herunterregelung der gesteckten Ziele, sondern führen oft zur direkten Aufgabe ohne weitere Versuche zu unternehmen. Ähnlich verhält es sich mit der Präzision der gesteckten Neujahrsvorsätze. Die 62% der Deutschen, die sich für 2020 vorgenommen haben „Stress zu vermeiden oder abzubauen“ tun gut daran dieses Ziel zu konkretisieren. Betroffene sollten sich fragen ab wann der Stressabbau als erfüllt angesehen werden und welche Kriterien dafür zur Rate gezogen werden können.[14]
Eine korrekte Zielformulierung reicht jedoch nicht aus, um den Vorsatz im neuen Jahr auch wirklich umzusetzen. Zu diesem Zweck spielen ebenso Motivationskomponenten eine Rolle. Im Rahmen der Zielsetzungstheorie zählen dazu die stetigen Rückmeldungen, Zielbindungen, die Selbstwirksamkeit und die Aufgabenkomplexität. Rückmeldungen geben Individuen eine stetigen Motivationsschub, sofern diese sich auf einem guten Weg hinsichtlich Zielerreichung befinden und können ebenso zu Leistungssteigerungen führen, sofern der Vergleich negativ ausfällt. Die Rückmeldungen kann es jedoch nur geben, wenn die Vorsätze zuvor konkret formuliert wurden sind.
Die Zielbindung beschreibt, ob der Neujahrsvorsatz ausreichend mit dem Selbstbild sowie dem Selbstwert der Person übereinstimmt bzw. zur Selbstwertsteigerung eingesetzt wird. Sofern keine ausreichende Passung besteht, ist der Leidensdruck oft nicht groß genug und die Ziele werden vorschnell losgelassen. Ein sogenanntes „Nice-to-have“ Ziel reicht nicht aus, um dauerhaft am Ball zu bleiben.[15] Die Psychologin Franziska Kath empfiehlt zudem im Vorfeld mögliche Hindernisse zu bedenken und sich mit den etwaigen Folgen auseinanderzusetzen. Danach sollten Individuen sich auch überlegen wie sie mit diesen Hürden umgehen würden und konkrete Handlungsschritte definieren.[16]
Die Selbstwirksamkeit geht auf Bandura (1977) zurück und beschreibt die Überzeugung einer Person ausreichend Fähigkeiten und Fertigkeiten zu besitzen, um ein gesetztes Ziel aus eigener Kraft und gegen etwaige Wiederstände zu erreichen. Als stärkste Quelle für die Selbstwirksamkeit wirken eigene Erfolgserlebnisse. Wenn Personen bereits einmal erfolgreich abgenommen haben, wird ihre Selbstwirksamkeit höher sein dieses Ziel auch noch einmal zu erreichen.[17]
Die Aufgabenkomplexität eines Neujahrsvorsatzes sollte nicht zu hoch ausfallen, um genügend kognitive Kapazitäten für die Ausführung zur Verfügung zu haben. Anders (2018) empfiehlt daher den guten Vorsatz in Ober-und Unterziele zu unterteilen. Somit können die Ziel kontrollierter verfolgt werden und ausreichend kleine Erfolgserlebnisse im Sinne der Selbstwirksamkeitserhöhung gesammelt werden.[18] Eine beispielhafte Aufteilung des Vorsatzes „Gesünder Leben“ ist in Abbildung 2 dargestellt.
Abbildung 2: Hierarchische Struktur von Zielen[19]
Die Ergebnisse belegen, dass der alleinige Wille einen guten Vorsatz noch nicht zu einem erfolgreichen Ziel macht. Zudem erscheint die häufige Kritik berechtigt, ob das Jahresende der beste und einzige Zeitpunkt ist neue Ziele und Vorhaben zu schmieden und anschließend umzusetzen. Schließlich haben Menschen das ganze Jahr über Zeit sich neue Ziele im Sinne der Diskrepanzauflösung zu setzen und an ihnen zu arbeiten. Wer trotzdem den Jahreswechsel nutzen möchte, sollte seine Erwartungen nicht zu hoch ansetzen und seine guten Vorsätze ausreichend spezifizieren und hinterfragen.
Fußnoten
[1] (Pixabay)
[2] Frankfurter Allgemeine (2016)
[3] Anders (2018, S. 14-20)
[4] DAK-Gesundheit (2019)
[5] DAK-Gesundheit (2019)
[6] Aronson, Wilson und Akert (2008, S. 170)
[7] Higgins (1987, S. 324)
[8] Anders (2018, S. 16)
[9] Cooley (1983, S. 184)
[10] Anders (2018, S. 16-17)
[11] Anders (2018, S. 17)
[12] DAK-Gesundheit (2019)
[13] Locke und Latham (1990)
[14] Anders (2018, S. 18)
[15] Frankfurter Allgemeine (2016)
[16] DAK-Gesundheit (2019)
[17] Bandura (1977)
[18] Anders (2018, S. 19)
[19] Anders (2018, S. 19)
Literatur
Anders, L. (2018). Silvester und Neujahr. In D. Frey (Hrsg.), Psychologie der Rituale und Bräuche: 30 Riten und Gebräuche wissenschaftlich analysiert und erklärt (S. 13-24). Berlin Heidelberg: Springer.
Aronson, E., Wilson, T. D. & Akert, R. M. (2008). Sozialpsychologie. München: Pearson Education Deutschland.
Bandura, A. (1977). Self-efficacy: toward a unifying theory of behavioral change. Educational Psychologist, 84(2), 191.
Cooley, C. H. (1983). Human nature and the social order. New Brunswick: Transaction Publishers.
DAK-Gesundheit. (2019). Gute Vorsätze 2019 – Gute Vorsätze bei jungen Leuten – jeder Zweite will weniger digitale Medien nutzen. Verfügbar [Zugriff: 26.12.2019].
Frankfurter Allgemeine. (2016). „Man muss das Hamsterrad anhalten“. Verfügbar unter: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/gute-vorsaetze-im-buero-man-muss-das-hamsterrad-anhalten-14104566.html [Zugriff: 26.12.2019].
Higgins, E. T. (1987). Self-discrepancy: a theory relating self and affect. Psychological review, 94(3), 319.
Locke, E. A. & Latham, G. P. (1990). A Theory of Goal Setting & Task Performance: Prentice Hall.
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