Coaching in der Küche, im Kinder- oder Schlafzimmer – es scheint für jede (un-)passende Gelegenheit mittlerweile den richtigen Coach, die richtige Beraterin oder den richtigen Supervisor zu geben. Kein Wunder, denn das Geschäft mit der professionellen Beratung hat 2016 nach konservativen Schätzungen einen Umsatz von einer halben Milliarde Euro erreicht.[1] Allein die Zahl der Coaches in Deutschland liegt laut Branchen-Angaben bei rund 9000.[2] Nimmt man diejenigen dazu, die unter den Begriffen Beratung oder Supervision agieren, steigt die Zahl sicher über die 10 Tausend-Marke. Grund genug, ein wenig Ordnung in die Vielzahl der Begrifflichkeiten zu bringen.
Soll man sich mit seinem Problem an einen Coach, eine Supervisorin oder gar einen Therapeuten wenden? Oder ist man bei einer ‚Experten‘-Beratung besser aufgehoben? Viele Menschen müssen sich in ihrem täglichen Leben dieser Frage stellen und sind ein wenig hilflos, wenn man sie nach den Unterschieden fragt. Dabei scheint der Bedarf an Beratung in seinen vielfältigen Formen hoch zu sein, wie man am Umsatz der Branche und der Anzahl an Coaches sehen kann. Ob jedoch das Angebot die Nachfrage erzeugt oder andersherum, kann daraus nicht abgeleitet werden. Entsprechend einer 2017 erstellten, repräsentativen Umfrage können sich fast 80 Prozent die Teilnahme an einem Coaching vorstellen oder haben bereits an einem teilgenommen.
Interessant an dieser Grafik sind nicht nur die Zahlen, sondern auch die Überschrift. Denn in der Frage werden die Begriffe Coaching und Beratung gleichgesetzt. Ganz so einfach ist es nicht. Nach Christopher Rauen bezieht sich Beratung auf eine Expertenberatung, wie sie zum Beispiel von Berufsberatenden, dem Steuerberater oder der Vermögensberaterin angeboten wird. Coaching hat sich hingegen seit ca. 1985 in Deutschland als Personalentwicklungsinstrument etabliert und wurde zuerst im Top-Management als Möglichkeit des Spiegelns der Fähigkeiten und Schwächen aus unternehmensfremder Sicht eingesetzt. Im Laufe der Zeit hat sich das Angebot des Coachings dann auf die mittlere Führungsebene und andere Bereiche ausgedehnt. Aus Sicht von Rauen kann Coaching unter dem Oberbegriff der Beratung eingeordnet werden.[3] Das sehen Schubert, Rohr und Zwicker-Pelzer anders und nehmen eine Grobunterscheidung vor von arbeitsweltbezogener Beratung inklusive Coaching sowie lebenswelt- und familienweltorientierter Beratung.[4]
Arbeitsweltbezogene und familienweltorientierte Beratung
Michael Loebbert sieht die Entwicklung des Coachings eng mit dem Sport verknüpft als passgenaue Prozessbegleitung zur Leistungssteigerung.[5] Mittlerweile scheint tatsächlich kein Berufssportler mehr ohne einen Mentalcoach auszukommen. In dem sich Loebbert auf den Leistungs- und Handlungsprozess des Coachings konzentriert, versucht er zudem eine wissenschaftliche Theorie des Coachings zu entwickeln. Denn diese fehlt bisher und verhindert eine evidenzbasierte Einordnung, was erfolgreiches Coaching ausmacht. Die Konzentration auf den Prozess ist das Kennzeichen von Coaching, auf das sich alle Experten einigen können. Wer den Versuch einer umfassenden Definition von Coaching selbst nachlesen möchte, dem seien die Ausführungen des Deutschen Bundesverband Coaching (DBVC) nahegelegt.
Coaching: Beratung ohne Ratschlag
Sonja Radatz hat 2006 ihrem Coaching-Buch treffend den Titel „Beratung ohne Ratschlag“ gegeben und damit einen wichtigen Unterschied auf den Punkt gebracht. Beim Coaching sollte es darum gehen, den Coachee (also den zu Coachenden) in die Lage zu versetzen, selbst die für ihn beste Lösung zu finden. Der Coach steht dabei als Prozessbegleiter ’nur‘ hilfreich zur Seite, hält sich mit konkreten Ratschlägen aber zurück. Zentrales Thema eines modernen Coaching-Verständnisses ist es, der Klientin oder dem Klienten wertschätzend und auf Augenhöhe zu begegnen. Bei der Expertenberatung kann durchaus ein hierarchisches Beziehungsgefälle bestehen, da der oder die Expertin als ‚Wissende‘ Ratschläge erteilt und auch erwartet, dass diese befolgt werden.
Wem jetzt noch nicht der Kopf raucht, der kann weiter Ordnung in die babylonische Sprachverwirrung der verschiedenen Beratungsbegriffe bringen. Die Unterscheidung zwischen Coaching und Supervision ist gar nicht so schwer: sie liegt vor allem in der historischen Entwicklung begründet. Denn Supervision entstand in den USA im 19. Jahrhundert mit dem Ziel, Ehrenamtlichen eine Unterstützung anzubieten, als sich diese verstärkt in Wohlfahrtsverbänden zur Bekämpfung des sozialen Elends durch die ungebremste Industrialisierung engagierten.[6] In einordnenden, entlastenden Gesprächen – heute würde man vielleicht von Feedback-Runden sprechen – stand zuerst die Motivation im Mittelpunkt, später wurden von hauptberuflichen Angestellten auch die Arbeitsregeln erläutert. Daher kommt die zweite, im Englischen gebräuchliche Bedeutung von Supervision als ‚Anleitung‘.
Supervision und Sozialarbeit
Im deutschen Sprachraum hat sich der Konnex von Supervision mit sozialen Tätigkeiten bis heute erhalten. Supervision ist auf die Prozessbegleitung und Reflexionsunterstützung in der Berufsbegleitung sozialer Tätigkeiten fokussiert. Dazu gehören u.a. Pflegekräfte, Psychotherapeuten, Sozialarbeitende. In ihrer belastenden Arbeitssituation mit Leid, Hilflosigkeit und Krankheit sind diese Arbeitsgruppen auf die Möglichkeit angewiesen, das Erlebte zu spiegeln, um selbst gesund und leistungsfähig zu bleiben.[7] Dabei können die gleichen Settings für eine Supervision verwendet werden wie für ein Coaching: also Einzel- oder Gruppensitzung, mit internen oder externen Supervisoren.
Coaching ist keine verdeckte Psychotherapie für Manager
Christopher Rauen bringt es mit der Aussage „Coaching ist keine verdeckte Psychotherapie für Manager“[8] auf den Punkt. Die Abgrenzung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu Coaches und Beraterinnen lässt sich an einem formalen Kriterium festmachen. Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen behandeln ebenso wie Ärzte Störungen, die nach dem ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) klassifiziert werden können. Coaches, Beraterinnen oder Supervisoren sind ohne Approbation für die Diagnose und Behandlung solcher Krankheiten nicht zugelassen.[9] Gemeinsam ist den Menschen, die unter all diesen Begriffen arbeiten, dass sie oft auf ähnliche Methoden und Werkzeuge zurückgreifen – und diese hoffentlich alle zum Wohle ihrer Patienten oder Klientinnen einsetzen.
Zugespitzt und auf den Punkt gebracht
Coaching erfolgt auf Augenhöhe zwischen Klientin und Coach; Supervision findet vor allem im Rahmen einer Reflexion des sozialen, beruflichen Kontextes statt; Beratung ist eine Experten-Angelegenheit, die auch einen direkten Ratschlag enthalten darf.
[1] Stephan und Rötz (2018) S. 1
[2] Rauen (2014) S. 17
[3] Rauen (2014) S. 10
[4] Schubert et al. (2019) S. 22
[5] Loebbert (2017) S. 165
[6] Schubert et al. (2019) S. 243
[7] Schubert et al. (2019) S. 246
[8] Rauen (2014) S. 5
[9] Migge (2018) S. 35
Quellen und Literatur zum Weiterlesen:
Loebbert, M. (2017, 2. aktualisierte Auflage) Coaching Theorie, Wiesbaden: Springer
Migge, B. (2018, 4. aktualisierte Auflage) Coaching und Beratung, Basel: Beltz
Radatz, S. (2018, 10. Auflage) Beratung ohne Ratschlag, Wien: Systemisches Management
Rauen, C. (2014, 3. überarbeitete Auflage) Coaching, Göttingen: Hogrefe
Stephan, M. und Rötz, C. (2018) Coaching-Marktanalyse 2016/17, Marburg: Philipps Universität
Schubert, F. et al. (2019) Beratung, Wiesbaden: Springer
Abbildung 1: Umfrage zu erhaltenem, individuellen Coaching (2017) Quelle: Statista unter statistic_id1017331_umfrage-in-deutschland-zu-erhaltenen-individuellen-coachings-2017
Beitragsbild: Bild von Gert Altmann auf Pixabay abgerufen unter https://pixabay.com/de/illustrations/trainer-coach-tutor-business-407290/
Bild rauchender Kopf von Klaus Hausmann auf Pixabay abgerufen unter https://pixabay.com/de/photos/rauchender-kopf-kopf-rauchend-torso-2325076/