By Published On: 5. April 2023Categories: Literaturempfehlungen

Ein gewisser Achtsamkeits-Hype brachte in den letzten Jahren nicht nur populäre Gesundheits-Ratgeber hervor. Das Thema Achtsamkeit hielt auch Einzug in die (Klinische) Psychologie. Inzwischen existieren etliche psychotherapeutische Verfahren, die Achtsamkeitsübungen verwenden. In der Reihe „Fortschritte in der Psychotherapie“ des Hogrefe-Verlags ist aktuell (2022) der Band 48 mit dem Titel „Achtsamkeit“ erschienen, der den neuesten Stand der wissenschaftlichen Forschung zu diesem Thema übersichtlich und fundiert zusammenfasst und – vor allem – kritisch diskutiert.

Autoren

Die Autoren sind Prof. Dr. Johannes Michalak, Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke, Prof. Dr. Thomas Heidenreich, Professor für „Psychologie für Soziale Arbeit und Pflege“ an der Hochschule Esslingen und Prof. Dr. J. Mark G. Williams, Professor für Klinische Psychologie an der University of Oxford und Direktor des Oxford Mindfulness Centre.

Michalak und Heidenreich sind Vorreiter des Themas Achtsamkeit in der Psychotherapie im deutschsprachigen Raum und Williams ist Mitbegründer der Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT). Als Wissenschaftler stets um eine Objektivierung des oft uneindeutig gebrauchten Begriffs der „Achtsamkeit“ bemüht, haben sie immer vor der Gefahr gewarnt, das Achtsamkeitsprinzip unkritisch als modisches „Allheilmittel“ einsetzen zu wollen (Michalak, Heidenreich & Williams, 2022, S. 4). Diese Haltung kennzeichnet auch ihr aktuelles Buch.

Inhalte und Stärken des Buches

In ihrem aktuellen Buch definieren die Autoren zunächst den Begriff der „Achtsamkeit“ als das gemeinsame Therapieprinzip verschiedener Verfahren. Es wird zwischen achtsamkeitsbasierten und achtsamkeitsinformierten Verfahren unterschieden. Als achtsamkeitsbasierte Verfahren werden insbesondere vorgestellt:

  • MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction)
  • MBCT (Mindfulness-Based Cognitive Therapy)

und als achtsamkeitsinformierte Verfahren:

  • DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie)
  • ACT (Acceptance and Commitment Therapy).

Des Weiteren gehen die Autoren auf verschiedene Indikationen ein, deren Diagnostik und Behandlung sowie auf Kontraindikationen. Die Vorgehensweisen in der Behandlung werden praxisorientiert beschrieben und anhand von Beispielen verdeutlicht.

Der Überblick über die verschiedenen Behandlungsmethoden nimmt den größten Umfang des ansonsten sehr kompakten Handbuchs ein (100 Seiten Umfang) und stellt einen Mehrwert gegenüber Fachbüchern dar, die nur ein Verfahren vorstellen. Die größten Stärken des Buches liegen aber in der

  • Zusammenfassung der dazugehörigen aktuellen empirischen Befunde
  • Herausarbeitung der Wirkungsweise achtsamkeitsbasierter Verfahren
  • Diskussion kritischer Aspekte im Kontext von Achtsamkeit.

Gerade der letzte Punkt ist herausragend und hebt dieses Buch von vielen anderen positiv ab.

Kritische Aspekte im Kontext von Achtsamkeit

Die Autoren vertreten die sogenannte „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie, die nach der „kognitiven Wende“ – als einer zweiten Welle – in achtsamkeitsbasierten Verfahren einen grundlegend neuen verhaltenstherapeutischen Ansatz sieht (Heidenreich & Michalak, 2013, S. 15-16; Wengenroth, 2016, S. 11-12). Im Nachhinein scheint der Begriff der „dritten Welle“ allerdings doch etwas zu euphorisch gewesen zu sein. Deshalb ist es folgerichtig, wenn im aktuellen Buch die kritischen Aspekte, die mit dem Thema Achtsamkeit in Verbindung stehen, ausführlicher diskutiert werden.

Konkret werden drei kritische Aspekte anhand aktueller Forschungen diskutiert:

  1. „Nebenwirkungen“ von Achtsamkeitsübungen: Zu den unangenehmen Erfahrungen im Zusammenhang mit Meditationen gehören u. a. schwierige emotionale und körperliche Erfahrungen oder soziale Aspekte. Häufig können solche Effekte aber durch individuelle Anleitungen deutlich reduziert werden (in Gruppensettings werden sie leicht übersehen).
  2. Überwindung von Egozentriertheit oder Selbsterhöhung: Es stellt sich die interessante Frage, ob positive Wirkungen von Achtsamkeits-/Meditationsübungen u. a. auf eine Überwindung der Egozentriertheit zurückzuführen sind (gemäß einer ursprünglichen buddhistischen Grundannahme) oder ob sie doch eher auf einer Selbsterhöhung durch den Erwerb neuer Fertigkeiten beruhen (nach einer sozialpsychologischen Theorie)? Hierzu fehlt es allerdings noch an weiteren Forschungen mit einer angemessenen Methodik.
  3. Stichwort „McMindfulness“: Die nach wie vor steigende Popularität in westlichen Gesellschaften und ein zunehmender Einsatz auch im Wirtschaftsbereich bringen die Gefahr einer Kommerzialisierung, Pragmatisierung und Verflachung mit sich, die den eigentlichen Ansprüchen der Achtsamkeit entgegensteht. Allerdings ist dieses „McMindfulness“-Phänomen so komplex, dass es einer differenzierten Untersuchung bedarf. Wenn es um eine „Tiefendimension“ der Achtsamkeitspraxis geht, reicht die Bestimmung von Effektstärken allein nicht aus.

Fazit

Die renommierten Autoren fassen mit diesem Band der Reihe „Fortschritte in der Psychotherapie“ den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschungen zum Thema Achtsamkeit im psychotherapeutischen Setting kompakt und praxisorientiert zusammen. Sie geben einen Überblick über verschiedene Behandlungsmethoden sowie die dazugehörigen empirischen Befunde und arbeiten die Wirkungsweisen achtsamkeitsbasierter Verfahren heraus. Herausragend ist am Ende die Diskussion kritischer Aspekte in Bezug auf negative „Nebenwirkungen“, zugrundeliegende Wirkmechanismen und Gefahren der Verflachung. Das Buch „Achtsamkeit“ macht deutlich, dass an vielen Stellen noch Bedarf für weitere Forschungen zu diesem Thema besteht und regt zu einer weiteren Vertiefung an.


Literaturverzeichnis

Heidenreich, T. & Michalak, J. (2013). Einführung. In: Heidenreich, T. & Michalak, J. (Hrsg.). Die „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie (1. Aufl.) (S. 13-19). Weinheim Basel: Beltz.

Michalak, J., Heidenreich, T. & Williams, J. M. G. (2022). Achtsamkeit (Fortschritte der Psychotherapie, Band 48) (2., überarbeitete Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

Wengenroth, M. (2016). Das Leben annehmen: So hilft die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) (3., unveränderte Aufl.). Bern: Hogrefe.

Bildquelle

Google Books (2021). Achtsamkeit von Johannes Michalak, Thomas Heidenreich, J. Mark G. Williams. Zugriff am 24.03.2023. Verfügbar unter https://www.google.de/books/edition/Achtsamkeit/QqGbEAAAQBAJ?hl=de&gbpv=0 

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