Die Diagnose der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, ist bei Kindern in den letzten Jahren häufig anzutreffen. Im Rahmen der Therapie findet vor allem eine Psychopharmakotherapie Anwendung. Hierbei stellt sich die Frage, ob alternative Behandlungsformen ebenso einen Erfolg erzielen und somit eine geeignete Alternative darstellen können.
Prävalenz
Eine durch das Robert-Koch-Institut durchgeführte Befragung zu ADHS im Rahmen der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland zeigte, dass in den Jahren 2014 bis 2017 4,4 % der drei- bis 17-jährigen Kinder in Deutschland mindestens einmal eine ADHS-Diagnose erhalten haben. Davon waren Jungen mit 6,5 % häufiger betroffen als Mädchen mit 2,3 %. Im Vergleich zur Basiserhebung im Zeitraum von 2003 bis 2006 konnte ein Rückgang von insgesamt 0,9 % verzeichnet werden. (Göbel, Baumgarten, Kuntz, Hölling & Schlack, 2018, S. 48) In diesem Zusammenhang wurde ein Großteil der Behandlung mittels einer Psychopharmakotherapie durchgeführt, wie eine Querschnittsstudie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse für das Jahr 2016 zeigte. 52,1 % der 13- bis 14-Jährigen mit ADHS bekamen Psychostimulanzien verordnet. Ein ebenso hoher Prozentanteil findet sich im Bereich der 15- bis 17-Jährigen mit 48,5 % und der 10- bis 12-Jährigen mit 47,4 % wieder. (Greiner, Batram, Damm, Scholz & Witte, 2018, S. 44)
Diagnose ADHS
Die Diagnose ADHS bezeichnet nach dem ICD-10 eine Gruppe von Störungsbildern, die durch die Symptome Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe sowie Impulsivität gekennzeichnet sind. ADHS ist durch drei Grundmerkmale gekennzeichnet. Diese sind zum einen eine Aufmerksamkeitsstörung mit einer mangelnden Ausdauer bei der Fertigstellung von Tätigkeiten und zum anderen ein allgemeines unruhiges Verhalten sowie eine ausgeprägte Impulsivität mit verbalen oder motorischen Aktionen, die nicht dem sozialen Kontext entsprechen. (o. V., 2005, S. 5)
Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie ist eine Unterform der Psychotherapie und findet bei Kindern- und Jugendlichen mit ADHS in unterschiedlichen Ansätzen Anwendung. Die Interventionen werden meist in Form von Konzentrationstrainings, Gruppentrainings für den Erwerb adäquater sozialer Kompetenzen oder Einzelsettings durchgeführt. Im Einzelsetting, welches in erster Linie im Jugendalter angewendet wird, lernen die Betroffenen Selbstmanagementstrategien sowie individuelle soziale Fertigkeiten. Weiters ist eine einhergehende Behandlung von Begleiterkrankungen oder sekundärer emotionaler Störungsbilder, wie z. B. depressive Episoden oder Ängsten, möglich. (Kahl, Puls, Schmid & Spiegler, 2012, S. 80) Metaanalysen zur Wirksamkeit weisen auf eine gute bis befriedigende Wirkung von kognitiv-behavioralen Therapien bei ADHS hin. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass vor allem Kinder die erlernten Verhaltensweisen nicht immer konsistent und stabil in das alltägliche Leben miteinbeziehen. Somit ist festzuhalten, dass eine Verhaltenstherapie über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden sollte und dadurch erneute Kontaktaufnahmen sowie Auffrischsitzungen gewährleistet werden. Ein frühestmöglicher Einbezug des familiären Umfeldes in die Therapie fördert den Erfolg. (Schlottke, Strehl & Lauth, S. 425)
Psychoedukation
Eine weitere Behandlungsmethode stellt die Psychoedukation dar. Durch diese Intervention werden vier wesentliche Ziele erreicht. Diese sind unter anderem die Vermittlung von Informationen zur Erkrankung, wie z. B. die Symptomatik, der Verlauf oder weitere Behandlungsmöglichkeiten sowie das Coping, in welchem Fähigkeiten der Selbstregulation aktiviert und somit die Selbstachtung und Lebensfreude gesteigert werden. Weitere Ziele sind die Compliance, wodurch der Betroffene für eine weiterführende und andauernde Behandlung motiviert wird, und eine Interaktion mit anderen Personen mit ADHS zum Austausch der Erfahrungen mit Interventionen. (Alsleben, 2016, S. 305) Psychoedukative Interventionen bei ADHS sind vor allem bei der multimodalen Therapie von Erwachsenen als sinnvoll zu erachten. Auf der einen Seite können diese als Teil einer psychotherapeutischen Basisversorgung angesehen werden und auf der anderen Seite dienen sie als Basispunkt einer stepped care, welche sich mit anderen Maßnahmen kombinieren lässt. (D’Amelio, Retz & Rösler, 2015, S. 38)
Biofeedback
Mit Hilfe eines Biofeedbacks werden Veränderungen von biologischen Zustandsgrößen, die nicht unmittelbar von den Sinneswahrnehmungen erfasst werden können, mit technischen Geräten dem Bewusstsein zugänglich gemacht. Im Verlauf der Behandlung trainieren Patienten mit ADHS die elektrische Aktivität des Gehirns selbst aktiv zu regulieren. Der Patient befindet sich vor einem Bildschirm und erhält meist in Form von Balkendiagrammen ein Feedback über seinen physiologischen Spannungszustand. Der Betroffene soll durch Einflussnahme auf sein vegetatives Nervensystem die Parameter entsprechend steuern und so problematische Situationen im Alltag bewältigen können. (Rüsseler & Schneider, 2009, S. 301–302)
Langzeituntersuchungen zur Effektivität des Biofeedbacks zeigen stabile Veränderungen im Verhalten von Personen mit ADHS mit teilweise ersichtlichen Verbesserungen. Ebenso wurde eine Erhaltung der Fähigkeit zur Selbstregulation der in den Settings trainierten Elektroenzephalogramm-Parametern festgestellt. Dennoch bedarf es weiterer Forschung um die Fragen nach der Vorhersagekraft der Effektivität der Behandlung für einzelne Personen sowie der Rolle der kombinierten medikamentösen Behandlung beantworten zu können. Ziel des Biofeedbacks ist es, den Umfang der Psychopharmakotherapie zu verringern oder diese gänzlich abzusetzen. (Strehl, Leins & Heinrich, 2011, S. 255)
Schulische Interventionen
Im Rahmen der schulischen Aktivität oder im Kindergarten ist eine Einführung von Interventionen für ADHS ebenso zu empfehlen. Eine große Anzahl unabhängiger Studien zeigte, dass eine Reduzierung von ADHS-Auffälligkeiten durch eine Steigerung der reduzierten Aktivität oder gezielter erhöhten Ausdauer erfolgreich ist. Weitere Untersuchungen belegen die Wirksamkeit von spezifischen Lehrertrainings zum Umgang mit ADHS sowie schulzentrierten Maßnahmen aus dem Therapieprogramm für Kinder mit hyperkenetischem und oppositionellem Problemverhalten. Eine Studie zur Wirksamkeit multimodaler Therapie bei Kindern mit ADHS konnte nachweisen, dass 58% der betroffenen Schüler mit ADHS, die nach THOP behandelt wurden, sehr gute Erfolge in der Schule erzielten.
Speziell für Lehrkräfte wurden Grundprinzipien für den optimalen Umgang mit ADHS formuliert. Gemäß diesen Prinzipien ist der Unterricht strukturiert und abwechslungsreich zu gestalten, verschiedene Lernmodalitäten sind anzuwenden und eine Variation der Aktivitäten, z. B. mit Arbeiten im Sitzen oder Gruppendiskussionen ist einzubringen. Weiters wird eine positive Beziehung durch Rückmeldungen an die Eltern und das Kind gestärkt. Ebenso sind die Einführung von Bewegungseinheiten, Hilfestellungen zur Selbstorganisation sowie das regelmäßige Führen und Kontrollieren eines Hausaufgabenhefts unter Einbezug der Eltern förderlich. (Baier & Steinhausen, 2006, S. 184–186)
Fazit und Ausblick
Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine multimodale Therapie bestehend aus Pharmakotherapie, kognitiver Verhaltenstherapie, Interventionen im schulischen und familiären Umfeld sowie der Einsatz von einem Bio- oder Neurofeedback die größten Erfolge verzeichnet. Eine alleinige Verhaltenstherapie zeigt weniger Effizient als in Kombination mit der Gabe von Medikamenten. Aus diesem Grund ist eine medikamentöse Therapie bei ADHS vor allem bei schweren Fällen in einem geeigneten Maße anzuwenden. (Petermann & Ruhl, 2011, S. 690)
Literatur
Alsleben, H. (2016). Handbuch der Psychoedukation. Für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin. Stuttgart: Schattauer Verlag.
Baier, E. & Steinhausen, H.-C. (Hrsg.). (2006). Schule und psychische Störungen (1. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer Verlag.
D’Amelio, R., Retz, W. & Rösler, M. (2015). Psychoedukation und Coaching bei ADHS im Erwachsenenalter. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 63(1), 33–38. https://doi.org/10.1024/1661-4747/a000217
Göbel, K., Baumgarten, F., Kuntz, B., Hölling, H. & Schlack, R. (2018). ADHS bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health Monitoring, (3), 46–53. Zugriff am 14.07.2020. Verfügbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JoHM_03_2018_KiGGS-Welle2_Gesundheitliche_Lage.pdf?__blob=publicationFile
Greiner, W., Batram, M., Damm, O., Scholz, S. & Witte, J. (2018). DAK – Kinder und Jugendreport // Schwerpunkt: Familiengesundheit (Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Band 23). Heidelberg: Medhochzwei Verlag GmbH.
Kahl, K. G., Puls, J. H., Schmid, G. & Spiegler, J. (2012). Praxishandbuch ADHS. Diagnostik und Therapie für alle Altersstufen (2. Aufl.). Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG.
- V. (2005). Stellungnahme zur Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Langfassung. Berlin: Bundesärztekammer.
Petermann, F. & Ruhl, U. (2011). Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS). In H.-U. Wittchen (Hrsg.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (Springer-Lehrbuch, 2. Aufl.). Heidelberg: Springer-Medizin.
Rüsseler, J. & Schneider, S. (2009). Neuropsychologische Therapie. Grundlagen und Praxis der Behandlung kognitiver Störungen bei neurologischen Erkrankungen (Klinische Praxis, 1. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Schlottke, P. F., Strehl, U. & Lauth, G. W. Aufmerksamkeitsstörung. In S. Schneider & J. Margraf (Hrsg.), Störungen im Kindes- und Jugendalter. Mit 134 Abb. u. 95 Tabellen (Lehrbuch der Verhaltenstherapie, / Jürgen Margraf, Silvia Schneider (Hrsg.) ; 3).
Strehl, U., Leins, U. & Heinrich, H. (2011). Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. In W. Rief, N.-P. Birbaumer & P. Bernius (Hrsg.), Biofeedback. Grundlagen, Indikationen, Kommunikation, Vorgehen ; mit 48 Tabellen (3. Aufl., S. 238–260). Stuttgart: Schattauer.
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