Einleitung
Menschen können sich auf vielen Arten sozial beteiligen: im Sportverein, mit der Tanzgruppe oder als ehrenamtlich Helfende für ältere Menschen. Hierbei gilt: Soziale Partizipation ist ein Massenphänomen.[1] Noch besser: „In den letzten fünfzehn Jahren ist die Engagementquote um insgesamt knapp zehn Prozentpunkte angestiegen.“[2] Freiwilliges soziales Engagement ist für die Forschenden des Deutschen Freiwilligensurveys dabei eine Arbeit oder Tätigkeit, die außerhalb von Beruf und Familie ehrenamtlich ausgeübt wird. Bezahlte Tätigkeiten oder das Pflegen von Angehörigen innerhalb der Familie gehören damit explizit nicht zu freiwilligem Engagement.
Grundlagen zur sozialen Partizipation
Soziale Partizipation hat, im Gegensatz zur politischen Partizipation, explizit nicht zum Ziel, politische Entscheidungen, politische Entscheidungstragende oder politische Prozesse zu beeinflussen.[3] Menschen, die im Sportverein für den Zugewinn von neuen Mitgliedern kämpfen und aktiv daran arbeiten, beteiligen sich dieser Definition nach sozial. Menschen, die hingegen daran arbeiten, dass ihr Sportverein bei Entscheidungen des Gemeinderates im Ort Gehör findet, beteiligen sich wiederum politisch. Soziale Partizipation wird dabei von Menschen ausgeübt, welche die entsprechenden Fähigkeiten dazu haben, also gewisse kommunikative und soziale Skills besitzen sowie eine gewisse Efficacy, also die „Erfahrung, dass eigenes Handeln einen Unterschied machen kann.“[4] Menschen, die sich nicht beteiligen, tun dies nicht, weil ihnen diese Skills bzw. diese Efficacy fehlen oder aber, weil sie nicht die Motivation zur Beteiligung besitzen. Nicht zuletzt resultiert fehlende Beteiligung auch aus mangelnden sozialen Netzwerken – wenn Menschen nicht zu Engagement aufgefordert oder zumindest gefragt werden, engagieren sie sich auch nicht.[5] Dazu zählen auch Online-Engagements, die von Jugendlichen besonders stark genutzt werden, sowohl für die soziale als auch für die politische Freiwilligenarbeit.[6]
Das sind doch insgesamt, so scheint es, erfreuliche Nachrichten: Eine breite Masse der Bevölkerung engagiert sich füreinander und ist bestrebt, mit sozialem Engagement soziales Kapital aufzubauen, welches der ganzen Gesellschaft dient. So könnte dieser Beitrag enden – doch was, wenn hinter Altruismus und dem Willen, sich sozial zu engagieren, etwas anderes steckt, und zwar haltloser, unbarmherziger Egoismus?
Altruismus = Egoismus?
Egoismus ist ein Begriff, der vielerorts mit Rücksichtslosigkeit gleichgesetzt wird, insbesondere in populärwissenschaftlichen Publikationen.[7] Aus psychologischer Perspektive wird diese Minimaldefinition dem Begriff nicht gerecht. Spannend sind dazu auch ältere Publikationen, die sich an der Philosophie ihrer Zeit orientieren und Egoismus als einen Drang zum Dasein und zum (eigenen) Wohlsein definieren, Altruismus aber, im Sinne des Wortbegründers Auguste Comte, als die Förderung des Wohlseins anderer bezeichnen.[8] Könnte dann eine altruistische Handlung egoistisch motiviert sein, wenn sich beides diametral gegenübersteht? Nicht so, wenn Egoismus als Suche nach dem eigenen Wohlergehen auch das Wohlergehen anderer befördern kann. Sich also dem Ehrenamt zuzuwenden, um damit etwas zu tun, was sich lohnt, um persönliche Befriedung zu erhalten oder um neue Menschen zu treffen – bedeutet, egoistische Motive zu verfolgen, die in Studien als klare Motivatoren der Freiwilligenarbeit genannt werden,[9] aber dennoch nicht dem Ziel entgegenstehen, anderen zu helfen und etwas für die Gemeinschaft zu tun. Das wiederum löst den Widerspruch zwischen Egoismus oder Altruismus auf und macht daraus ein Egoismus und Altruismus.
Ähnlich betrachtet es der funktionale Ansatz der Freiwilligkeitsforschung. Freiwilligentätigkeiten können dabei mehrere Funktionen einnehmen: eine Schutzfunktion, eine Selbstwertfunktion, eine soziale Anpassungsfunktion, eine Wertefunktion, eine Karrierefunktion und eine Erfahrungsfunktion.[10] Die Karrierefunktion beispielsweise ist im höchsten Maße egoistisch motiviert, soll sie doch das eigene Wohlergehen befördern. Sie impliziert, dass die Freiwilligentätigkeit eine Stütze für die eigene Karriere bildet, beispielsweise durch Kontakte, die in der Freiwilligentätigkeit geknüpft werden oder durch praktische Erfahrungen, die im Rahmen ehrenamtlicher Tätigkeiten erlebt werden.[11]
Hinzu kommt die eher terminologische, ja fast schon meta-theoretische Frage danach, wie Egoismus überhaupt definiert werden kann, auch in Ergänzung zu den obigen Ausführungen: „Solidarität und Engagement wären beispielsweise im Sinne der Rational-Choice-Theorie eine klügere Form des Egoismus.“[12] Die Unterscheidung dazwischen, ob ehrenamtliche Handlungen rein zum Selbstzweck oder aber zum Fremdzweck ausgeübt werden, bildet damit fließende Übergänge, und zwar sowohl praktisch als auch theoretisch. Nicht umsonst unterscheidet die Literatur daher nicht nur zwischen egoistischen und altruistischen Motiven der Freiwilligenarbeit, sondern auch beispielsweise zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation,[13] was wiederum den Fokus weg von der Altruismus-Egoismus-Dimension auf einen völlig anderen Blickpunkt richtet.
Nicht zuletzt soll darauf hingewiesen werden, dass egoistische Sinnerfahrungen letztlich auch „eine Form der Selbsthilfe darstellen [können], um dem eigenen Leben ein Ziel oder eine Richtung zu geben.“[14] Ja, basal betrachtet ist dieser Motivator ehrenamtlichen Handelns egoistisch – aber ist denn Selbstschutz schon Egoismus in der Definition, die ebendiesen häufig mit Rücksichtslosigkeit gleichgesetzt?
Fazit
Dieser Artikel hat nicht nur gezeigt, dass die Unterscheidung zwischen altruistischen und egoistischen Motiven als Triebkräfte ehrenamtlichen Handelns gewisse Problemstellen offenbart (wie beispielsweise die Auflösung des diametralen Gegensatzes von Egoismus und Altruismus), sondern auch, dass Egoismus ein facettenreicher Begriff ist. Ihn allzu einseitig mit Rücksichtslosigkeit zu besetzen, nur, weil mit egoistischen Handlungen auch das eigene Wohlbefinden befördert werden kann, ist schlichtweg ein Denken in Scheuklappen und hilft weder einer wissenschaftlichen noch einer praktischen Diskussion weiter. Egoismus zu befördern, kann damit auch altruistisches Handeln befördern – so widersprüchlich das auch klingen mag.
[1] Vgl. Roßteutscher (2009), S. 164
[2] Simonson/Ziegelmann/Vogel/Tesch-Römer (2017), S. 21
[3] Vgl. Roßteutscher (2009), S. 163
[4] Roßteutscher (2009), S. 165
[5] Vgl. Roßteutscher (2009), S. 167
[6] Vgl. Gaiser/Krüger/Rijke/Wächter (2016), S. 25
[7] Siehe z. B. Flügge (2020), S. 7
[8] Vgl. Gusti, 1903, S. 2–3
[9] Vgl. Oostlander/Güntert /Wehner (2015), S. 60
[10] Vgl. Oostlander et al. (2015), S. 61
[11] Vgl. Oostlander et al. (2015), S. 62
[12] Stecker (2002), S. 75
[13] Vgl. Müller/Hameister/Lux (2017), S. 415
[14] Moschner (2002), S. 5
Literaturverzeichnis
Flügge, E. (2020): Egoismus. Wie wir dem Zwang entkommen, anderen zu schaden. Bonn: Dietz.
Oostlander, J., Güntert, S. T., Wehner, T. (2015): Motive für Freiwilligenarbeit – der funktionale Ansatz am Beispiel eines generationenübergreifenden Projekts. In: Theo Wehner und Stefan T. Güntert (Hg.): Psychologie der Freiwilligenarbeit (S.59-76). Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-55295-3_4
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