Die meisten Menschen verbinden mit einem Besuch beim Zahnarzt keine angenehmen Emotionen. Diese Emotionen reichen von einem Unwohl sein bis hin zur intensiven Furcht. Bei einem Großteil der Menschen sind solche Emotionen jedoch nicht sehr stark ausgeprägt, so dass der Zahnarzttermin oder große Schwierigkeiten wahrgenommen werden kann. Liegt hingegen eine Zahnarztphobie vor, ist der Patient nicht mehr in der Lage seine Emotionen zu regulieren und jegliches rationales Handeln im Zusammenhang einer Zahnarztbehandlung erscheint unmöglich. Allein er Gedanke an die Geräte oder Geräusche lösen derart starke negative Reaktionen wie Zittern oder Schweißausbrüche aus, die mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung vergleicht werden können.[1]
Störungsbild
Obwohl die Zahnarztphobie mit der Prävalenzrate von 3-5% bei Erwachsenen und 6-7% bei Kindern und Jugendlichen verhältnismäßig weit verbreitet ist, erscheint sie weder im ICD-10 noch im DSM-5 als eigenständige Form der spezifischen Phobien. Aufgrund ihrer Symptomatik (biphasisches vegetatives Muster mit vasovagaler Reaktion) kann die Zahnarztphobie dem Typus der Blut-Injektions-Verletzungsphobie zugeordnet werden. Im Fokus der Zahnarztphobie liegt hier allerdings die Erwartung intensiven Schmerz zu verspüren.[2] Es beginnt mit einer sympathikotonen Alarmierung, die sich durch einen Blutdruck- und Herzfrequenzsteigerung bemerkbar macht. Anschließend fallen Puls und Blutdruck, was im Gegensatz zur sympathischen Aktivierung (Beschleunigung des Pulses) bei anderen Phobien der Fall ist. Die vasovagale Reaktion (Fallen des Pulses) kann bis zur Ohnmacht führen. Bei einer Verletzung kann so der Blutverlust vermindert werden. Interessanterweise wird der vagovasale Reflex im Zusammenhang der Evolutionsgeschichte, genauer gesagt mit dem Totstellstellreflex der Tierwelt vermutet.[3]
Eine spezifische Phobie ist gekennzeichnet durch eine persistente, unangemessene und intensive Furcht vor spezifischen Objekten oder Situationen. Betroffene Personen werden durch ihre Ängste derart eingeschränkt, dass selbst bei Schmerzen der Zahnarztbesuch vermieden wird.[4]
Diagnostik
Das DSM-5 gibt folgende Auskünfte über die diagnostischen Kriterien für spezifische Phobien:
Abb. 1: Diagnostische Kriterien für spezifische Phobien (Quelle: Wittchen, Hoyer (2011), S. 973)
Erwerb einer Dentalphobie
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Phobien durch Lernerfahrungen erworben werden.
Direkte aversive assoziative Lernerfahrung: Ein Großteil der betroffenen Patienten berichten von einer direkten aversiven Erfahrung in der Kindheit.
Modelllernen: Eine Phobie kann ebenso ausgelöst werden, wenn betroffene Personen in der Vergangenheit eine andere Person in einer schmerzhaften Situation beobachtet haben.
Erwartungsangst: Allein die Kommunikation über potentielle Gefahren kann ausreichen, um eine Erwartungsangst und somit auch ein Vermeidungsverhalten zu entwickeln.
Alle genannten Lernerfahrungen teilen die Gemeinsamkeit, dass neuronale defensive Netzwerke aktiviert werden. Bei zunehmender Nähe der Bedrohung verändert sich die neuronale Aktivität. Das Mittelhirn kommuniziert mit dem zentralen Kern der Amygdala. Der ventrolaterale Teil des Mittelhirns ist verantwortlich für das bei Furcht typische „einfrieren“, während der dorsale Teil des Mittelhirns das Fluchtverhalten organisiert und die Wahrnehmung für Schmerzreize erhöht.[5]
Therapiemöglichkeiten
Personen, die an einer Dentalphobie leiden, wird überwiegend eine Verhaltenstherapie empfohlen. Eine Desensibiliersung erweist sich als besonders erfolgreich, wenn sie in-vivo stattfindet. Betroffene Personen werden also systematisch mit der Furchtauslösenden Situation konfrontiert. Hier kommen zwei Mechanismen zum Tragen: zum einem die Extinktion, bei dem sich zunächst eine starke physiologische Angstreaktion bemerkbar macht. Diese Angstreaktion schwächt langsam ab. Zum anderen erfolgt eine kognitive Neubewertung. Die betroffene Person kann die Erfahrung machen, dass der Stimulus und die Aufkommende Angst ihm nicht schaden und vorbeigehen.
Wie bereits erwähnt, ist die Dentalphobie der Blut-, Spritzen- und Verletzungsphobie zugeordnet. Hier gilt es zu beachten, dass im Gegensatz zu anderen Phobien die körperliche Erregung nur kurz ansteigt und anschließend Blutdruck und Herzfrequenz abfällt, so dass eine befürchtete Ohnmacht durchaus eintreten kann. Gut belegt ist die Wirksamkeit der Methode „applied tension“. Hierbei wird dem Patienten beigebracht, durch Anspannung der Skelettmuskeln den Blutdruck und die Herzfrequenz zu steigern, um somit der Ohnmachtsgefahr entgegen zu wirken.[6]
Fazit
Eine Dentalphobie ist weit verbreitet und kann für die betroffene Person sehr belastend sein. Zur Behandlung einer Dentalphobie ist die Konfrontation in-vivo das Mittel der Wahl und verzeichnet hervorragende langfristige Therapieerfolge.
[1] Vgl. Dentalphobie
[2] Vgl. Hoyer, Knappe (2020), S. 1144
[3] Vgl. Morschitzky (2009), S. 82
[4] Vgl. Wittchen, Hoyer (2011), S. 972,973
[5] Vgl. Hoyer, Knappe (2020), S. 1148-1150
[6] Vgl. Wittchen, Hoyer (2011), S. 977
Quellenangaben
Dentalphobie verfügbar unter: https://www.dentalphobie.info/zahnarztphobie/eine-frage-der-definition/ abgerufen am: 8.11.2021
Hoyer, J. / Knappe, S., (2020), Klinische Psychologie & Psychotherapie, Berlin: Springer
Morschitzky, H., (2009), Angststörungen, Wien: Springer
Wittchen, H.-U. / Hoyer, J., (2021), Klinische Psychologie & Psychotherapie, Berlin Heidelberg: Springer Medizin
Beitragsbild: Zahnarzt Betrieb Zähne Lampe Klinik Zahnärztlich – kostenloses Bild auf Pixabay
Abbildung 1: Diagnosekriterien für spezifische Phobien (Quelle: Wittchen, H.-U. / Hoyer, J., (2011), Klinische Psychologie & Psychotherapie, Berlin Heidelberg: Springer Medizin)