Autogenes Training (AT) ist ein weit verbreitetes und häufig angewandtes Entspannungsverfahren, welches genutzt wird, um körperliche und psychische Entspannung herbeizuführen. Autogenes Training kann sowohl bei alltäglichen Problemen als auch bei unterschiedlichen organischen und psychischen Erkrankungen hilfreich sein. Die Durchführung der Entspannungsübungen ist, nachdem diese grundlegend erlernt wurden, auch ohne eine Begleitung von Therapeut*innen oder Behandler*innen möglich, weshalb die Übungen nach einiger Zeit auch selbstständig im eigenen zuhause ausgeführt werden können. Im Gegensatz zur Hypnose beruht AT auf Autosuggestionen und stellt somit eine Art Selbstbeeinflussung dar (Ernst, 2010, S. 20; Kircher, Teutsch, Wormstall, Buchkremer & Thimm, 2002, S. 157; Stetter, 2004, S. 281-285).
Vorgehen und Wirkweise
Im Fokus des Autogenen Trainings steht die erwünschte psychophysiologische Entspannungsreaktion. Diese findet auf verschiedenen körperlichen und psychischen Ebenen statt und ist gekennzeichnet durch verminderte Aktiviertheit, Ruhe, gedämpfte Affekte, Aufmerksamkeitsfokussierung, veränderte Körperwahrnehmung und verändertes Zeiterleben. Zusätzlich spielen drei Prozesse eine wesentliche Rolle: Fokussieren, Imaginieren und Neu-Attribuieren. Beim Fokussieren wird die Aufmerksamkeit willentlich auf körperliche Wahrnehmungen gelenkt, wodurch eine körperliche Entspannung wahrgenommen werden kann, wie beispielsweise das Gefühl von Schwere und Wärme in den Armen. Imaginieren bezeichnet die Aktivierung imaginärer, vegetativ-körperlicher und emotional-bildhafter Vorstellungen und Selbstsuggestionen, wodurch die Wahrnehmung der Entspannung verstärkt wird (z.B.: „Meine Arme sind schwer und warm“). Neu-Attribuieren bedeutet, dass bestimmte (körperliche) Wahrnehmungen mithilfe der selbst herbeigeführten, wahrgenommenen Entspannung neu bewertet und gelassener und positiver attribuiert werden können (Stetter, 2004, S. 281-286).
Das Autogene Training besteht aus insgesamt sechs Grundübungen, auch „Formeln“ genannt, die sich auf Schwere, Wärme, Atmung, Sonnengeflecht, Herz und Stirn beziehen und als Selbstinstruktionen formuliert werden (z.B.: „Mein Arm ist ganz schwer“, „Meine Stirn ist angenehm kühl“, …) (Hoyer & Knappe, 2020, S. 727-728). Diese Formeln basieren auf den typischen körperlichen Prozessen und Eigenschaften, die während einer Entspannung auftreten, wie zum Beispiel ein angenehmes Wärmegefühl und ein langsamer Herzschlag (Wilk, 2019, S. 13). Um eine Wirkung zu erlangen und um das Autogene Training auch erfolgreich und effektiv nutzen zu können, müssen die Übungen regelmäßig und eigenständig wiederholt und trainiert werden (Stetter, 2003, S. 281). Nachdem diese erfolgreich erlernt wurden, kann die erwünschte Entspannungsreaktion selbstständig und bewusst herbeigeführt werden, weshalb das AT viele Anwendungsbereiche sowohl im Alltag als auch im klinischen Bereich besitzt.
Anwendungsgebiete
Das Autogene Training lässt sich im Alltag und im klinischen Kontext vielfältig anwenden. Die Wirksamkeit des Autogenen Trainings hinsichtlich der Behandlung und Therapie unterschiedlicher Störungsbilder oder Erkrankungen wurde viel erforscht und wird auch weiterhin in vielen Studien in Bezug auf spezifische Erkrankungen empirisch überprüft. Dabei zeigten sich positive Effekte bei einigen psychosomatischen Störungen und Erkrankungen, wie zum Beispiel essenzielle Hypertonie (Bluthochdruck), koronare Herzkrankheit, Asthma bronchiale oder bei dem Reizdarmsyndrom (Shinozaki et al., 2010, S. 194; Stetter, 2004, S. 287). Auch bei chronischen Schmerzen, Spannungskopfschmerzen und Migräne kann Autogenes Training hilfreich sein (Shinozaki et al., 2010, S. 194; Stetter & Kupper, 2002, S. 45). Zudem kann AT zu einer leichten Verminderung von Anfällen bei Patient*innen mit dem Raynaud-Syndrom beitragen (Hönigl, Macheiner, Längs & Tischler, 1997, S. 327).
Im Bereich der psychischen Störungen zeigt das Autogene Training positive Effekte bei Störungen wie Depressionen, Dysthymien (chronische Depressionen) und Angststörungen (Stetter, 2004, S. 288). Bei Schlafstörungen kann AT hilfreich sein, um vor dem Einschlafen entspannen zu können und zur Ruhe zu kommen (Holzinger & Klösch, 2018, S. 192). Bei psychischen Störungen eignet sich das Autogene Training jedoch nur als eine zusätzliche Behandlungsmaßnahme, denn es kann keine spezifischen kognitiven oder Verhaltenstherapien ersetzen oder eine alleinige Behandlungsmaßnahme darstellen. In Kombination mit einer Psychotherapie zeigen sich jedoch positive Wirkungen (Stetter & Kupper, 2002, S. 94). Für einige psychische Störungen sind Entspannungsverfahren wie das Autogene Training eher ungeeignet. Für dich Durchführung der Übungen werden eine bewusste Steuerung von Aufmerksamkeit sowie die Wahrnehmung eigener Körpervorgänge benötigt. Deshalb ist das AT bei einigen psychischen Störungen, die mit einer Einschränkung solcher kognitiven Funktionen verbunden sind, nicht effektiv, wie zum Beispiel bei fortgeschrittener Demenz sowie auch bei schizophrenen, manischen oder organischen Psychosen und schweren (wahnhaften) Depressionen (Stetter, 2004, S. 284).
Auch im Bereich der Prävention und Rehabilitation gibt es viele Anwendungsmöglichkeiten für das AT (Hoyer & Knappe, 2020, S. 720), da es das Bewusstsein für körpereigene Vorgänge und körperliche Gesundheit stärkt (Wilk, 2019, S. 19), eine gewisse Kontrollerfahrung über autonom (unbewusst) ablaufende körperliche Prozesse ermöglicht, sich positiv auf Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit auswirkt und somit auch zu einer besseren Selbstregulation verhelfen kann (Stetter, 2004, S. 283).
Literatur
Ernst, E. (2010). Autogenes Training gegen Reizdarm. MMW – Fortschritte der Medizin, 152(44), 20–20. https://doi.org/10.1007/BF03367317
Holzinger, B. & Klösch, G. (2018). Schlafstörungen. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54668-0
Hönigl, D., Macheiner, H., Längs, G. & Tischler, R. (1997). Morbus Raynaud — eine paradoxe Reaktion der Gefäße und die Möglichkeiten der therapeutischen Einflußnahme. In P. Hofmann, M. Lux, Ch. Probst, M. Steinbauer, J. Taucher & H.-G. Zapotoczky (Hrsg.), Klinische Psychotherapie (S. 325–329). Wien: Springer Wien. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-6834-9_43
Hoyer, J. & Knappe, S. (Hrsg.). (2020). Klinische Psychologie & Psychotherapie (3. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1
Kircher, T., Teutsch, E., Wormstall, H., Buchkremer, G. & Thimm, E. (2002). Effekte von Autogenem Training bei Älteren. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 35(2), 157–165. https://doi.org/10.1007/s003910200020
Shinozaki, M., Kanazawa, M., Kano, M., Endo, Y., Nakaya, N., Hongo, M. et al. (2010). Effect of Autogenic Training on General Improvement in Patients with Irritable Bowel Syndrome: A Randomized Controlled Trial. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 35(3), 189–198. https://doi.org/10.1007/s10484-009-9125-y
Stetter, F. (2004). Entspannungsverfahren: Wirksame Komponenten psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung. Psychotherapeut, 49(4), 281–291. https://doi.org/10.1007/s00278-004-0383-0
Stetter, F. & Kupper, S. (2002). Autogenic Training: A Meta-Analysis of Clinical Outcome Studies. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 27(1), 45–98. https://doi.org/10.1023/A:1014576505223
Wilk, D. (2019). Einführung in das autogene Training (Carl-Auer compact). Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH.