By Published On: 2. März 2020Categories: Gesundheit, Psychologie, Wirtschaft

Angesichts der Ausbreitung des Corona-Virus wird in Deutschland dazu aufgerufen, nicht hysterisch zu reagieren.[1] Verfolgt man die Meldungen über Hamsterkäufe und ausverkaufte Atemschutzmasken, scheinen diese Aufforderungen wenig zu bewirken.[2] Dabei sind die Fallzahlen von Covid-19 im Vergleich zu China, Südkorea oder Italien hierzulande immer noch sehr klein. Sind wir alle ein wenig hysterisch? Und welche Geschichte verbirgt sich eigentlich hinter diesem einst typisch weiblichen Nervenleiden?

Die Hysterie hat eine lange Geschichte. Angeblich findet sich schon auf alt-ägyptischem Papyrus aus dem 19. Jahrhundert vor Christus eine Beschreibung der psychischen Krankheit.[3] Platon sah im 4. Jahrhundert vor Christus in der wandelnden Hysteria, griechisch für Gebärmutter, ein Übel, das „durch Versperren der Durchgänge das Atemholen nicht gestattet, große Beängstigung sowie noch andere Krankheiten aller Art herbeiführt.“[4]

Hysteria als wandelnde Gebärmutter

Hippokrates listete ungefähr zeitgleich Krampfanfällen, Schmerzen, Lähmungen, Schwindel, Übelkeit und Sprachlosigkeit als Symptome für sexuell nicht aktive Frauen auf und empfahl ganz im Zeichen seiner Zeit und dem Verständnis der damaligen Rolle der Frau als Heilmittel die Heirat.[4] In der Spätantike und im Mittelalter wurde Hysterie aus christlicher Überzeugung mit dem Bösen in Verbindung gebracht und Menschen mit hysterischen Symptomen als Dämonen, Hexen und Teufel gebrandmarkt und oft auch tatsächlich verbrannt.

Abbildung 1 Karikatur hysterischer Frauen

In der Neuzeit machte Jean-Martin Charcot, der französische Internist und Nervenarzt, die Hysterie wissenschaftsfähig und für ein breites Publikum interessant. Seine Ideen und Vorlesungen zogen viele Menschen in ihren Bann, darunter auch Sigmund Freud, der ein halbes Jahr bei ihm in Paris verbrachte. Zehn Jahre später beschrieben in den ‚Studien zur Hysterie‘ Breuer und Freud 1895 die Symptome der durch ihr Buch berühmt gewordenen Patientinnen Anna O. und Emmy v. N. Darin wurde die psychische Krankheit der Hysterie erklärt als ’neurotische Scheinlösung‘ intrapsychischer Konflikte.[6] Eine solche Erklärung passte perfekt in die Zeit von Freud und Breuer, in der Frauen kaum Möglichkeiten hatten sich frei zu entfalten und auf die Rolle der Mutter und Ehefrau reduziert wurden.

Hysterie als krankhaftes Phänomen des 20. Jahrhunderts

Heute ist das Wort Hysterie im allgemeinen Sprachgebrauch weit verbreitet, auch wenn die Bedeutung ihre pathologische Konnotation verloren hat. Der Duden definiert Hysterie als „nervöse Aufgeregtheit, Erregtheit, Erregung, Überspanntheit“.[7] In den aktuellen, klinischen Diagnosesystemen wird der Begriff Hysterie nicht mehr verwendet.[8] Stattdessen spricht man von dissoziativen oder Konversionsstörungen[9] Auch die histrionische Persönlichkeitsstörung klassifiziert unter ICD-10 F 60.4[10] ist hinsichtlich des Störungskonzepts mit dem von den Psychologen des 19. und 20. Jahrhunderts gebrauchten Hysterie-Begriff verbunden. Diese psychologische Störungsbilder haben jedoch wenig gemeinsam mit dem umgangssprachlichen Verständnis von Hysterie.

Umgangssprachlich bis heute eine typisch weibliche Eigenschaft

Die Überzeugung, dass hysterisches Verhalten eher eine weibliche Eigenschaft ist, hat sich bis in unsere Zeit gehalten. In einer Umfrage von Allensbach aus dem Jahr 2000 gaben 31 Prozent der befragten Männern an, dass  ‚hysterisch‘ als Eigenschaft für Frauen typisch sei. Andersherum brachten nur drei Prozent der befragten Frauen das Adjektiv ‚hysterisch‘ in Verbindung mit Männern.

Zurück zur aktuellen Krise um das Corona-Virus und dem medialen Echo. Wahrscheinlich gelten unbewusst in unserer Gesellschaft Pflege und Vorsorge ebenso wie das Einkaufen noch immer als eher weibliche Tätigkeiten, auch wenn die Bemühung um Gleichberechtigung stark zugenommen hat. Unter dieser Prämisse ist es zumindest leichter zu verstehen, warum in den Medien so häufig das Wort ‚Hysterie‘ in Zusammenhang mit Covid-19 auftaucht. Dabei sind unter ‚den Preppern‘, also unter den Menschen, die sich auf Katastrophen oder den kommenden Weltuntergang z.B. mit haltbaren Lebensmitteln und Schutzanzügen vorbeibereiten, vor allem Männer.[11]

 

[1] vgl. Die Welt v. 28.02.2020 oder Süddeutsche Zeitung v. 26.02.2020
[2] vgl. Der Spiegel v. 25.02.2020 oder Frankfurter Neue Presse v. 29.02.2020
[3] Ronel, J. 2008, S. 207
[4] Platon 2009, Vers 91
[5] Golder, W. 2007, S. 61
[6] Freud, S. et al. 2011
[7] Duden 2020
[8] Ronel, J. 2008, S. 212
[9] Stangl, W. 2007
[10] Dilling, H. 2015 S. 280
[11] Der Spiegel 2019

 

Literatur

Die Welt vom 28.02.2020 abgerufen unter https://www.welt.de/politik/deutschland/plus206191897/Hausarzt-zu-Corona-Habe-Angst-von-der-Hysterie-angesteckt-zu-werden.html

Süddeutsche Zeitung vom 26.02.2020 abgerufen unter https://www.welt.de/politik/deutschland/plus206191897/Hausarzt-zu-Corona-Habe-Angst-von-der-Hysterie-angesteckt-zu-werden.html

Der Spiegel vom 25.02.2020 abgerufen unter https://www.spiegel.de/politik/hysterie-und-hamsterkaeufe-a-f155f5d7-8015-406b-a605-f268a5db133e

Der Spiegel vom 15.11.2019 abgerufen unter https://www.spiegel.de/politik/prepper-netzwerk-eine-uzi-fuer-den-tag-x-a-00000000-0002-0001-0000-000166979773

Frankfurter Neue Presse vom 29.02.2020 unter https://www.fnp.de/frankfurt/coronavirus-hessen-hamsterkaeufe-desinfektionsmittel-mundschutz-knapp-zr-13562469.html

Dilling, H. Internationale Klassifikation psychischer Störungen 2015 Bern: Hogrefe

Freud, S. et al. 2011 Studien über Hysterie Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag

Golder W. Hippokrates und der Corpus hippocraticum. Eine Einführung für Philologen und Mediziner. 2007 Würzburg: Königshausen &amp

Platon, Timaios 2009 Stuttgart: Reclam

Ronel, J. et al. 2008 Von der Hysterie zur F45.0 in PiD – Psychotherapie im Dialog 9, 03 S. 207-216

Stangl, W. Stichwort Hysterie abgerufen 01.03.2020 unter https://lexikon.stangl.eu/8214/hysterie/

Duden Stichwort Hysterie abgerufen am 29.2.2020 unter https://www.duden.de/rechtschreibung/Hysterie

 

 

Abbildungen

 

Abbildung 1 pixabay von Prawny abgerufen unter https://pixabay.com/de/illustrations/frauen-schrei-reich-schwarz-weiß-1798768/

Abbildung 2 Umfrage von Allensbach zur Frage: welche Eigenschaften treffen aus Sicht der Männer auf Frauen zu? © statista 2019

 

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