Personalmangel, unterbesetzte Stationen, hoher Arbeitsdruck und Schichtarbeit setzen die Pflegekräfte in deutschen Kliniken und Pflegeheimen zunehmend unter Druck. Insbesondere deutsche Pflegekräfte leiden fast doppelt so häufig an Burnout wie Arbeitnehmer in anderen Berufsfeldern. Die Frage stellt sich, ob es möglich ist, schwerstkranke, belastete und traumatisierte Menschen zu behandeln, ohne dass die Pflegekräfte dabei selbst Schaden nehmen.Gesundheits- und Krankenpfleger*innen sowie Ärzte stehen regelmäßig vor extremen Belastungen. Sie können von intensiven Emotionen wie Angst, Wut, Hass, Trauer, Verzweiflung, Hilflosigkeit oder Mitleid überwältigt werden, haben jedoch oft nicht die Möglichkeit, diesen Emotionen Ausdruck zu verleihen. Dies führt zu emotionalen Dissonanzen. Zusätzlich wird von ihnen erwartet, eine zuverlässige Unterstützung für die Betroffenen zu sein und Hilfe, Bewältigung und Integration anzubieten. Dies kann ebenfalls äußerst belastend und überfordernd sein (Sendera & Sendera, 2013, S. 7).
Der Begriff Burnout
Ursprünglich in den 1970er-Jahren für Helfer*innen und Pflegekräfte geprägt, beschrieb der Begriff „Burnout“ Symptome wie Erschöpfung, Depersonalisation und Zynismus. Burnout steht wörtlich für den Verlust von Energie (Thullner, 2018, S. 67).Über die Jahrzehnte wurde der Begriff für verschiedene Stressbelastungen verallgemeinert. Obwohl der Begriff in vielen Köpfen als Diagnose betrachtet wird, ist Burnout keine medizinische Diagnose. Burnout ist ein ätiopathogenetischer Prozess mit möglichen psychischen und körperlichen Folgeerkrankungen. Die DGPPN bezeichnet Burnout als Risikozustand, während es in ICD-10 und DSM nicht als Diagnose aufgeführt wird (Brühlmann, 2015, S. 12).Weltweit wird das Maslach Burnout Inventory (MBI) zur psychometrischen Erfassung verwendet. Es bewertet „emotionale Erschöpfung“, „Depersonalisation“ und „persönliche Leistungsfähigkeit“ getrennt und hat verschiedene revidierte berufsgruppenspezifische Versionen (Michalsen & Hillert, 2011a, S. 26).
Stressoren in der Pflegearbeit
Die zentralen Quellen des Stresses umfassen die hohe Arbeitslast, insbesondere auf Intensivstationen, was zu Burnout und vermehrten (Behandlungs-)Fehlern führen kann (Rogers et al., 2004; Embriaco et al., 2007). Arbeitsanforderungen und Schichtarbeit beeinträchtigen die Gesundheit der Pflegekräfte.Emotionsarbeit, bedingt durch die regelmäßige Konfrontation mit Krankheit, Leid und Tod von Patient*innen sowie belastenden zwischenmenschlichen Beziehungen, stellt einen weiteren erheblichen Stressor dar. Pflegekräfte müssen oft Stärke zeigen, was das Burnout-Risiko erhöht (Klingenberg, 2012, S.87). Gewalt und Aggressionen von Patient*innen, sowie der Stressor Mobbing sind ebenfalls zunehmende Probleme. Auch durch die entlastende Einführung moderner elektronischer Patientenakten kann es zu Technostress kommen. Dieser führt zu zusätzlichem Stress und Unterbrechungen der Arbeitsabläufe, besonders für Pflegekräfte mit geringen technischen Fähigkeiten (Klingenberg, 2012, S.88). Weitere bedeutende Stressoren umfassen Rollenstress, organisationale Rahmenbedingungen, Organisationsklima sowie kulturelle und individuelle Unterschiede.
Interventionsmöglichkeiten zur Reduzierung des Burnout-Risiko im klinischen Bereich
Da Burnout nicht als operationalisiertes Krankheitsbild betrachtet wird, sondern eine subjektive Wahrnehmung darstellt, gibt es bisher keine klaren Richtlinien für Therapie und Prävention. Es existieren jedoch fundierte Empfehlungen von verschiedenen Experten, darunter Freudenberger, dessen 1974 veröffentlichte Ratschläge auch heute noch als sinnvoll gelten (Michalsen & Hillert, 2011b, S. 35). Diese Empfehlungen umfassen Einführungs- und Trainingsprogramme für neue Mitarbeiter, Klärung der Aufgabenbereiche und Hierarchien, gelegentlichen Wechsel des Arbeitsbereichs, Begrenzung der Arbeitszeit, Pflege von Kollegialität, regelmäßige Fortbildungen, ausreichende Personalstärke, angemessene Gratifikationen und Erhaltung der körperlichen Fitness (Michalsen & Hillert, 2011b, S. 35). Weitere vorgeschlagene Präventionskonzepte befassen sich mit „Stressreduktion“ und „Stressmanagement“, wobei eine Sensibilität für Warnzeichen von chronischer Überlastung von Vorteil ist. Klassische Entspannungstechniken können durch Kommunikationstraining, Konfliktmanagement und den Umgang mit eigenen „Stressverstärkern“ ergänzt werden. Soziale Beziehungen, private Interessen und sportliche Aktivitäten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Organisatorische Stressprävention am Arbeitsplatz kann durch Supervision, Coaching, kontinuierliche Erfassung des psychologischen Gesundheitszustands, Autonomie, Freistellung für Forschung und Fortbildungen sowie Burnout-Präventionsprogramme erreicht werden (Michalsen & Hillert, 2011b, S. 36). Eine angemessene Gratifikation der erbrachten Leistung sollte entsprechend individueller Erwartungen angestrebt werden, basierend auf empfundenem Wert wie Wertschätzung, Gerechtigkeit und Arbeitsklima (Michalsen & Hillert, 2011b, S. 37). Allgemeine Unterstützung und Entlastung für Gesundheitsfachkräfte können durch umfassende Versorgung und Unterstützung durch Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen, Psychotherapeut*innen, Neuropsycholog*innen und Spiritual Care Fachkräfte/Seelsorger*innen erreicht werden (Gesundheitsversorgung, 2021).
Fazit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Pflegekräfte vielen verschiedenen und anhaltenden Stressoren ausgesetzt sind. Dadurch haben diese eine hohe Wahrscheinlichkeit an Burnout zu erkranken. Es existieren viele Möglichkeiten, um die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Ohne angewandte wirksame Interventionsmaßnahmen werden die Zahlen des erkrankten Personals und der generelle Personalmangel exponentiell wachsen und möglicherweise fulminante Folgen für das gesamte Gesundheitssystem haben. Bereits im Jahr 2022 zählte die AOK im Durchschnitt 159,8 Arbeitsunfähigkeitstage je 1.000 Mitglieder aufgrund einer Burnout-Diagnose. Das Burnout-bedingte Arbeitsunfähigkeitsvolumen ist somit um mehr als 50 Prozent im letzten Jahrzehnt gestiegen. Auch die Häufigkeit hat sich drastisch erhöht. Laut der AOK wurde 2005 durchschnittlich ein Fall auf je 1.000 Mitglieder registriert. Im Jahr 2022 lag der Schnitt bei 6,8 Fälle je 1.000 Mitglieder. Werden diese Zahlen hochgerechnet, kommt man im Jahr 2022 auf 40 Millionen gesetzlich krankenversicherte Beschäftigte, davon 216.000 Burn-out Betroffene mit kulminierten 5,3 Millionen Krankheitstagen (Springer, 2023).
Eine weitere Studie der AOK konnte deutlich machen, dass der Anteil psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit Burnout speziell bei Pflegekräften seit 2012 um mehr als 15 Prozent gestiegen ist. Nach eigenen Angaben der AOK wurden die Arbeitsunfähigkeitsdaten von 682.000 versicherten Beschäftigten in Pflegeberufen ausgewertet.
Abbildungsverzeichnis
Titelbild: https://www.pexels.com/de-de/foto/ausbrennen-haftnotizen-skelett-begrifflich-8386717/
Abbildung 1: Axel Springer. (13. November, 2023). Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Burn-out-Erkrankungen in Deutschland in den Jahren 2004 bis 2022 (je 1.000 AOK-Mitglieder) [Graph]. In Statista. Zugriff am 15. Februar 2024, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239869/umfrage/arbeitsunfaehigkeitstage-aufgrund-von-burn-out-erkrankungen/
Abbildung 2: BKK Dachverband. (9. Juli, 2015). Anzahl der AU-Tage aufgrund von Depressionen und Burn-out-Erkrankungen im Gesundheits- und Sozialwesen nach Bundesländern im Jahr 2013 (AU-Tage je 1.000 Mitglieder*)
Literaturverzeichnis
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BKK Dachverband. (9. Juli, 2015). Anzahl der AU-Tage aufgrund von Depressionen und Burn-out-Erkrankungen im Gesundheits- und Sozialwesen nach Bundesländern im Jahr 2013 (AU-Tage je 1.000 Mitglieder*) [Graph]. In Statista. Zugriff am 10. Februar 2024, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/446056/umfrage/au-tage-aufgrund-von-depressionen-und-burn-out-im-gesundheits-und-sozialwesen/
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