Das „chronical fatigue syndrom“ (kurz: CFS) gerät aufgrund der Corona-Pandemie vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit. In Bezug auf „Long Covid“ handelt es sich dabei um das zweithäufigste Symptom, unter dem die Betroffenen noch Wochen bis Monate nach einer überstandenen COVID-19-Infektion leiden.[1]Vgl. Buchberger, B./ Zwierlein, R./ Rhode, V. (2022), S. 340- 346
Das chronische Erschöpfungssyndrom existiert aber nicht erst seit der Corona-Pandemie und betrifft viele Menschen weltweit. Die Betroffenen haben mit weitreichenden Folgen in ihrem Alltag zu kämpfen und leiden häufig unter dem Unverständnis ihrer Mitmenschen. Doch worum handelt es sich genau bei dieser Erkrankung und welchen Beitrag kann die Psychologie leisten, um den Betroffenen zu helfen?
Diese Fragen werden in einem zweiteiligen Beitrag behandelt. Der erste Teil enthält die Krankheitsdefinition mitsamt der relevanten Diagnosekriterien und beschreibt die Prävalenz. Im zweiten Teil geht es um die Ursachen und die Behandlungsmöglichkeiten mit einem besonderen Blick auf die psychologischen Möglichkeiten.
Das chronische Erschöpfungssyndrom wird auch als „myalgische Enzephalitis“ (kurz: ME) bezeichnet und kann als eigenständiges Syndrom auftreten. In vielen Fällen ist es allerdings ein Begleitsymptom einer bestehenden Grunderkrankung wie beispielsweise Multiple Sklerose (MS) oder einer Tumorerkrankung. Das CFS kann sich in vielen verschiedenen Symptomen äußern, die vorübergehend auftreten, aber auch über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben können. Insgesamt führt die Erkrankung zu starken Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten, die sich z.B. in Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen äußern. Außerdem treten begleitend konstitutionelle und neuropsychatrische Symptome auf.[2]Vgl.Buchberger, B./ Zwierlein, R./ Rhode, V. (2022), S. 340- 346
„Fatigue kann als ein durchdringendes Gefühl von Müdigkeit oder Energielosigkeit definiert werden, das nicht ausschließlich auf Anstrengung zurückzuführen ist.“
Buchberger, B./ Zwierlein, R./ Rhode, V. (2022), S. 340
Das chronische Erschöpfungssyndrom als nicht sichtbare Behinderung trifft in der unwissenden Gesellschaft oftmals auf Unverständnis und erschwert den Betroffenen zusätzlich ihren Alltag. Sie versuchen häufig ihre Erkrankung unter großer Kraftanstrengung zu verheimlichen und zu kompensieren. Hinzu kommen Angst und Scham als zusätzliche Belastung. Außerdem kommt es nicht selten vor, dass die Ärzte das CFS nicht erkennen und die Betroffenen als psychisch labil einstufen.[3] Vgl. Streinz, J. (2015), S. 1-5
Die Diagnostik des chronischen Erschöpfungssyndroms gestaltet sich schwierig, da die Symptomatik große Ähnlichkeiten zu andern körperlichen Erkrankungen und Depressionen aufweist. Allgemein gilt, dass die schwere geistige und körperliche Erschöpfung über mindestens sechs Monate andauern bzw. wiederholt auftreten muss und keine anhaltende erschöpfende Tätigkeit als Ursache bestehen darf. Dabei muss das Aktivitätsniveau des Betroffenen nach eigenen Angaben im Durchschnitt bei 50% oder weniger liegen.
Zusätzlich gibt es weitere diagnostische Kriterien, die vorliegen müssen. Dazu gehören u.a. eine deutliche Verschlechterung des Erschöpfungszustands nach Belastungen und eine Erholungsphase, die länger als 24 Stunden dauert. Der Schlaf bringt aufgrund von Schlafstörungen oder veränderten Schlafmustern keine Erholung. Auf der physischen Ebene treten Symptome wie Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen ohne erkennbare Entzündungen im Körper als Ursache auf. Außerdem sind Beeinträchtigungen von autonomen Organfunktionen möglich, die sich beispielsweise in Form von Schwindel oder Herzklopfen äußern. Weitere Diagnosekriterien sind immunologische Störungen, wie z.B. schmerzende Lymphknoten oder ein Krankheitsgefühl, sowie neuroendokrine Auffälligkeiten, wie Hitze- und Kälteintoleranz oder Appetitverlust. Zu den neurologischen Diagnosekriterien gehören insbesondere eine schlechte Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit. Des Weiteren zeigen sich Wortfindungs- und Lesestörungen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, Verwirrung sowie eine problematische Wahrnehmung von körperlichen Berührungen oder Sinneseindrücken.[4]Vgl. Kattan, C. (2021), S. 27- 36
Das CFS wird in vier Schweregrade eingeteilt. Von einem „leichten“ CFS wird gesprochen, wenn der Betroffene noch mobil und arbeitsfähig sowie die Selbstversorgung weiterhin möglich ist. Dennoch sind die sozialen und freizeitlichen Aktivitäten stark eingeschränkt und es sind regelmäßig freie Tage notwendig, um die Alltagsanforderungen weiter aushalten zu können. Das Wochenende wird zur Regeneration, der in der Woche verbrauchten Energiereserven benötigt. Das CFS ist „mäßig“ ausgeprägt, wenn die Mobilität des Betroffenen eingeschränkt und die Alltagsaktivitäten begrenzt sind. Die Arbeitsfähigkeit ist nicht mehr vorhanden und es werden täglich ein bis zwei Stunden Nachmittagsschlaf benötigt. Auch der Nachtschlaf ist schlecht und nicht erholsam. Bei einem „schweren“ CFS sind nur noch einfache Tätigkeiten für den Betroffenen ausführbar und er hat mit starken Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen zu kämpfen. Die Symptomatik verschlechtert sich nach Belastungen deutlich und zeitweise wird aufgrund zu starker körperlicher Erschöpfung ein Rollstuhl benötigt. Ist der Betroffenen bettlägerig, pflegebedürftig und leidet unter starker Lärm- und Lichtempfindlichkeit, handelt es sich um ein „sehr schweres“ CFS.[5] Vgl. Streinz, J. (2015), S. 1- 8
In Deutschland liegt der Anteil der Erkrankten in der Gesamtbevölkerung zwischen 0,24% und 0,42%, womit zwischen 200 000 und 300 000 Menschen betroffen sind. Die Forschungsbemühungen in Bezug auf CFS sind in Deutschland nicht so stark ausgeprägt wie in den USA. Dort gilt das chronische Erschöpfungssyndrom als schwerwiegende Erkrankung und steht auf der Liste der priorisierten zu erforschenden Krankheiten. Die aktuell vorliegenden Erkenntnisse zeigen, dass Frauen häufiger erkranken. Dabei gehört das CFS sogar zu den bedeutsamsten Erkrankungen unter Frauen, denn es tritt ca. 10 mal häufiger als Lungen- oder Brustkrebs und 40 mal häufiger als AIDS auf. Mögliche Gründe werden u.a. in dem schneller beeinflussbaren Hormonhaushalt, einem niedrigeren Serotoninspiegel und einem häufiger überaktiven Immunsystem der Frauen gesehen. Eventuell lässt sich der größere weibliche Anteil unter den Betroffenen auch mit einem anderen Krankheitsempfinden der Männer erklären, die seltener zum Arzt gehen und somit seltener die Diagnose erhalten. Auch Kinder und Jugendliche sind vom CFS betroffen, haben aber oftmals einen günstigen Krankheitsverlauf.
Obwohl alle Altersgruppen erkranken können, tritt CFS am häufigsten im Alter zwischen 40 und 49 Jahren auf. Betroffen sind Menschen aus allen sozioökonomischen Schichten. [6]Vgl. Streinz, J. (2015), S. 1- 8
Zusammenfassung
Das chronische Erschöpfungssyndrom ist eine Krankheit, die sowohl die physische als auch die psychische Ebene betrifft und sich in einer dauerhaften Erschöpfung und Müdigkeit begleitet von vielfältigen Symptomen äußert. Für den Erschöpfungszustand darf keine anstrengende Tätigkeit ursächlich sein. Das CFS ist eine eigenständige Krankheit, tritt aber häufig als Begleiterscheinung verschiedener Grunderkrankungen auf. Deswegen gestaltet sich die Diagnostik schwierig. Die Auswirkungen auf den Alltag der Betroffenen sind je nach Schweregrad unterschiedlich stark. Sie reichen von einem eingeschränkten Sozialleben über Schwierigkeiten in der Selbstversorgung bis hin zur Pflegebedürftigkeit. Das CFS tritt in allen Altersklassen auf – insbesondere aber im Alter zwischen 40 und 49 Jahren – und betrifft Frauen häufiger. In den USA gilt das CFS als schwerwiegende Erkrankung und soll zunehmend erforscht werden. In Deutschland gibt es bisher nur wenige Forschungsbemühungen. Dies könnte sich möglicherweise bald ändern, da es zu steigenden Erkrankungszahlen aufgrund der Corona-Pandemie kommt. Das CFS stellt das zweithäufigste überdauernde Symptom bei „Long-Covid“-Patienten dar.
Literaturverzeichnis
Buchberger, B., Zwierlein, R. & Rohde, V. (2022) Post-Corona-Fatigue – das bekannte Bild in neuem Gewand?. Onkologe 28, 340–346. https://doi.org/10.1007/s00761-022-01102-1
Kattan, C. (2021) Chronische Erschöpfung – nur müde oder wirklich krank?. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63874-3_1
Streinz, J. (2015) Leben mit chronischer Erschöpfung – CFS: Ein Ratgeber für Patienten. W. Zuckschwerdt Verlag GmbH, Germering, München
Bildnachweis
Mohamed_hassan (2021) Erschöpft Mann Schlüssel Müde Mitarbeiter Betonen: pixabay. Zugriff am 08.05.2022 über https://pixabay.com/de/vectors/ersch%c3%b6pft-mann-schl%c3%bcssel-m%c3%bcde-6807134/
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Weitere Beiträge
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↑1 | Vgl. Buchberger, B./ Zwierlein, R./ Rhode, V. (2022), S. 340- 346 |
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