By Published On: 29. August 2024Categories: Psychologie

Fans der Serie „The Mentalist“ kennen Patrick Jane, den brillanten Berater des California Bureau of Investigation. Mit scharfer Beobachtungsgabe löst er komplexe Kriminalfälle, indem er subtile Hinweise in Gesichtsausdrücken und Körpersprache entschlüsselt. Jane’s Fähigkeit, Emotionen und Lügen aus kleinsten Gesichtsbewegungen zu lesen, fasziniert das Publikum und suggeriert, dass Emotionen mit ein bisschen Übung universell in Gesichtszügen erkennbar sind. Doch wie viel Wahrheit steckt dahinter? Können Gesichtsausdrücke wirklich unsere Gefühle offenbaren, oder ist die Realität komplexer?

Das Erkennen von Emotionen aus Gesichtsausdrücken ist ein faszinierendes und komplexes Forschungsgebiet mit Anwendungen in Psychologie, Informatik, Sicherheit und Kommunikation. Neueste wissenschaftliche Untersuchungen werfen jedoch ein kritisches Licht auf die Annahme, dass bestimmte Emotionen universell durch spezifische Gesichtsausdrücke ausgedrückt werden. Dieser Blog-Beitrag beleuchtet die Herausforderungen bei der Ableitung von Emotionen aus Gesichtsausdrücken und diskutiert aktuelle Forschungsergebnisse.

Emotionen und ihre Komponenten

Abbildung 1: Emotionskomponenten
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Becker-Carus & Wendt (2017), S. 540

Emotionen sind psychische Kräfte, die auf drei Hauptkomponenten beruhen. 1. der physiologischen Ebene, welche körperliche Veränderungen wie hormonelle und viszerale Erregungen umfasst. 2.  der kognitiven Ebene, welche sich auf das subjektive Erleben und die kognitive Interpretation, wie Angstgefühle bezieht sowie 3. der motorische Ebene, welche Verhalten und Ausdruck, einschließlich Weinen, Lächeln oder Angstrufen betrifft. Diese Ebene wird in behaviorale und expressive Aspekte unterteilt, die Mimik, Haltung und Stimme beeinflusst.

Emotionen umfassen dementsprechend sowohl das Erleben als auch den Ausdruck des Individuums. Das Erleben steuert das Verhalten (motivationale Komponente), während der Ausdruck Teil der sozialen, oft nonverbalen Kommunikation ist und das Verhalten anderer beeinflusst (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 540-543).

Theorie der Universalität des Ausdrucks

Ein direkter Blick kann Intimität vermitteln, während abschweifende Augen Ängstlichkeit signalisieren können. Unser Gehirn erkennt subtile emotionale Hinweise gut, und einige Gesichtsmuskeln sind schwer zu kontrollieren, wie zum Beispiel bei einem echten Lächeln (Myers & DeWall, 2023, S. 516-518). Die Idee, dass Gesichtsausdrücke direkte Indikatoren für emotionale Zustände sind, basiert auf der Arbeit von Forschern wie Paul Ekman. Er postulierte, dass es universelle Gesichtsausdrücke gibt, die spezifische Emotionen signalisieren. Laut Ekman ist eine Emotion eine Basisemotion, wenn sie angeboren ist, bei allen Menschen unter ähnlichen Umständen auftritt, einen unverwechselbaren Ausdruck hat, spezifische physiologische Veränderungen auslöst, ein kohärentes Reaktionsmuster besitzt und automatisch ausgelöst wird. Häufig werden Angst/Furcht, Ärger, Traurigkeit und Freude als Basisemotionen genannt, da sie grundlegend für alle emotionalen Empfindungen sind.

Ekman und Friesen (1971) führten eine Studie durch, in der Studenten aus Japan, den USA, Brasilien, Chile und Argentinien Fotografien von Gesichtern zur Beurteilung der emotionalen Basisausdrücke vorgelegt wurden. Die Ergebnisse zeigten hohe Übereinstimmungen in der Zuordnung der emotionalen Zustände zu den jeweiligen Gesichtsausdrücken in allen untersuchten Kulturen. Ähnliche Studien mit Angehörigen von Volksstämmen auf Borneo und Neuguinea, die kaum Kontakt zur westlichen Zivilisation hatten, bestätigten diese Ergebnisse. Sowohl Erwachsene als auch Kinder ab fünf Jahren konnten die sechs Emotionen anhand der Gesichtsausdrücke genau richtig zuordnen (Ekman, Sorenson & Friesen, 1969).

Herausforderungen bei der Emotionserkennung in Gesichtsausdrücken

Obwohl wir Emotionen scheinbar gut erkennen können und diese als universell gelten, fällt es oft schwer, Täuschungen zu identifizieren. Studien zeigen, dass die Unterscheidung zwischen Lüge und Wahrheit kaum besser als Zufall ist (Hartwig & Bond, 2011). Forscher haben über ein Jahrhundert lang untersucht, ob Menschen emotionale Bedeutungen in Gesichtsausdrücken erkennen können. Diese Studien zeigen, dass Menschen Emotionen beurteilen, aber nicht unbedingt erkennen oder dekodieren. Beobachter müssen relevante Gesichtsausdrücke identifizieren und von anderen Bewegungen unterscheiden. Viele Studien verwenden jedoch gestellte oder computergenerierte Gesichtsausdrücke, die keine echten Emotionen zeigen, was die Genauigkeit der emotionalen Inferenz fraglich macht. Eine Analyse von über 7 Millionen Bildern identifizierte zudem mehrere Gesichtskonfigurationen pro Emotionskategorie, was die Vielfalt der Ausdrücke zeigt. Die Variabilität der Gesichtsausdrücke ist also größer als angenommen.  Darüber hinaus scheint die Art und Weise, wie Emotionen ausgedrückt werden, stark zwischen Kulturen, Situationen und Individuen zu variieren. 

Einfluss des Kontextes

So spielt der Kontext eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung von Emotionen. Bereits mit 19 Monaten können Kinder erkennen, wenn Gesichtsausdrücke nicht zum Kontext passen. Beispielsweise erkennen sie ein finsteres Gesicht auf einem Körper, der eine Windel hält, als unpassend. Ein weiterer Kontextfaktor ist das Umfeld. So entwickeln Kinder aus vernachlässigenden oder missbrauchenden Umgebungen eine andere Wahrnehmung von Emotionen als solche aus stabilen Umfeldern. Misshandelte Kinder erkennen beispielsweise bedrohliche Gesichtsausdrücke, wie finstere Blicke, schneller als nicht misshandelte Kinder.

Einfluss der Kulturen

Kulturelle Unterschiede beeinflussen ebenfalls die Wahrnehmung und Interpretation von Gesichtsausdrücken mehr als vorausgesetzt. So zeigen neuer Studien, dass z.B. Trobriand-Insulaner weit geöffnete Augen und einen erschrockenen Gesichtsausdruck als Zeichen eines Angriffs und nicht als Ausdruck von Angst interpretieren. Menschen in nicht-westlichen Kulturen neigen darüber hinaus dazu, Gesichtsausdrücke als Handlungen zu sehen, die zukünftige Aktionen vorhersagen, statt interne psychologische Zustände anzuzeigen. Ein weit geöffneter, erstaunter Gesichtsausdruck wird in einigen Kulturen eher als „Schauen“ interpretiert und nicht als Überraschung oder Angst (Barrett et al., 2019, S. 1-45).

Wissenschaftler sind sich einig, dass Gesichtsausdrücke wichtige soziale Informationen vermitteln. Es ist jedoch dringend notwendig, weiter zu erforschen, wie Menschen ihre Gesichter im Alltag bewegen, um Emotionen und andere soziale Informationen auszudrücken, und die Mechanismen zu untersuchen, mit denen wir Emotionen bei anderen wahrnehmen.

Fazit und Ausblick

Die Ableitung von Emotionen aus Gesichtsausdrücken ist komplexer und nuancierter als die traditionelle Sichtweise vermuten lässt. Die Fähigkeit, Emotionen aus Gesichtsausdrücken abzuleiten, wird oft als direkte Erkennung verstanden, sollte jedoch als Interpretation aus beobachtbaren Hinweisen betrachtet werden. Emotionen sind vielschichtig und ihre Ausdrucksformen variieren stark zwischen Individuen, Kulturen und Kontexten.

Es ist notwendig, die Methoden und Annahmen in diesem Forschungsbereich zu überdenken und zu verfeinern. Die Erforschung der emotionalen Ausdrucksformen ist ein dynamisches Feld, das von interdisziplinären Ansätzen profitieren kann. Zukünftige Forschungen sollten verstärkt auf die Kombination von Kontextdaten, kulturellen Studien und fortschrittlichen Technologien wie maschinellem Lernen setzen. Diese Ansätze könnten helfen, ein tieferes Verständnis für die Komplexität emotionaler Ausdrucksformen zu entwickeln und die Anwendbarkeit in realen Szenarien zu verbessern. Fest steht jedoch nach wie vor: Gesichtsausdrücke bleiben ein faszinierendes Forschungsgebiet, das weiterhin viele Geheimnisse birgt und das Potenzial hat, unser Wissen über menschliche Emotionen und soziale Interaktionen erheblich zu erweitern.

Literatur

Barrett, L. F., Adolphs, R., Marsella, S., Martinez, A. M., & Pollak, S. D. (2019). Emotional expressions reconsidered: Challenges to inferring emotion from human facial movements. Psychological Science in the Public Interest, 20, 1–68. doi:10.1177/1529100619832930 

Becker-Carus, C., Wendt, M. (2017). Emotion. In: Allgemeine Psychologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53006-1_12 

Eder, A., & Brosch, T. (2017). Emotion. In: J. Müsseler, M. Rieger (Hrsg.), Allgemeine Psychologie, (pp. 185–222). Springer Berlin Heidelberg. DOI 10.1007/978-3-642- 53898-8_7 

Ekman, P., & Friesen, W. V. (1971). Constants across cultures in the face and emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 17, 124–129. 

Ekman, P., Sorenson, E. R., & Friesen, W. V. (1969). Pan-cultural elements in facial displays of emotion. Science, 164(3875), 86–88.

Hartwig, M., & Bond, C. F., Jr. (2011). Why do lie-catchers fail? A lens model meta-analysis of human lie judgments. Psychological Bulletin, 137(4), 643–659. https://doi.org/10.1037/a0023589

Myers, D.G., DeWall, C.N. (2023). Emotionen, Stress und Gesundheit. In: Psychologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_13

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Emotionskomponenten; Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Becker-Carus & Wendt (2017), S. 540

Titelbildquelle

Foto von Obed Hernández (2019) auf Unsplash. Abgerufen am 13.08.2024. https://unsplash.com/de/fotos/frau-in-schreiender-geste-mH7swQkWozY

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