Das WKS-Modell, benannt nach Willem Kleine Schaars, ist ein innovatives Assistenzmodell zur Unterstützung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen.
Es findet Anwendung in verschiedenen Bereichen der sozialen Arbeit, wie der Betreuung von Menschen mit Behinderungen, der Psychiatrie, der Altenpflege und der Kindererziehung. Kleine Schaars beobachtete, dass diese Menschen oft in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt werden, da Entscheidungen häufig von ihrem Umfeld getroffen werden. Um dem entgegenzuwirken, entwickelte er ein praxisorientiertes Betreuungsmodell, das die Selbstbestimmung der Klienten fördert und sie ermutigt, Verantwortung zu übernehmen. Zudem wird das Umfeld der Betroffenen sensibilisiert, um eine selbstbestimmte Lebensführung innerhalb ihrer Möglichkeiten zu ermöglichen. 1
Da das Modell bereits in meiner Einrichtung angewendet wird, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass mich der respektvolle Ansatz sehr beeindruckt. Das WKS-Modell wurde bei uns erfolgreich eingeführt und ich habe die positiven Veränderungen, die es sowohl für unsere Klienten als auch für unser Betreuungsteam mit sich gebracht hat, direkt miterlebt, weshalb ich dieses Konzept gerne näherbringen möchte.
1 Vgl. AKS Trainingen (2024)
Kernprinzipien:
Die grundlegende Haltung des WKS-Modells lautet: „Jeder Mensch hat die Regie über seine Möglichkeiten.“ Obwohl jeder Mensch in seinen Fähigkeiten gewisse Grenzen hat, ist es entscheidend, dass er die Freiheit hat das, was er selbst bestimmen kann, auch in die Tat umzusetzen. Dies geht Hand in Hand mit der Verantwortung für das eigene Handeln. Dieser Ansatz hebt die Selbstbestimmung als höchstes Gut hervor, unabhängig von bestehenden Einschränkungen. Ziel des Modells ist es, ein Gleichgewicht zwischen übermäßiger Fürsorge und Überforderung zu schaffen, indem der Fokus auf die Stärken der KlientenInnen gelegt wird, anstelle ihrer Einschränkungen. 2
2 Vgl. Kleine Schaars (2010), S.45-48; Lebenshilfe Ostallgäu-Kaufbeuren e.V. (2024)
Praktische Umsetzung:
Das WKS-Modell stellt die methodische Umsetzung einer bestimmten Grundhaltung dar.
Häufig überschreiten Angehörige oder Betreuer unbewusst die Grenzen der Person, die sie unterstützen. Das Modell fördert die Sensibilisierung des Umfelds, indem es aktives Zuhören und das Zurückhalten eigener Meinungen in den Vordergrund stellt. Dies führt zu einer veränderten Wahrnehmung des Klienten sowie seiner Fähigkeiten. Ohne ein tiefes Verständnis für die Erfahrungen des Klienten ist es nicht möglich, ihn professionell in seiner Selbstbestimmung zu unterstützen. Oftmals unverständliches Verhalten kann durch diese Perspektive nachvollziehbarer werden. Innerhalb dieses Modells gibt es verschiedene Betreuungsrollen: Alltagsbegleitende, Prozessbegleitende und Unterstützende.
Dabei stehen dem/der KlientIn zwei Betreuende zur Seite: eine Alltagsbegleitung, welche für inhaltliche Belange zuständig ist, und eine Prozessbegleitung, welche sich auf zwischenmenschliche Beziehungen konzentriert. Beide fungieren als Ansprechpartner für den/die KlientIn.
Die Zusammenarbeit zwischen Alltagsbegleitung, Prozessbegleitung, KlientIn und dem Team (Unterstützende) ist getragen durch Transparenz, Offenheit und Klarheit. 3
Alltagsbegleitung: Die Alltagsbegleitung führt die Regie über die Betreuung und ist für eine gute und zielgerichtete Unterstützung der zu betreuenden Person zuständig. Er kennt die Bedürfnisse sowie Fähigkeiten und Einschränkungen. Die Alltagsbegleitung erkennt Situationen, in welchen die Person überfordert oder überbehütet wird. Er bietet Orientierung und setzt zugleich bei Bedarf einen Rahmen. In Zusammenarbeit mit der Alltagsbegleitung trifft der Mensch mit Behinderung Vereinbarungen. Diese basieren auf größtmöglicher Selbstbestimmung. Er übernimmt die Betreuung für den/die KlientIn, übergibt diese aber auch in seiner Abwesenheit an Kollegen, welche als Unterstützende fungieren.
Prozessbegleitung: Dieser arbeitet im Auftrag des Alltagsbegleiter und steht diesem sowie dem/der Klienten/Klientin in schwierigen Situationen zur Seite. Dieser hat keine eigene Meinung. Der Prozessbegleiter versetzt sich in die Lage der zu betreuenden Person, unterstützt durch aktives Zuhören und gezielte Fragen, sodass diese seinen eigenen Lösungsweg finden kann. Er unterstützt (neutral) die Beziehung und die Kommunikation zwischen Alltagsbegleitung und KlientIn.
Unterstützende: Alle weiteren Teammitglieder fungieren als Unterstützung. Sie helfen den Menschen mit Behinderungen dabei, ihre Selbstbestimmung zu verwirklichen, ohne ihre eigenen Meinungen einzubringen oder zu urteilen. Dadurch wird ein personenzentrierter Ansatz gefördert, der den Fokus von Fürsorge hin zur Selbstbestimmung verlagert.
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In diesem Modell sind Videoaufnahmen ein wichtiges Hilfsmittel, um die Qualität der Betreuung zu verbessern, da man jeweilige Situationen gut analysieren kann. Das Video wiedergibt die Gespräche zwischen den einzelnen Rollen sachlich wieder, welche u.A. Feedback zur Betreuung zu erhalten. Zudem können Eltern die Entwicklung ihres Kindes gut mitverfolgen. Wichtig ist dabei, stets die Privatsphäre zu schützen. Dazu sollte festgelegt werden, wann und in welcher Situation die Aufnahme stattfinden soll. 5
3 Vgl. AKS Trainingen (2024); Kleine Schaars (2010), S.49
4 Vgl. Kleine Schaars (2010), S.49-63; Limberg (2008); Lebenshilfe Ostallgäu-Kaufbeuren e.V. (2024)
5 Vgl. Kleine Schaars (2010), S.72
Vorteile des WKS-Modells:
- Aktives Zuhören und das Zurückhalten der eigenen Meinung ermöglicht andere v.a. bewusstere Wahrnehmung der zu betreuende Person mit seinen Fähigkeiten (Sensibilisierung)
- Das Modell ermöglicht allen Beteiligten die erforderliche Zeit
- Förderung der Selbstständigkeit, Selbstbestimmung sowie Eigenverantwortung der KlientenInnen
- Verhinderung von Überbehütung und Überforderung der KlientenInnen
- Schaffung einer respektvollen und wertschätzenden Beziehungsgestaltung
- Realisierung individualisierter Unterstützung
- Neue Erkenntnisse und eigenes, neutrales Feedback durch Videoaufnahmen
- Erkenntnisse über eigenes Handeln führt ggf. zum umdenken der BetreuerInnen
- Verbesserte und offenere Zusammenarbeit zwischen den BetreuerInnen
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6 Vgl. AKS Trainingen (2024); Limberg (2008); Mönch (2022); Kleine Schaars (2010), S.115-116;137
Herausforderungen und Umsetzung:
Die Einführung des WKS-Modells erfordert oft eine grundlegende Veränderung in der Betreuungspraxis. Fachkräfte müssen ihre eigenen Wertvorstellungen kritisch hinterfragen und sich zurücknehmen, um den Klienten Raum für die Entwicklung eigener Lösungen zu geben. Das WKS-Modell kann signifikante Veränderungen für die Institutionen mit sich bringen, sofern alle Beteiligten bereit sind, den Prozess der Selbstbestimmung aktiv zu unterstützen. Wenn strukturelle Rahmenbedingungen hinderlich sind, sollten diese überarbeitet werden. Das Ziel der Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen erfordert mehr Klarheit und Eigenverantwortung von den Betreuenden sowie eine offene und unterstützende Führungskultur. Die Aufgabe ist es, durch Gleichwertigkeit die Selbstständigkeit und Lebensqualität der KlientenInnen zu fördern, damit sie ihre eigenen Lösungen und Vorstellungen verwirklichen können. 7
Viele Einrichtungen bieten für die Umsetzung spezielle Schulungen und Coachings an, um ihre Mitarbeitenden in der WKS-Methode zu schulen.
Willem Kleine Schaars begleitet zudem Teams und Organisationen bei der Implementierung des WKS-Modells. Er trainiert Mitarbeitende innerhalb von Einrichtungen und bildet WKS-Coaches aus. 8
7 Vgl. Kleine Schaars (2010), S.104-106
8 Vgl. Kleine Schaars (2010), S.142; AKS Trainingen (2024)
Fazit:
Das WKS-Modell stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, um Menschen mit Unterstützungsbedarf zu mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität zu verhelfen.
Es erfordert ein Umdenken bei den Betreuenden und fördert gleichzeitig eine respektvollere Beziehung zwischen Betreuenden und Betreuten. Angesichts des wachsenden Fokus auf Inklusion und Selbstbestimmung könnte das WKS-Modell eine wegweisende Rolle für die Zukunft der sozialen Arbeit spielen.
Nachweise
Abbildungsverzeichnis
Titelbildquelle:
designed by freepik, Vorderansicht der Frau im Rollstuhl, die mit ihren Mitarbeitern spricht, www.freepik.com, abgerufen am 10.10.24 unter https://de.freepik.com/fotos-kostenlos/vorderansicht-der-frau-im-rollstuhl-die-mit-ihren-mitarbeitern-spricht_7772391.htm#fromView=search&page=2&position=28&uuid=71d0e5e7-830e-4128-9770-7c8b419b0ab8
Abbildung 1: Beziehungen im WKS-Modell.
Literaturverzeichnis
AKS Trainingen (2024), Was bedeutet das Willem Kleine Schaars Modell?, in: https://www.kleineschaars.com/das-wks-modell/ , abgerufen am 28.10.24.
Kleine Schaars, W. (2010), Begegnen mit Respekt. Wege zwischen Überbehütung und Überforderung in der sozialen Arbeit, in Kliniken, Schulen oder Familien, Tübingen: dgvt-Verlag
Lebenshilfe Ostallgäu-Kaufbeuren e.V. (2024), Das Assistenzmodell nach Willem Kleine Schaars (WKS), in: https://www.lebenshilfe-oal.de/das-sind-wir/assistenzmodell-wks/ , abgerufen am 28.10.24.
Limberg, K. (2008), Mit dem WKS – Modell zu mehr Selbstbestimmung, in: https://www.kleineschaars.com/wp-content/uploads/2020/12/Artikel_Klaus_Limberg_2008-Mit-dem-WKS-Modell-zu-mehr-Selbstbestimmung.pdf, abgerufen am 9.10.24.
Mönch, M. (2022), Das WKS-Assistenzmodell in der Praxis bei Menschen mit komplexer Behinderung im Alter, in: https//www.kleineschaars.com/wp-content/uploads/2023/03/Fachtag_2022_MMoench_WKS.pdf, abgerufen am 9.10.24.