By Published On: 23. August 2024Categories: Gesundheit

Die Arbeitszeitdauer wird seit vielen Jahren in der Öffentlichkeit, der Politik und in Unternehmen in Deutschland sowie in anderen europäischen Ländern immer wieder diskutiert (Arlinghaus et al., 2024, S. 67).
Doch seit der COVID-Pandemie, welche für ein weltweites arbeitstechnisches Experiment sorgte, ist das Thema in den Vordergrund gerückt. Der Lockdown führte zu Homeoffice und flexiblen Arbeitsmodellen, sowie zu einer gesteigerten Sensibilität für die Work-Life-Balance, das Wohlbefinden und die zunehmenden Arbeitsausfälle in Zusammenhang mit psychischen Problemen (Seiwert und Sperling, 2020, S. 20).
In diesem Zusammenhang rückte die Diskussion über eine 4-Tage-Woche (hier 4TW) zunehmend in den Fokus (Bühren et al., 2023, S. 107).

Die „4-Tage-Woche“

Das Grundkonzept einer 4TW sieht vor, dass die Arbeitszeit um einen Tag verkürzt wird, was bei einer klassischen 40-Stunden-Woche auf 32 Stunden hinausläuft, während das Gehalt vollständig erhalten bleibt (Bühren et al., 2023, S. 108). Für die Ausgestaltung der 4TW gibt es jedoch verschiedene Ansätze. Die erste Möglichkeit besteht darin, die Arbeitszeit zu verdichten und bei vollem Lohnausgleich auf weniger Arbeitstage zu verteilen. Die zweite Möglichkeit ist die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Die dritte, schon länger bekannte Option ist die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, also Teilzeitarbeit (Zander, 2023, S. 21–23). Experimentierphasen mit diesen Modellen laufen gegenwärtig in Belgien, Island, Neuseeland, Japan, Schweden, Spanien, Großbritannien und den Vereinigten Arabischen. In Belgien hat die Regierung eine 4TW bei unveränderter Gesamtarbeitszeit beschlossen im Sinne einer Möglichkeit für Unternehmen. Bei einer 40-Stunden-Woche entspricht dies einer Reduktion der Arbeitszeit auf vier Tage mit jeweils zehn Stunden. Island hingegen reduzierte die Arbeitszeit auf 35 Stunden in vier Tagen bei selbem Gehalt (Bühren et al., 2023, S. 107–108).

Vorteile

Eine Arbeitszeitverkürzung im Rahmen der 4TW kann für Arbeitnehmer drei wesentliche individuelle und gesundheitsfördernde Vorteile mit sich bringen: Erstens ermöglicht sie eine verbesserte Regeneration, da sie arbeitsfreie Zeiträume schafft, die für ausreichende Erholung sorgen. Zweitens wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert, insbesondere für Familien mit Kindern. Drittens ermöglicht sie eine intensivere Teilnahme am zivilgesellschaftlichen Leben, im Bereich der politischen Bildung und des Ehrenamts, sowie Zeit für die Verfolgung außerberuflicher persönlicher Interessen (Lott und Windscheid, 2023, S. 6). Studien aus verschiedenen Ländern bestätigen, dass sich bei einer 4TW im Sinne der Arbeitsverdichtung zudem eine Produktivitätssteigerung der Mitarbeitenden beobachtet werden kann. Die 4TW hat nicht nur interne Auswirkungen, sondern stellt auch einen Wettbewerbsvorteil dar, auch mit Blick auf den Fachkräftemangel. Die Attraktivität des Arbeitsplatzes wird nicht mehr allein durch das Gehalt entschieden, sondern auch durch die Möglichkeit, individuell zu bleiben und ein erfülltes Leben außerhalb der Arbeit zu führen. Studien zu flexiblen Arbeitsmodellen zeigen, dass die psychische Belastung der Personen sinkt, da Konflikte zwischen Beruf und Familie abnehmen, mehr Energie für Beziehungen existiert und dies zu gesünderen und glücklicheren Mitarbeitenden führt (Bühren et al., 2023, S. 108–109). Die 4TW kann sich insbesondere in körperlich und psychisch belastenden Berufen als ein sinnvolles Konzept erweisen. Im Klinikum Bielefeld wurde am 1. Juli 2023 ein Pilotprojekt initiiert, welches eine Umsetzung der 4TW für Vollzeit-Pflegekräfte vorsieht, mit einer verlängerten Arbeitszeit von neun Stunden am Tag. Das Ziel besteht in einer Optimierung der pflegerischen Versorgung. Hier werden neue Ansätze in der Personalpolitik und eine bessere Work-Life-Balance für die Pflegekräfte gefördert. Zudem wird davon ausgegangen, dass die verlängerte Überlappungszeit der Schichten zu einer Steigerung der Versorgungsqualität führt. Die ersten Ergebnisse des Projekts sind vielversprechend: Die Qualität der pflegerischen Versorgung hat sich verbessert, und die erhoffte Entlastung durch eine zeitweise doppelte Personalstärke wurde erreicht (Jost und van Gellekom, 2024, S. 50–51).

Herausforderungen

Die Herausforderungen für das Modell der 4TW beziehen sich in erster Linie auf die Variante der Arbeitszeitverdichtung. Die Einführung einer 4TW stellt eine erhebliche Veränderung dar, die einen gut abgestimmten Umsetzungsprozess erfordert, um langfristige Verbesserungen zu erzielen. Andernfalls besteht die Gefahr einer Zunahme des Stressniveaus. Ohne eine Anpassung der bestehenden Strukturen und Arbeitsweisen kann es zu einem Systemschock kommen, der nicht bewältigt oder positiv gesteuert werden kann (Bühren et al., 2023, S. 110). Die Frage, ob Mitarbeitende zufriedener sind, wenn sie ihre Arbeitszeit an weniger Tagen leisten, lässt sich nicht pauschal beantworten, hängt von verschiedenen Faktoren ab und kann individuelle Unterschiede bergen. Die Art der Tätigkeit ist von entscheidender Bedeutung. Die Begeisterung für einen anspruchsvollen oder belastenden Job kann durch eine 10-stündige Arbeit an den Arbeitstagen nachlassen. Der Einfluss einer 4-Tage-Woche mit einer Arbeitszeitverdichtung auf die Zufriedenheit hängt maßgeblich von der individuellen Wahrnehmung der Mitarbeitenden sowie den jeweiligen Rahmenbedingungen ab. Daher ist zu hinterfragen, ob eine verpflichtende Umstellung auf dieses Modell für alle Mitarbeitenden eines Unternehmens tatsächlich zu einer Verbesserung der Zufriedenheit führen würde (Zander, 2023, S. 38).

Fazit und Ausblick

Die Realisierung der Vorzüge einer 4TW erfordert die Erfüllung spezifischer Voraussetzungen. Eine Anpassung der organisatorischen Strukturen ist erforderlich, da eine Beibehaltung der unveränderten Arbeitsmenge und Abläufe die positiven Effekte einer Arbeitszeitverkürzung gefährden könnte. Für eine erfolgreiche Umsetzung sind verbindliche Vertretungsregelungen, zusätzliches Personal sowie eine angepasste Arbeitsorganisation erforderlich. Letztere umfasst auch Regelungen zur Erreichbarkeit sowie zur reduzierten Arbeitslast durch Automatisierung. Der Einsatz digitaler Technologien eröffnet die Möglichkeit einer effizienteren Gestaltung von Arbeitsabläufen (Lott und Windscheid, 2023, S. 6). Die Weltgesundheitsorganisation hat bereits im Jahr 2021 eine Warnung herausgegeben und festgestellt, dass Überarbeitung jährlich über 745.000 Menschen das Leben kostet. Es ist daher erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um die Arbeitsbelastung in der Gesellschaft nachhaltig mit der Gesundheit in Einklang zu bringen (Bühren et al., 2023, S. 109).

Abbildungsverzeichnis

Titelbild: Bild von Ronald Carreño (Nutzername: RonaldCandonga) (2020). Verfügbar unter: https://pixabay.com/de/photos/arbeit-büro-team-geschäft-internet-5382501/.

Literaturverzeichnis

Arlinghaus, Anna; Vetter, Céline; Gärtner, Johannes (2024): Die 30-Stunden-Woche in der Praxis: Effekte einer Arbeitszeitverkürzung auf Gesundheit, Work-Life-Balance und Arbeitsorganisation. In: Z. Arb. Wiss. 78 (1), S. 66–77. DOI: 10.1007/s41449-023-00401-6 .

Bühren, Jan; Meier-Hahasvili, Nina; Meier, Carsten; Kalchthaler, Gregor (2023): Die Vier-Tage-Woche. In: Inka Knappertsbusch und Gerlind Wisskirchen (Hg.): Die Zukunft der Arbeit. New Work mit Flexibilität und Rechtssicherheit gestalten. Wiesbaden, Heidelberg: Springer Gabler, S. 107–113. DOI: 10.1007/978-3-658-42232-5_13.

Jost, Timo; van Gellekom, Henrik (2024): Im Test: Vier-Tage-Woche für Pflegekräfte. In: Heilberufe 76 (1), S. 50–52. DOI: 10.1007/s00058-023-3227-4.

Lott, Yvonne; Windscheid, Eike (2023): 4-Tage-Woche: Vorteile für Beschäftigte und betriebliche Voraussetzungen für verkürzte Arbeitszeiten. In: Policy Brief WSI (79).

Seiwert, Lothar; Sperling, Silvia (2020): Die Intervall-Woche. Arbeitest du noch, oder lebst du schon?: Der einfachste Weg zu NEW WORK. Originalausgabe. München: Knaur Balance.

Zander, Guido (2023): Wundermittel 4-Tage-Woche? Chancen, Risiken, Grenzen und flexible Alternativen. 1. Auflage. Freiburg, München, Stuttgart: Haufe Group. DOI: 10.34157/978-3-648-17511-8.

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