By Published On: 20. September 2024Categories: Psychologie

Einführung

Kennen Sie das? Sie steigen morgens Ihr Auto und fahren zur Arbeit. Den Weg könnten Sie im Schlaf aufzeigen. Jede Straße, jede Ampel ist Ihnen bekannt. Plötzlich bremst jemand vor Ihnen scharf ab. In letzter Sekunde können Sie die Bremse ausreichend drücken und entgehen einer Kollision. Wieso können wir einerseits so abwesend sein, im erforderlichen Moment aber dann die volle Aufmerksamkeit auf die mögliche Gefahrensituation lenken? Welches System kontrolliert unsere Gewohnheiten?

In diesem Beitrag soll es um Gewohnheiten und ihrem Gegenspieler, der Aufmerksamkeit, gehen. Es wird die Theorie des Supervisory Attentional System von Norman und Shallice (1986) erläutert.

Begriff der Gewohnheit

Im Normalfall sind für das Ausführen einer Handlung eine aktive Planung, kognitive Aktion und Aufmerksamkeit erforderlich. Dies gilt auch für spontane Handlungen, hierbei ist die Planung entsprechend kurz, aber dennoch vorhanden. Wiederholen wir Verhaltensweisen in einem gleichbleibenden Kontext, so wird die benötigte kognitive Leistung und Aufmerksamkeit immer geringer (Lally et al., 2010, S. 998). Diese schwindende bewusste Bearbeitung der Aufgabe setzt sich bis zur Automatisierung fort. Dann wird das Ausführen der Handlung in diesem speziellen Kontext als Gewohnheit bezeichnet. Gewohnheiten können im Alltag überall auftreten. So ist das Autofahren ein wichtiges Beispiel, denn ungleich zu anderen Tätigkeiten wie dem Zähneputzen können im Straßenverkehr durch mangelnde Aufmerksamkeit hohe Gefährdungen für die eigene Person oder Leib und Leben anderer genau wie Sachschäden entstehen. Zurück zum Beispiel der Gefahrenbremsung wie ist es nun möglich, dass dieser Reiz wahrgenommen wird? Schließlich beinhaltet unsere Gewohnheit, dass sich Verkehrsteilnehmer gegenseitig berücksichtigen und ein Bremsmanöver vorher durch Blinken oder das für alle erkennbare Rot einer Ampel angekündigt wird. Eine Gefahrenbremsung wurde aber in der Fahrschule in Grundzügen erklärt und geübt. Es existiert also ein Schema für den ausgangs erwähnten Reiz, aber es ist wird nicht alltäglich benötigt. Dies kann das Modell des Supervisory Attentional System (SAS) erklären.

Supervisory Attentional System (SAS) und Contentional Scheduling (CS)

Hierbei wird als Grundprinzip von  einer abgestuften Ordnung von Handlungsmustern ausgegangen, wobei höhere Handlungen jeweils mehrere einzelne niedrigere Handlungen auslösen können (Bak, 2020, S. 68). Das Ziel des Modells ist eine Erklärung für die verschiedenen Varianten der Handlung, die einerseits automatisiert, andererseits aber auch unter bewusster kognitiver Kontrolle ausgeführt werden kann. Ferner muss ein Entscheidungssystem für die prioritäre oder nachrangige Ausführung bei sich überschneidenden Handlungen vorhanden sein (Norman & Shallice, 1986, S. 3). Eine gut trainierte und mehrfach wiederholte Handlung kann automatisiert ausgeführt werden. Sie wird durch Reize (Trigger) ausgelöst und gilt als horizontaler kognitiver Prozess, da sich die einzelnen Handlungen untereinander auslösen und eine bewusste Kontrolle nicht erforderlich ist.

Der erste Kontrollmechanismus des Modells, Contention Scheduling (CS), ist dann eingesetzt, wenn sich mehrere Reize und damit Handlungsschemata überlagern. Dann ist eine gezielte Zulassung bestimmter Schemata und die Blockade anderer nötig, um eine Überlastung des Organismus und Gehirns zu vermeiden und zeitgleich eine suffiziente Ausführung der Handlung zu gewährleisten. Die Sortierung folgt einer Art Effektstärke, die sich aus mehreren Faktoren zusammensetzt, z.B. der Übereinstimmung mit dem auslösenden Reiz. Das Schema wird ausgewählt, wenn die Effektstärke einen kritischen Punkt übersteigt und beibehalten, bis sich diese Stärke ändert oder das Schema abgearbeitet ist. Zu beachten ist aber, dass dieser Kontrollmechanismus ebenfalls weitgehend unbewusst wirkt (Norman & Shallice, 1986, S. 3–5).

Der zweite Kontrollmechanismus ist das Supervisory Attentional System (SAS). Die Aktivierung dieses Systems kann durch fünf Faktoren ausgelöst werden: Erforderlichkeit einer Planung oder Entscheidung, Erforderlichkeit von Fehlerlösungen, ungewohnte oder neue Handlungen, erwartete Komplexität oder erhöhtes Gefahrenpotential oder das Überwinden einer anderen Gewohnheit oder eines Reizes. Zum erfolgreichen Ausführen der Handlung ist dann kognitive Kontrolle nötig, um ein passendes Schema auszuwählen (vertikales Verfahren). Das SAS nimmt Einfluss auf die Auswahl des CS, das parallel weiterhin aktiv ist, indem es die  Effektstärke bestimmter, gewünschter Schemata zeitweise erhöht oder die unerwünschter abmildert (Norman & Shallice, 1986, S. 2,6).

Die folgende Darstellung (Abb.1) zeigt einen beispielhaften Ablauf. Der Reiz ist soweit unbekannt, als dass kein unmittelbar passendes Schema gewählt werden kann. Durch den kognitiven Einfluss des SAS erfolgt eine Priorisierung von Schema 02, sodass dies durch das CS als erstes aktiviert wird:

Abbildung 1: Das komplette System (eigene Darstellung nach Norman & Shallice, 1986, S. 7)
Abbildung 1: Das komplette System (eigene Darstellung nach Norman & Shallice, 1986, S. 7)

Die Annahme, dass das SAS die Handlung direkt kontrolliert, lehnen die Autoren ab und begründen sie damit, dass kognitive Verarbeitung zu langsam ist, um die Handlung direkt kontrolliert durchzuführen. Außerdem spricht gegen die Annahme, dass trotz der Aktivierung des SAS immer noch ein anderes Schema priorisiert ausgeführt werden kann. Dennoch sehen sie die kognitive Verarbeitung als einen bewussten und willentlichen Prozess an (Norman & Shallice, 1986, S. 9–10, 13).

Das Zusammenspiel dieser beiden Mechanismen sorgt also dafür, dass wir adäquat handeln können. Je mehr wir eine Situation beherrschen, passende Schemata verbessert und die Fähigkeiten trainiert haben, desto weniger kognitiver Einfluss durch das SAS ist notwendig. Im Eingangsbeispiel wurde auf das Autofahren eingegangen. Dies ist eine Tätigkeit, die die meisten von uns sicherlich seit Jahren mehrmals die Woche oder sogar täglich ausführen. Das Schema „Autofahren“ ist verbunden mit zig untergeordneten Handlungen, wie dem Lenken, Blinken, Gangwahl, Bremsen, Beschleunigen etc. Das richtige Verhalten bei einer Gefahrenbremsung wurde in der Fahrschule geübt. Die Reizverknüpfung „Vordermann bremst- Gefahrenbremsung“ ist also ein Schema, was existiert. Es passt aber nicht auf die alltäglichen Reize des Autofahrens, daher wird es vom CS nicht prioritär behandelt. Kommt es nun zu dieser Situation, greift das SAS ein und erhöht die Effektstärke dieses Schemas, sodass das CS abweichend von der normalen Bremsung nun das Schema „Gefahrenbremsung“ priorisiert und so die korrekte Handlung eingeleitet wird.

Diskussion und Fazit

Was lässt sich daraus für ein Schluss ziehen? Wird eine Gefahrensituation möglichst realistisch trainiert, so kann die Aktivierung des SAS unter Umständen unnötig werden, da auch die unbewusste Verknüpfung des Reizes mit dem passenden Schema ausreichend stark ist. Dies ist vorteilhaft, weil das SAS wie beschrieben ein langsameres Verfahren als das CS ist und somit in Notsituationen zwar eine richtige Handlung moderieren kann, aber diese Handlung durch intensive Reiz-Situation-Verknüpfung mittels Training auch durch das CS schon deutlich schneller ausgewählt werden könnte.

Fraglich ist allerdings, ob sich durch das Aneignen von theoretischem Wissen auch die Eingriffsrichtung des SAS ändern lassen könnte. Wie beschrieben, handelt es sich hierbei um einen bewussten höheren kognitiven Prozess. Lernte eine Person beispielsweise, dass das Ausweichen in der Ausgangssituation eine höhere Erfolgschance als die Gefahrenbremsung hat, wäre es möglich dieses unlogisch wirkende Schema über die Gefahrenbremsung zu priorisieren? Andererseits könnten auch bei Aktion des SAS weiterhin unbewusste Prozesse einen Anteil der Entscheidung ausmachen. Dies wäre ein wichtiger Forschungsansatz.

Abkürzungsverzeichnis

CS  Contention Scheduling

SAS  Supervisory Attentional System

Literaturverzeichnis

Bak, P. M. (2020). Wahrnehmung, Gedächtnis, Sprache, Denken. Angewandte Psychologie Kompakt. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61775-5

Lally, P., van Jaarsveld, C. H. M., Potts, H. W. W. & Wardle, J. (2010). How are Habits formed: Modelling Habit Formation in the real World. European Journal of Social Psychology, 40(6), 998–1009. https://doi.org/10.1002/ejsp.674

Norman, D. A. & Shallice, T. (1986). Attention to Action: Willed and Automatic Control of Behavior. In R. J. Davidson, G. E. Schwartz & D. Shapiro (Hrsg.), Consciousness and Self-Regulation: Advances in Research and Theory Volume 4. Springer US.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das komplette System (eigene Darstellung nach Norman & Shallice, 1986, S. 7)

Beitragsbild: Altmann, G. (2016). Pixabay.com. Abgerufen am 04.09.2024. https://pixabay.com/illustrations/banner-header-attention-caution-1165979/

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