Wer bei Hypnose an Jahrmarkts-Vorführungen aus dem letzten Jahrhundert denkt, der kann sich hier eines Besseren belehren lassen. Wobei ‚belehren‘ nicht das richtige Wort für dieses informative, unterhaltsame und erfrischend undogmatische Buch ist. ‚Entdecken‘ passt vielleicht eher. Wer also Lust hat, etwas über die Hypnose und Hypnotherapie zu entdecken, der ist hier genau richtig.
Ich gebe zu, dass mir eine gewisse Skepsis gegenüber der Hypnose zu eigen ist. Das war auch einer der Gründe, mir das Buch von Björn Migge „Hypnose und Hypnotherapie – Grundlagen und Praxis für Coaching und Kurzzeittherapie“ zu kaufen und mich einmal ausführlicher damit zu beschäftigen. Das Buch, 2018 im Beltz Verlag erschienen, erwies sich als angenehmer Reisebegleiter durch die Welt der Hypnose und hilfreiche Anleitung. Um es vorwegzunehmen, ich glaube zwar immer noch nicht, dass die Hypnotherapie für mich der passende Ansatz ist, aber ich habe viel über die Mechanismen, meine Vorurteile und die Möglichkeiten der Hypnose gelernt.
Die undogmatische Haltung und der flüssige Stil des Autors helfen gerade Zweiflern wie mir beim Einstieg in das Thema. Björn Migge möchte, dass die Anwendenden der Hypnotherapie ihren Klientinnen und Klienten die Wirkmechanismen erklären und so Vorurteile abbauen können. Denn das verständliche Mitnehmen der potenziellen Kandidaten auf dem Weg zu ihrem Trance-Zustand ist ihm ein wichtiges Anliegen. Nur in der Einleitung versteigt sich der Autor zu der Aussage, dass „die Heilkraft der Psychotherapie durch Elemente der Hypnose oder Hypnotherapie nahezu verdoppelt (werden) und außerdem wesentlich länger (halten).“[1] Wissenschaftlich fundiert ist diese Aussage nicht. Die Belege für diese Aussage, die im Buch angeführt werden, stammen von den Vertretern der unterschiedlichen Hypnoseschulen, von denen Migge selbst schreibt, „dass sie unterschiedliche Arbeitsmodelle verwenden und jeweils nach Hinweisen suchen, die ihr Modell bestätigen, mögliche gegensätzliche Informationen als eher unbedeutend einstufen.“[2]
Was ist Hypnose?
Hypnose ist nach Migge immer Selbsthypnose, bei der die Erwartungen der zu hypnotisierenden Person bedeutsam sind. Auch die Fokussierung der Aufmerksamkeit ist eine Grundvoraussetzung für die Hypnose.[3] Das bedeutet andersherum: wer nicht in Hypnose gehen will, der wird diesen Zustand auch nicht erreichen. Daraus den Rückschluss zu ziehen, dass ‚willensschwache‘ Menschen leicht zu hypnotisieren sind, bezeichnet Migge als eines der gängigen Vorurteile, mit denen die Hypnose vor allem durch die Show-Darbietungen zu kämpfen hat. Der Autor empfiehlt, in einem Vorgespräch und zur Einstimmung einer Hypnotherapiesitzung immer auf die möglichen Vorurteile des oder der Klientin einzugehen und Fragen zu beantworten.
Teil 1 und 2 Überblick und Geschichte der Hypnose
Teil 1 dient dem Überblick und der Einstimmung mit einem Versuch der Definition von Hypnose als soziales Phänomen, als ‚Placebo mit Zusatzkraft‘ oder als selbst-induzierter Trancezustand.
Teil 2 geht auf die Geschichte der Hypnose ein, die Migge beim Dämonenaustreiben zu Beginn unserer Zeitrechnung beginnen lässt und über den Mesmerischen Magnetismus des 18. Jahrhunderts fortsetzt bis zu den Ideen, dass der Hypnotiseur über eine besondere Begabung verfügt, die in Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Vorstellungen der damaligen Zeit zu einem autoritären Hypnosestil führte.
Heutige Klienten lassen sich so etwas nicht mehr gern gefallen. Die Zeiten haben sich geändert und die entsprechenden Vorstellungen zur Hypnose auch. Nun gehen wir davon aus, dass Hypnose eine angeleitete Selbsthypnose ist und in der Kraft der Klienten liegt. (Migge, B. S. 66)
Dann folgen im Teil 2 kurze Darstellungen der populären Hypnoseschulen, die im weiteren Verlauf des Buches teilweise vertieft werden. Damit kann man sich nach der Lektüre des Buches „Hypnose und Hypnotherapie“ ein Bild machen, welche der zahlreichen Hypnotherapie-Schulen, die es in Deutschland gibt, man eventuell einmal selbst ausprobieren möchte. Denn so hilfreich und praxisbezogen so ein Buch auch sein mag, es kann nicht die eigene Erfahrung und die praktische Übung ersetzen.
Teil 3 Hintergrundwissen und Hypnose
Teil 3 des Buches erläutert Hintergrundwissen zur Hypnose. Dabei geht es sowohl um die (neuro-)biologischen Grundlagen, die psychologische Einordnung oder die Zeichen der Hypnosetiefe. Die interessante Frage, ob jeder Mensch hypnotisierbar ist, beantwortet der Autor erst ausweichend mit der Gegenfrage, was eigentlich unter ‚Hypnotisierbarkeit‘ zu verstehen ist. Migge beschreibt als einordnenden Rahmen die gängigen Tests zur Messung der Hypnose wie die Stanford Scales of Hypnotic Susceptibility oder das Hypnotic Induction Profile.[4]
Dann lässt sich Migge mit dem Zitat, dass „80 Prozent aller Menschen in einem bis zu vier Versuchen hypnotisierbar sind und weitere zehn Prozent, wenn man mit ihnen Hemmnisse bespricht,“[5] doch auf eine Aussage zur Hypnotisierbarkeit ein. An anderer Stelle betont Migge, dass in der ersten Stunde etwa zehn bis 20 Prozent ohne spezielle Vorbereitung oder Einstimmung in eine sehr tiefe Hypnose gehen können. Wissenschaftliche Bestätigungen lassen sich dazu allerdings nicht finden.
Teil 4 Die Hypnosepraxis
Teil 4 des Buches ist dann ganz der Hypnosepraxis gewidmet. (S. 171-396) Migge räumt der Diskussion über die richtige Art der Suggestion viel Platz ein. Seiner Haltung: vor allem die verschiedenen Ansätze zu beschreiben, die ‚Für und Wider‘ darzustellen, damit sich der Lesende selbst ein Urteil bilden kann, enthält er sich einer klaren Stellungnahme, ob die direkte Anweisung oder die indirekten Hinweise für die Induktion der richtige Weg sind. Die verschiedenen Arten der Einleitung der Hypnose werden dargestellt verbunden mit Anleitungen, es als Selbstimagination einmal auszuprobieren. Dabei bringt es Migge auf die prägnante Formel:
Aufmerksamkeitsbindung + Erwartung + Glaube = Hypnose (Migge, B. S. 291)
Mehrfache Aufmerksamkeitsbindung + Erwartungsdruck + Glaube (etwas Besonders wird passieren) + Erschrecken + nachfolgend sofortiges ‚Zutexten mit Suggestionen‘ = Blitzhypnose (Migge, B. S. 291)
Nach der Vertiefung- und Stabilisierungsphase der Hypnose kann das Problem erkundet werden, positive Veränderung angestoßen oder eine Ich-Stärkung eingeleitet werden. Zumindest sind das die von Migge beschriebenen Schritte. Dann folgen die Ausleitung und Rücknahme der Hypnose. All diese Phasen werden vom Autor anhand der verschiedenen Schulen und Ansätze übersichtlich und nachvollziehbar dargestellt.
Teil 5 Regression und Arbeit mit inneren Teilen
Im letzten Teil geht es um die Regression und die Arbeit mit den inneren Teilen also Verfahrenstechniken, die geschulten Anwendenden der Hypnotherapie vorbehalten sein sollten.
Regressionsarbeit ist ein sehr komplexes Vorgehen, das viel Erfahrung in Hypnose, im (biografischen) Coaching oder der Therapie voraussetzt. Daher stellt sie kein Anfängerwerkzeug dar. (Migge, B. S. 401)
Neben der Regression wird auch die Vergebungsarbeit in der Gestalthypnose erläutert. Teilearbeit in der Hypnotherapie sollte nach Ansicht von Migge zur Anwendung kommen, damit Klienten ungelöste innere Konflikte wahrnehmen können.[6]
Fazit
Die konkreten Tipps, Literatur- und Quellenverweise ziehen sich durch die gesamten 461 Seiten des Buches und machen es zusammen mit den Übungen, Zusammenfassungen und zahlreichen Online-Materialen auch für den möglichen Anwendenden zu einem wichtigen Hilfsmittel und Nachschlagewerk. Die verschiedenen Herangehensweisen werden neutral und ausführlich dargestellt. Dabei streicht der Autor seine Grundhaltung immer wieder heraus, dass die Wertschätzung des oder der Klientin und die positive Unterstützung beim Erkunden der eigenen Fähigkeiten im Vordergrund stehen sollen.
[1] Migge, B. (2018) S.11
[2] Migge, B. (2018) S.98
[3] Migge, B. (2018) S.40
[4] Migge, B. (2018) S.139
[5] Migge, B. (2018) S.137
[6] Migge, B. (2018) S.436
Literatur und Quellen
Migge, B. (2018) Hypnose und Hypnotherapie Weinheim: Beltz
Beitragsbild: pixabay von geralt unter https://pixabay.com/de/photos/hypnose-uhr-taschenuhr-pendel-4041583/
Abbildung 1: Buch-Cover Hypnose und Hypnotherapie fotografiert von Peter Kujath
Abbildung 2: Auszug aus der Liste der Fragen und Vorurteile zur Hypnose (Migge, B. S. 184)
Abbildung 3: Hypnose Kreis pixabay abgerufen unter https://pixabay.com/de/vectors/hypnose-kreise-konturparalleles-155853/