Im Beitrag „Eine 1? Glück gehabt! – Das Impostor-Syndrom (Teil 1)“ wurde das Impostor-Syndrom erläutert und mögliche Auswirkungen dargestellt. In diesem Beitrag wird gezeigt, wie es entstehen kann, welche Unterschiede Männer und Frauen bezüglich des Syndroms aufweisen. Abschließend werden Möglichkeiten vorgestellt, die helfen können, das Impostor-Syndrom in den Griff zu kriegen.
Wie entsteht das Impostor-Syndrom?
Bestimmten Familienkonstellationen können das Impostor-Syndrom verursachen (Klinkhammer & Sauk-Soprun, 2009, S. 166). Anhand der von Clance und Imes untersuchten Frauen ließen sich zwei Gruppen identifizieren. In der ersten Gruppe wurde der Betroffenen die Eigenschaft „sozial“ zugeschrieben, einer anderen nahestehenden Person „intelligent“. Erstere versuchte durch gute Leistungen ebenfalls als intelligent anerkannt zu werden. Dies führte zu einem erlebten Widerspruch von Eigenwahrnehmung und Fremdsicht, was schließlich im Impostor-Syndrom resultiert. Personen der zweiten Gruppe wurden in dem Glauben erzogen, sie seien besser als alle anderen und könnten alles erreichen, wenn sie nur wollen. Dies steht im Widerspruch zur kindlichen Erfahrung, dass manche Ziele schwierig zu erreichen sind. Lob von den Eltern scheint nicht an echte Leistungen gekoppelt. Sie erlebten, dass Intelligenz bedeutet, Anforderungen mühelos perfekt zu erfüllen. Dies schafft Selbstzweifel, die nicht mehr durch positive Rückmeldungen korrigierbar sein. Häufig werden diese durch gesellschaftliche Stereotype, z. B. Frauen sind intellektuell schwächer als Männer, verstärkt. Das Beweisen der eigenen Fähigkeiten wird so zu einem Kampf gegen das eigene Selbstbild und gegen die gesellschaftlichen Vorurteile (Anderl, 2019, S. 25-26). Kinder möchten bedingungslos von ihren Eltern geliebt werden. Erleben sie barsche Kritik, Kälte oder Gleichgültigkeit, lernen sie hingegen, dass diese Liebe an Bedingungen, z. B. Leistungen, geknüpft ist. Als Folge kann das Kind eine unsichere Bindung entwickeln oder sich selbst als minderwertig wahrnehmen, sodass es denkt, es hätte diese Behandlung verdient. Dies kann Menschen bis ins Erwachsenenalter beeinträchtigen (Cadoche & de Montarlot, 2021).
Unterschiede bei Mann und Frau
Männer und Frauen erleben schwierige Übergangsphasen oder ein schwieriges Elternhaus gleichermaßen im Leben. Allerdings scheinen Frauen mehr unter Stereotypen und spezifischen Anforderungen zu leiden. Die Kombination aus familiären, kulturellen, sozialen und historischen Faktoren begründet ihr geringes Selbstwertgefühl. In patriarchalen Strukturen wird bzw. wurde Schwäche gewissermaßen anerzogen. Trotz vieler Änderungen in den letzten fünfzig Jahren zeigt dies noch immer Einfluss. Die Gesellschaft zeigt hohe, teils widersprüchliche Ansprüche an Frauen. Dies führt dazu, dass Frauen das Gefühl bekommen, nicht gut genug zu sein, so wie sie sind. Untersuchungen zeigten, dass Frauen dazu neigen die eigenen Fähigkeiten zu unterschätzen, vor allem in Bereichen, in denen sie als „weniger gut“ gelten, beispielsweise in Naturwissenschaften. Männer hingegen neigen tendenziell zur Überschätzung. Ebenso werden Misserfolge und Erfolge unterschiedlich wahrgenommen. Nach einer schwierigen Prüfung denken Mädchen eher, es ist ihre Schuld, wenn sie nicht bestehen, sie sind nicht begabt genug oder haben zu wenig gelernt. Sie beziehen den Misserfolg auf persönliche Eigenschaften. Jungen hingegen begründen ein Durchfallen damit, dass die Prüfung zu schwer war oder die Lehrkraft zu streng, sie ziehen externe Faktoren heran. Umgekehrt ist es, wenn die Prüfung gut verläuft: Mädchen erklären sich dies mit äußeren Gründen, wie Glück oder Zufall, Jungen hingegen mit ihrer persönlichen Stärke (Cadoche & de Montarlot, 2021).
Was hilft im Umgang mit dem Impostor-Syndrom?
Das Impostor-Syndrom lässt sich nicht so leicht loswerden, aber es ist in den Griff zu kriegen. Hilfreich ist es, falsche Bilder von sich selbst zu hinterfragen und negative Glaubenssätze der Kindheit aufzuarbeiten. Außerdem ist es wichtig, eigene Erfolge anzuerkennen. Ein erster Schritt kann das Annehmen von Komplimenten sein. Ebenso ist es sinnvoll, Fortschritte und Erfolge schriftlich festzuhalten, so lassen sich positive Aspekte in „Impostor -Momenten“ nochmals vor Augen führen. Es gilt, den Perfektionismus hinter sich zu lassen und die Einstellung gegenüber Fehlern zu ändern. Misserfolge gehören zum Alltag und sind kein Zeichen von Unfähigkeit. Durch Fehler lernen wir. Das Auseinandersetzen mit eigenen Schwächen ist sinnvoll, so werden diese überwindbar, man kann daran wachsen und das eigene Potenzial ausschöpfen. Auch die Einstellung „Fake it till you make it“, was so viel bedeutet wie „Tu so als ob, bis du es kannst“ kann hilfreich sein: durch gespieltes Selbstvertrauen sollen Menschen echtes Selbstvertrauen erlangen. Denn: Menschen mit selbstbewusster Ausstrahlung können sich besser behaupten und erhalten eher Anerkennung von Mitmenschen (Cadoche & de Montarlot, 2021).
Schröder (2022) empfiehlt Folgendes, um das Impostor-Syndrom zu überwinden (s. 36-37):
- Austauschen: es ist hilfreich, sich mit anderen auszutauschen. In Gesprächen kann sich schnell herausstellen, dass Personen, die man selbst für kompetent hält, ebenfalls an dem Syndrom leiden. Findet ein Austausch in der Gruppe statt, verringert sich das eigene Problem ebenso wie das Gefühl der Andersartigkeit.
- Aufschreiben: es kann hilfreich sein, die eigenen Erfolge, erhaltene Komplimente oder positives Feedback schriftlich festzuhalten, um den Selbstwert zu unterstützen, um so das Impostor-Syndrom zu erkennen.
- Reinlehnen: das Impostor-Syndrom annehmen, anstatt verdrängen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Die vermeintlich negativen Eigenschaften können zur Motivation beitragen, für eine persönliche Weiterentwicklung.
- Coaching: eine professionelle Zusammenarbeit kann unterstützen, die eigenen Fähigkeiten besser einzuordnen.
Auch der Lauf der Zeit trägt seinen Teil bei. Menschen gewinnen mit steigendem Alter an Selbstsicherheit (Schröder, 2022, S. 37). Mit zunehmenden Alter lösen sich Frauen mehr und mehr von den Erwartungen anderer und lernen sich besser kennen. Etwa im Alter von 60 Jahren ist das Selbstvertrauen am größten (Cadoche & de Montarlot, 2021).
Fazit
Wenn Selbstzweifel Überhand nehmen, kann dies einen starken Leidensdruck verursachen. Die Ursachen hierfür sind komplex und können bis in die Kindheit reichen. Betroffene können sich durch das Syndrom im Privatleben und Arbeitsalltag selbst sabotieren. Es gibt Methoden, um den Umgang mit dem Impostor-Syndrom im Alltag zu erleichtern, denn: „Wichtig ist, sich nicht mehr von der Wertung anderer Menschen abhängig zu machen. Vielmehr darf man sich schlichtweg selbst viel wert sein“ (IKK classic, o. D.).
Literatur
Cadoche, É. & de Montarlot, A. (2021). Versagensängste. Die Selbstzweifel überwinden. Spektrum. Verfügbar unter https://www.spektrum.de/news/impostor-syndrom-die-selbstzweifel-ueberwinden/1958821
IKK classic (o. D.). Hochstapler-Syndrom: ist das mein Verdienst oder hatte ich einfach Glück? IKK classic. Verfübar unter https://www.ikk-classic.de/gesund-machen/arbeiten/hochstapler-syndrom
Schröder, T. (2022). Hochsensibilität – Jobchance oder Karrierekiller in der VUCA-Welt. Wiesbaden: Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37987-2
Titelbild
Foto von Andrea Piacquadio: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-im-roten-t-shirt-das-ihren-laptop-betrachtet-3755761/