Zu Beginn standen viele erfahrene Psychotherapeuten und Ärzte der neuen Therapiemethode EMDR sehr kritisch gegenüber und hielten sie zum Teil sogar für Hokuspokus (Müller-Jung, 2018). Das aus dem Englischen stammende Akronym EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ und wurde 1988 von der amerikanischen Psychologin Francine Shapiro mit dem Ziel entwickelt belastende Erinnerungen mittels bilateraler Stimulation der Augen zu behandeln (Münker-Kramer, 2017, S.31). Die Idee dazu kam Shapiro während eines Spazierganges im Park, bei dem sie bemerkte, dass spontane Augenbewegungen zu einer Entlastung ihrer eigenen Angstgefühle und depressiven Gedanken führten (McNally, 1999, S.227). Für Aufsehen sorgte das revolutionäre Verfahren in den folgenden Jahren vor allem wegen des Erreichens von Erfolgen in kurzer Zeit bei posttraumatischen Störungen und bei traumatisch bedingten Phobien (Eschenröder, 2015, S.131).
Durchführung der EMDR-Behandlung
Grundsätzlich gliedert sich die EMDR-Behandlung in acht Phasen und folgt dabei einem standardisierten Protokoll (Horst, 2015, S.8).
- Phase 1: Anamnese. Dabei wird evaluiert, ob EMDR eine geeignete Behandlungsmethode ist und welche Ziele erreicht werden sollen (Eschenröder, 2015, S.132).
- Phase 2: Vorbereitung. Das Verfahren wird erklärt und die geeignete Art der Augenbewegung wird mit dem Patienten geübt. Zudem wird ein Stopp-Zeichen vereinbart, falls der Patient die Stimulation beenden möchte (Eschenröder, 2015, S.132).
- Phase 3: Bewertung des Traumas. Traumatisch-belastendes Material wird systematisch erfragt, die damit verbunden Kognitionen, Emotionen und Körperempfindungen werden exploriert. Auch schätzt der Patient die Stärke der negativen Gefühle auf einer Skala der subjektiven Belastung ein, wobei am Ende eine positive Kognition herausgearbeitet wird, wie der Patient die Situation gerne betrachten möchte (Eschenröder, 2015, S.132).
- Phase 4: Desensibilisierung und Prozessieren. In dieser Phase wird eine ausgewählte traumatische Erinnerung bearbeitet, indem diese mit schnellen horizontalen Augenbewegungen gekoppelt wird. Dabei folgt der Patient mit seinen Augen dem Finger des Therapeuten, der diesen einmal pro Sekunde hin- und zurückbewegt, wobei ein Set aus 20-30 Augenbewegungen besteht (Horst, 2015, S.8-9).
- Phase 5: Nach dem Abklingen der negativen Emotionen wird die in Phase 3 erwähnte positive Kognition mit der Vorstellung des belastenden Ereignisses gekoppelt und eine erneute Stimulationsserie durchgeführt, bis die gefühlsmäßige Glaubwürdigkeit des Gedankens ansteigt (Eschenröder, 2015, S.133).
- Phase 6: Körperscan. Hierbei werden Hinweise auf ggf. in der nächsten Sitzung zu bearbeitende Aspekte gesammelt (Horst, 2015, S.9).
- Phase 7: Abschluss. Diese Phase dient dazu, den Patienten wieder in einen Zustand des seelischen Gleichgewichts zu bringen, z.B. durch Entspannungsübungen (Eschenröder, 2015, S.133).
- Phase 8: Nachbefragung. Der Patient erhält Hinweise, wie er verfahren kann, wenn es bis zur nächsten Sitzung zu Belastungen kommt (Horst, 2015, S.9).
Wie wirkt EMDR?
Die klinische Wirksamkeit von EMDR ist heutzutage unumstritten und wird von Behörden und Fachgesellschaften anerkannt, jedoch ist der konkrete Wirkmechanismus immer wieder der Gegenstand von Diskussionen, wobei jedoch beachtet werden sollte, dass es sich bei EMDR um eine Zufallsentdeckung handelt und nicht um ein designtes Therapiemodell. Eine Theorie zu EMDR besagt, dass die Wirkung auf doppelt fokussierter Aufmerksamkeit beruht, wobei einzuwenden ist, dass Ablenkung alleine nicht für eine Auflösung eines Traumas sorgen kann (vgl. Kreyer, 2008, S.102). Auch gehen verschiedene Forscher davon aus, dass es sich bei EMDR nur um eine Variante der Expositionstherapie handelt, allerdings sind bei dieser Form langfristigere Konfrontationen mit dem angstauslösenden Stimulus notwendig (vgl. Rogers & Silver, 2002, S.55-56). Dass EMDR auf Grund der Augenbewegungen mit Hypnose gleichgesetzt werden kann, konnte in EEG-Studien wiederlegt werden (Kreyer, 2008, S.81). Der genaue Wirkmechanismus ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt, neuere Ansätze gehen jedoch davon aus, dass der Effekt von EMDR auf der Ähnlichkeit zum REM-Schlaf basiert, der dazu beiträgt, dass Emotionen verarbeitet werden können (vgl. Hase, Balmaceda & Hofmann, 2015, S.45).
Diskussion
Insgesamt kann EMDR einen wichtigen Beitrag zur Therapie von posttraumatischen Belastungsstörungen leisten und wird von der Weltgesundheitsorganisation als eine von zwei Behandlungsmethoden empfohlen, weshalb die gesetzlichen Krankenkassen seit 2015 die Kosten für das EMDR-Verfahren übernehmen (Poelchau, 2015). Allerdings wird das Verfahren auch immer wieder kritisiert, u.a. dafür, dass sich unter den 1570 zertifizierten EMDR-Therapeuten in Deutschland kein einziger Hochschullehrer befindet, weshalb es schwierig sein kann, Studien zu diesem Thema durchzuführen (Richter, Seidler & Wagner, 2019, S.248). Zudem steht auch die zeit- und kostenintensive Ausbildung immer wieder in der Kritik
Literatur
Eschenröder, C. (2015) Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR). In: Linden, M., & Hautzinger, M. (Hrsg.) Verhaltenstherapiemanual. Psychotherapie: Praxis. Springer, Berlin, Heidelberg
Hase, M., Balmaceda, U. M., & Hofmann, A. (2015). EMDR—jenseits der Psychotraumatherapie. DNP-Der Neurologe und Psychiater, 16(3), S.44-49
Horst, H. J. (2015). Bilaterale visuelle Stimulation beim Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR): Experimentelle Überprüfung der Effekte dreier Zielreizgeschwindigkeiten auf kortikale Parameter. Ein Beitrag zur psychotherapeutischen Grundlagenforschung. Dissertation. Köln: Universität Köln
Kreyer, A. K. (2008). Experimentelle Überprüfung psychophysiologischer Prozesse im EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) Ein Beitrag zur psychotherapeutischen Grundlagenforschung. Dissertation. Köln: Universität Köln
McNally, R. J. (1999). EMDR and Mesmerism: A comparative historical analysis. Journal of anxiety disorders, 13(1-2), S.225-236
Müller-Jung, J. (2018). Wie Therapeuten mit den Händen heilen. Frankfurter Allgemeine Zeitung Online. Verfügbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/psychotherapie-die-augen-koennen-angst-und-schmerz-ausblenden-15774477.html Zugriff am 27.11.2020
Münker-Kramer, E. (2017). EMDR–Entwicklung, Praxis und Veränderung. Psychotherapie Forum 22(1-2), S.31-37
Poelchau, N. (2015). Traumatherapie EMDR – Hokuspokus oder hilfreich bei chronischen Schmerzen? Stern Online. Verfügbar unter: https://www.stern.de/gesundheit/emdr-bei-trauma-oder-schmerz–hilft-die-therapie–6603374.html Zugriff am 27.11.2020
Richter, A. K., Seidler, G. H., & Wagner, F. E. (2019). EMDR in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Trauma & Gewalt, 13(3), S.248-260
Rogers, S., & Silver, S. M. (2002). Is EMDR an exposure therapy? A review of trauma protocols. Journal of Clinical Psychology, 58(1), S.43-59
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