Auch Unternehmen haben Persönlichkeit
Unternehmen stehen seit eh und je vor der Herausforderung geeignetes und zum Unternehmen passendes Personal zu finden. Dabei ist längst nicht nur spezifisches Fachwissen ein wichtiges Auswahl-kriterium. Die besten Informatikkenntnisse helfen wenig beim zwischenmenschlichen Miteinander: in Kommunikations- oder Projektsituationen können „schwierige“ Kollegen mitunter zum „System-Error“ führen. Deshalb ist es für Unternehmen wichtig, die Bewerber herauszufiltern, die auch hinsichtlich ihrer Persönlichkeit am besten für die zu besetzende Stelle geeignet sind. De Vries, Gerpott und Engelsberger bemängeln jedoch, dass Unternehmen in der Praxis allerdings kaum berücksichtigen „welche Persönlichkeitsmerkmale sie als Arbeitgebermarke auszeichnet.“ (de Vries et al. 2017, S. 74), denn auch Unternehmen heben sich als Arbeitgeber durch unterschiedliche Persönlichkeitszüge hervor. Indem z.B. Sportartikelhersteller nach außen einen lebhaften, bunten Arbeitsplatz präsentieren, an dem Leidenschaft und Enthusiasmus gelebt werden, positionieren sie sich als extrovertiert.
Die Autoren gingen daher in einer Studie den Fragen nach, was eine hohe Übereinstimmung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerpersönlichkeit bringt, welche Persönlichkeitsmerkmale besonders wichtig sind für die Zufriedenheit der Mitarbeiter und wie Unternehmen dieses Wissen für die Veränderung ihres Rekrutierungsprozesses nutzen können. Dazu bedienten sie sich einem gut geeignetem Instrument zur Erfassung von Persönlichkeitsfaktoren: dem HEXACO-Modell von Ashton und Lee (de Vries et al. 2017, S. 74).
Die HEXACO-Persönlichkeitsfaktoren
Grundlage des Modells sind die „Big Five“ von Costa und McCrae. Sie stehen für fünf Dimensionen mit denen sich Persönlichkeit beschreiben lässt: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen. Menschen unterscheiden sich innerhalb dieser Dimensionen durch unterschiedliche Ausprägungen, so kann eine große Bandbreite von individuellem, menschlichem Erleben und Verhalten dargestellt werden (Asendorpf 2019, S. 70).
Beim HEXACO-Modell wird Neurotizismus durch das verwandte Konstrukt der Emotionalität ausgewechselt und als sechste Dimension „Ehrlichkeit/ Bescheidenheit“ hinzugefügt. (Schaumlöffel et al. 2018, S. 73) Außerdem werden im HEXACO-Modell die einzelnen Dimensionen in jeweils vier weitere Unterfacetten unterteilt.
Facetten der Dimension Ehrlichkeit/Bescheidenheit:
- Aufrichtigkeit, Fairness, materielle Genügsamkeit und allgemeine Genügsamkeit
Menschen mit niedrigen Werten neigen dazu, andere möglichst zur Verfolgung der eigenen Interessen einzusetzen. Sie sind eher opportunistisch veranlagt, anfälliger für Bestechung und Korruption und stellen ihre Bedeutsamkeit häufiger über andere (Schaumlöffel et al. 2018, S. 73). Auf Unternehmen bezogen heißt das, dass Firmen mit einer hohen Ausprägung Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit attestiert wird (de Vries et al. 2017, S. 73).
Die Facetten der Dimension Extraversion:
- Soziales Selbstvertrauen, Soziale Kühnheit, Geselligkeit und Lebhaftigkeit
Menschen mit hohen Werten sind gesellig, aktiv und optimistisch. In zwischenmenschlichen Situationen agieren sie selbstbewusst und initiativ (Schaumlöffel et al. 2018, S. 74). Unternehmen mit einer hohen Ausprägung stehen für ein freundliches Miteinander und Leidenschaft (de Vries et al. 2017, S. 73).
Die Facetten der Dimension Gewissenhaftigkeit:
- Organisiertheit, Fleiß, Perfektionismus und Besonnenheit
Menschen mit hohen Werten sind ordnungsliebend, diszipliniert und detailorientiert. Sie treffen Entscheidungen überlegt und legen Wert auf Genauigkeit (Schaumlöffel et al. 2018, S. 75–76). Sie haben eine hohe Arbeitsmoral und sind bereit sich anzustrengen. Menschen mit niedrigen Werten haben wenig Selbstdisziplin, vermeiden schwierige Aufgaben, sind mit fehlerbehafteter Arbeit zufrieden und treffen wenig reflektierte Entscheidungen (Ashton & Lee).
Unternehmen mit einer hohen Ausprägung werden mit Qualität und Sorgfalt assoziiert (de Vries et al. 2017, S. 73).
Die Facetten der Dimension Offenheit für Erfahrungen:
- Sinn für Ästhetik, Wissbegierigkeit, Kreativität und Unkonventionalität
Menschen mit hohen Werten sind Schönes und Kunst wichtig, sie sind neugierig und interessiert an Innovationen und unkonventionellen Denken (Schaumlöffel et al. 2018, S. 76). Sie suchen aktiv nach neuen Lösungen für Probleme. Umgekehrt haben Personen mit niedrigen Werten wenig Interesse an kreativen Aktivitäten, neuen Ideen, exzentrischen Personen und Informationen (Ashton & Lee).
Unternehmen mit einer hohen Ausprägung stehen hier für Kreativität und Innovation (de Vries et al. 2017, S. 73).
Die Facetten der Dimension Emotionalität
- Ängstlichkeit, Unbehagen, Abhängigkeit von anderen und Sentimentalität
Menschen mit hohen Werten sind psychisch wenig belastbar und emotional stark von anderen abhängig. Sie haben Angst vor Krankheiten und körperlichen Schäden, schwierigen Situationen und haben ein hohes Bedürfnis nach emotionaler Bindungen zu anderen (Schaumlöffel et al. 2018, S. 73–74). Personen mit niedrigen Werten sind selbst in Stresssituationen wenig besorgt, selbstsicher, emotional eher distan-ziert und haben weniger das Bedürfnis, ihre Sorgen mit anderen zu teilen. Sie sind in der Lage, ohne Hilfe oder Rat mit Problemen fertig zu werden (Ashton & Lee). Unternehmen mit einer hohen Ausprägung werden mit einem emotionalen Image verknüpft (de Vries et al. 2017, S. 73).
Die Facetten der Dimension Verträglichkeit
- Versöhnlichkeit, Nachsichtigkeit, Flexibilität und Geduld
Menschen mit hohen Werten sindmeist kooperativ, können gut verzeihen, sind nachsichtig in der Bewertung anderer, kompromissbereit und können ihr Temperament gut kontrollieren (Schaumlöffel et al. 2018, S. 75). Sie vermeiden Streit, sind geduldig und berücksichtigen andere Vorschläge selbst dann, wenn sie nicht sinnvoll erscheinen. Umgekehrt sind Personen mit niedrigen Werten sehr nachtragend, werden schnell wütend und neigen dazu, andere kritisch zu beurteilen. Sie sind außerdem stur und streitlustig (Ashton & Lee).
Auf Unternehmen bezogen wird eine hohe Ausprägung mit Kooperationsbereitschaft und Respekt in Verbindung gebracht (de Vries et al. 2017, S. 73).
Auf die Passung kommt es an
Im Rahmen der Studie von de Vries et al. ergab die Auswertung der jeweiligen Mitarbeiter- und Arbeitgeberpersönlichkeit folgende wichtige Erkenntnisse:
- Je höher die Übereinstimmung zwischen den Persönlichkeitsprofilen, desto höher sind Arbeitszufriedenheit und Vertrauen in den Arbeitgeber und die Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitnehmer auch langfristig im Unternehmen bleibt.
- die Persönlichkeitsmerkmale Ehrlichkeit/Bescheidenheit sowie Gewissenhaftigkeit und Emotionalität sind besonders wichtig für die Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit
Letztendlich darf dabei aber nicht das direkte Umfeld von Kollegen und Vorgesetzen vergessen werden. Sind hier die Diskrepanzen im Vergleich zur Unternehmenspersönlichkeit zu groß, werden Mitarbeiter das Unternehmen schneller wieder verlassen oder ihre Arbeit unzufrieden verrichten.
Fazit
Ein „Match“ zwischen der Persönlichkeit von Organisation und individuellem Mitarbeiter ist ideal. Ein bescheidender und gewissenhafter Mitarbeiter passt nicht zu einem Unternehmen, in dem eine „Passt schon!“-Mentalität im Vordergrund steht. Ebenso ist ein sehr achtsames Arbeitsklima, das auch einzelne Befindlichkeiten sensibel handhabt, nicht für jede Arbeitnehmerpersönlichkeit geeignet (de Vries et al. 2017, S. 75). Daher kann eine wissenschaftlich fundierte Evaluation von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-persönlichkeit ein wichtiges Recruitinginstrument sein, um passende Bewerber anzuziehen und die Verbleibenswahrscheinlichkeit zu steigern.
Dazu wurde ein Quick Check entwickelt, mit dem Unternehmen ihre Persönlichkeit als Arbeitgeber beurteilen und mit der des Bewerber abgleichen können (z.B. durch einen Kurztest oder gezielte Screening-Fragen im Auswahlverfahren). So sind objektive Aussagen über die Passung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerpersönlichkeit und die aufwandsarme Entwicklung und Integration in den Recruiting-Prozess (de Vries et al. 2017, S. 75). Als Folge können Recruiter die Möglichkeit eines potenziellen „System-Errors“ deutlich reduzieren.
Literatur
Asendorpf, J. B. (2019), Persönlichkeitspsychologie für Bachelor, Berlin, Heidelberg.
Ashton, M. C./Lee, K., THE HEXACO PERSONALITY INVENTORY – REVISED. Scale Descriptions, in: https://hexaco.org/scaledescriptions, abgerufen am 29. 9. 2022.
de Vries, R./Gerpott, F. H./Engelsberger, A. (2017), Gleich und gleich gesellt sich gern, Personalwirtschaft, 09_2017, S. 72–75.
Schaumlöffel, L./Hübner, R./Thiel, S./Stulle, K. P. (2018), Du bist, was du sprichst – Validierung der Sprachanalysetechnologie PRECIRE® anhand des HEXACO®-Persönlichkeitsmodells. In: Stulle, K. P. (Hrsg.), Psychologische Diagnostik durch Sprachanalyse, Wiesbaden, S. 57–158.
Bildquelle
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