Studium statt Ausbildung – die meisten jungen Menschen zieht es nach der Schule nicht in die Betriebe sondern an die Universitäten und Hochschulen.
Laut statistischem Bundesamt sinkt die Zahl der abgeschlossenen Berufsausbildungsverträge seit Jahren kontinuierlich während gleichzeitig die Zahl der Studierenden stetig steigt.
Der Trend entwickelte sich dermaßen stark, dass es seit 2009 insgesamt mehr Studierende als Auszubildende gibt. Im Jahr 2012 standen 2,51 Millionen Studenten nur mehr noch 1,98 Millionen Auszubildenden gegenüber.
Dies wirft die Frage nach dem „Warum?“ auf.
Warum möchten junge Menschen keinen Ausbildungsberuf mehr erlernen? Ist die Ausbildung in der heutigen Zeit ein Auslaufmodell?
Vielleicht sind es die alten Ansichten und Weisheiten von der „Lehre“, die junge Menschen dazu bewegt, ein Studium aufzunehmen:
Denn der Volksmund sagt „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – Viele gehen in der Annahme, dass man in der Ausbildung doch eh nichts Richtiges lernt. Ein Azubi fertigt tausende Kopien für den Chef an, gießt die Blumen und erledigt Kram, den sonst niemand machen mag. Nach drei Jahren ist der Azubi dann genau so schlau wie zuvor und wird anschließend entweder für einen Hungerlohn beschäftigt oder landet direkt auf dem Arbeitsamt – also bei der Bundesagentur für Arbeit.
Die Ausbildung erscheint hier tatsächlich als vertane Liebesmühe, gerade in Zeiten der Bachelor-Studiengänge. Drei Jahre als Azubi billige Arbeitskraft sein oder doch in derselben Zeit den Meilenstein für die steile Karriere legen? Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die Antwort jedoch scheint klar auf der Hand zu liegen.
Aber ist das tatsächlich so? Ist eine Ausbildung gegenüber einem (Sofort-)Studium wirklich Zeitverschwendung?
Für die Ausbildung als ersten Schritt ins Berufsleben sprechen vielerlei Dinge:
- Probieren geht über studieren
Mit 18 Jahren weiß wohl kaum einer wirklich etwas vom Leben. Auch haben die wenigsten Abiturienten und Abiturientinnen eine wirkliche Vorstellung davon, was sie später einmal beruflich machen möchten. Gerade hier kann es sehr sinnvoll sein, erst einmal ein bisschen Praxiserfahrung zu sammeln. Habe ich in der Ausbildung Spaß im Umgang mit Zahlen und Statistiken steht einem späteren Studium in diese Richtung nichts im Wege. Merke ich jedoch, dass Wunschvorstellung und Praxis auseinanderdriften besteht die Möglichkeit, sich nach einer anderen Ausbildungsstelle umzusehen. Diese Chance bietet sich den Sofort-Studenten nicht. Sie werden erst nach ihrem dreijährigen Studium im Berufsleben ankommen – und im schlimmsten Fall ein bitterböses Erwachen haben.
- Das Erlernen von Selbstorganisation und Selbstdisziplin sind wesentliche Elemente der betrieblichen Ausbildung
In Schule und Studium wird einem nach wie vor vieles vorgegeben. Lehrer und Dozenten geben die Hausaufgaben vor, grenzen Prüfungsstoff ein, zu spät kommen wird schlimmstenfalls im Klassenbuch vermerkt und zuletzt ist man stets unter „Gleichgesinnten“ und weiß ganz genau wann Feierabend ist und wie viel freie Zeit man hat.
Die Arbeitswelt hingegen gestaltet sich etwas komplexer. Gemäß Ausbildungsordnungen – der Grundlage jeder betrieblichen Ausbildung – ist das oberste Ziel die Erlangung beruflicher Handlungsfähigkeit.[1] Die meisten Ausbildungsordnungen definieren berufliche Handlungskompetenz als die Fähigkeit zum selbstständigen Planen, Durchführen und Kontrollieren von Arbeitstätigkeiten. Zudem ist die Selbstlernkompetenz ausgewiesenes Lernziel der Berufsausbildung. [2] [3]
Was heißt das für den Azubi und seine tägliche Arbeit?
Er muss lernen, sich selbst zu organisieren, erkennen, wo es etwas zu erledigen gibt und schlussendlich Verantwortung für sein Handeln übernehmen.
Die Entwicklung des gesunden, praxisorientierten Menschenverstands, Selbstorganisation und nicht zuletzt Selbstdisziplin sind allesamt Fähigkeiten, die ein Azubi im Laufe der Ausbildungszeit erwirbt.
- Aus der Berufsausbildung heraus können nützliche Beziehungen entstehen
In der Ausbildung begegnet man vielen verschiedenen Menschen. Kunden,
Kollegen und Lieferanten können Impulse geben oder gar als „Vitamin B“ dienlich sein.[4] Kontakte zu (einflussreichen) Menschen stellt man eben nicht an den Universitäten her, sondern in der betrieblichen Praxis.
Der wirkliche Nutzen ergibt sich erst im Rückblick:
Viele meiner ehemaligen Klassenkameraden haben mich regelrecht ausgelacht,
als ich erzählte, dass ich auf der Suche nach einen Ausbildungsplatz bin und (vorerst) nicht daran denke zu studieren.
Ich ließ mich nicht beirren und während ich die ersten (holprigen) Schritte in der Arbeitswelt machte, feierten meine ehemaligen Klassenkameraden ihre Semesteranfangspartys, gingen zu Vorlesungen und trafen sich hinterher im Studentencafé auf einen netten Plausch.
Ich hingegen lernte die ungeschriebenen Gesetze des Arbeitslebens kennen, bekam von Beginn an viel Verantwortung übertragen und musste lernen, mit dem Stress und der Hektik des Büroalltags zurecht zu kommen. Vorbei waren für mich die Zeiten eines geregelten Schulalltags der – rückblickend betrachtet – nett eingebettet war in allerlei Ferien und Freizeit.
Ich musste viele Dinge sehr schnell lernen, umsetzen und auf sämtliche Spezialfälle anwenden. Ich lernte effektiver zu arbeiten als ich zu Schulzeiten je dachte, dass es überhaupt möglich wäre. Unter Zeitdruck gute Ergebnisse liefern, dabei stets adrett, höflich und zuvorkommend zu sein ist etwas, dass man in keinem Studium der Welt lernt!
Kurzum: Für die Sofort-Studenten geht das bereits jahrelang gewohnte Pauken einfach weiter. Die Anforderungen an einen Azubi sind neu, vielfältig, andersartig. Sie fördern und fordern den jungen Menschen und zwingen ihn seine Komfortzone zu verlassen. Und das ist meiner Meinung nach auch gut so!
Mit dem Wissen um das „wahre“ Arbeitsleben fiel es mir dann nach der Ausbildung – ganz anders als meinen ehemaligen Klassenkameraden – auch nicht schwer, mich für eine Studienrichtung zu entscheiden. Ich hatte durch die in der Ausbildung gewonnenen Einblicke ein ganz klares Verständnis dafür, welcher Studiengang für mich persönlich sinnvoll und sinnerfüllend ist.
Mein aktuelles Fernstudium baut auf meiner zuvor absolvierten Berufsausbildung auf und ich merke, wie mir die Praxiserfahrung hilft, Lerninhalte zu begreifen und direkt einen Praxisbezug herzustellen.
Zudem merke ich, dass sich die in der Ausbildung erlernte Selbstdisziplin und Selbstorganisation positiv auf mein Studium auswirkt. Jammern viele Sofort-Studenten über den Stress im Studium ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, pünktlich zu Seminaren zu erscheinen, Abgabefristen einzuhalten und „nebenher“ schon für die bevorstehenden Klausuren zu lernen.
Ich bin mir sicher, dass die umfassende berufliche Praxiserfahrung der Berufsausbildung in Kombination mit dem im Studium erlernten Wissen eine hervorragende Grundlage ist, um später den Wunschberuf kompetent, fundiert und sicher ausüben zu können.
Persönliches Fazit:
Natürlich können auch Sofort-Studenten erfolgreich ins Berufsleben starten. Dennoch beklagen sich viele Firmen über die „Fachidiotie“ der jungen Akademiker.
Insbesondere ein Studium, welches auf einer zuvor absolvierten Ausbildung aufbaut, hilft, Türen zu öffnen und der viel zitierten Fachidiotie entgegenzuwirken, denn die „Ex-Azubis“ und „Jetzt-Akademiker“ gehen mit einer ganz anderen Sichtweise an ihre neuen Aufgaben heran.
[1] § 1 BBiG (23.03.2005)
[2] Vgl. Dauser, D./ Schulze F.: http://www.bwpat.de/ (20.03.16).
[3] Vgl. Frank, I: 2005, S. 28 ff.
[4] Vgl. Hofert, S.: http://karriereblog.svenja-hofert.de/ (20.03.16).
Abkürzungen:
Azubi Auszubildende/r
BBiG Berufsbildungsgesetz
Bildnachweis:
Abbildung 1: Quelle: https://de.statista.com/infografik/1887/zahl-der-studierenden-und-auszubildenden/“ title=“infografik: deutlich mehr studierende als auszubildene | statista“><img
Abbildung 2; Beitragsbild: Quelle: Eigene Darstellung
Quellen:
Dauser, D./ Schulze, F: Selbstorganisiertes Lernen in der beruflichen Bildung. In: Berufs- und Wirtschaftspädagogik online. Ausgabe Nr. 13. 2007. http://www.bwpat.de/ausgabe13/dauser_schulze_bwpat13.shtml/ (20.03.16)
Frank, I.: Reform des Prüfungswesens. Berufliche Handlungsfähigkeit liegt im Fokus. In: BWP Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis. Februar 2005, S. 28 ff.
Grieß, A.: Deutlich mehr Studierende als Auszubildende. 2014. https://de.statista.com/infografik/1887/zahl-der-studierenden-und-auszubildenden/ (11.03.16)
Hofert, S.: http://karriereblog.svenja-hofert.de/2013/11/10-gruende-fuer-eine-ausbildung-und-gegen-ein-sofort-studium/ (20.03.16)