Das Geständnis ist die Krone der Beweisführung. Gesteht ein*e Verdächtige*r, die ihm oder ihr vorgeworfene Tat, kommt es zum Strafprozess und sofern keine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vorliegen auch zur Verurteilung. Obwohl ein falsches Geständnis im Widerspruch mit den eigenen Interessen zu stehen scheint, ist das falschen Geständnis keinesfalls ein Randphänomen. Es gehört zum Alltag der Strafverfolgungsbehörden und schafft es gelegentlich durch die Berichterstattung der Medien in spektakulären Fällen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Ein solcher spektakulärer Fall ist der Mord an dem schwedischen Premierminister Olof Palme im Jahre 1986. Der Spiegel berichtet 2016 in einem Artikel über diesen Mordfall und die bis zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Geständnisse. So haben in den 30 Jahren 133 Menschen zugegeben Olof Palme ermordet zu haben.[1] Keines der Geständnisse konnte einer Wahrheitsprüfung standhalten. Nach mehr als drei Jahrzehnten konnte der Fall von der schwedischen Polizei Mitte Juni 2020 aufgeklärt werden. [2]. Aber nicht immer wird ein falsches Geständnis auch als solches unmittelbar erkannt. So kommt es immer wieder zu Verurteilungen, die auf Geständnissen beruhen, welche spätestens im Laufe des Prozesses wieder zurückgenommen wurden und sich später als falsche Geständnisse erweisen. Nach Angaben der Organisation Innocence Project, gibt es in den USA bisher 367 ungerechtfertigte Verurteilungen, die durch DNA-Beweise aufgehoben wurden. Davon standen 28% der falschen Verurteilungen in irgendeiner Form mit falschen Geständnissen in Zusammenhang.[3] Aber warum gesteht jemand ein Verbrechen, das er nicht begangen hat? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, sind zunächst zwei Fallgruppen von falschen Geständnissen zu unterscheiden.[4]
Freiwillige, falsche Geständnisse
Diese Fallgruppe beinhaltet jene Geständnisse, die ohne Einwirkung seitens der Ermittlungsbehörden zustande kommen. Ein freiwilliges, falsches Geständnis kann pathologische Ursachen haben, wie das krankhafte Streben nach Berühmtheit oder den Verlust der Realitätskontrolle. Auch das durch Schuldgefühle ausgelöste bewusste oder unbewusste Bedürfnis nach Selbstbestrafung kann einen Grund darstellen. Darüber hinaus kann die Schutzfunktion ebenfalls eine Motivation darstellen. Zum einen, um sich davor zu schützen, dass eigene schwerwiegendere Taten entdeckt werden und zum anderen, um den eigentlichen Täter*in vor der Strafverfolgung zu schützen.[5] In dem oben skizzierten Mordfall von Olof Palme sind ein Großteil der Geständnisse dieser Gruppe zuzuordnen, da kein fallspezifischer Kontakt zu den Ermittlungsbehörden bestand.[6]
Falsche Geständnisse nach polizeilicher Befragung
Diese zweite Gruppe der falschen Geständnisse entstehen erst im Verlauf und verursacht durch das Ermittlungsverfahren. Als ursächlich wird hier ein multifaktorielles Geschehen angesehen. Insbesondere der Vernehmungsdruck und die Dispositionsmerkmale, welche bestimmte Verdächtige sehr anfällig für Einflussnahme und falsche Geständnisse machen, stellen wichtige Einflussgrößen dar.[7] Hier sind auch die durch das Innocent Project aufgedeckten falschen Geständnisse einzuordnen.[8]
Zu den personenbezogenen Risikofaktoren zählen jugendliches Alter, intellektuelle Defizite und psychische Störungen.
Jugendliches Alter
In einer Studie stellten Drizin und Leo nicht nur fest, dass 33% unter 18 Jahren waren, wobei mehr als die Hälfte dieser Jugendlichen sogar unter 15 Jahre alt war.[9] Zudem war nahezu das gesamte Problemfeld der falschen Geständnisse in der untersuchten Stichprobe mit 92% auf Personen unter vierzig Jahren beschränkt.[10] Auch vorausgegangene Simulationsexperimente konnte zeigen, dass minderjährige Kinder eher geneigt sind, fälschlicherweise Verantwortung zu übernehmen als Erwachsene.[11] Dieses deutet darauf hin, dass das Alter der Verdächtigen stark mit der Wahrscheinlichkeit korreliert, ein falsches Geständnis abzulegen. Es gibt mehrere Gründe, weshalb Jugendliche z.B. für den polizeilichen Druck während Verhören anfälliger sein könnten. Kinder und Jugendliche besitzen weniger Lebenserfahrung, auf die sie zurückgreifen können. Infolge dessen neigen sie dazu naiver zu sein und sich leichter durch Polizeigewalt, Überredung oder Zwang einschüchtern zu lassen.[12] Insbesondere der Gehorsam gegenüber der als Autoritätsperson auftretende Ermittlungsbeamt*in stellt dabei eine große Einflussgröße dar.[13] Jugendliche sind daher weniger gut gerüstet, um mit belastenden polizeilichen Verhören fertig zu werden und verfügen wahrscheinlich über weniger psychologische Ressourcen, um dem Druck einer anklagenden polizeilichen Befragung standzuhalten.[14]
Intellektuelle Defizite und psychische Störungen
In der englischsprachigen Fachliteratur wird diese Fallgruppe als Mentally III und Mentally Retarded bezeichnet.[15] Intellektuelle Defizite sind zu charakterisieren „durch eine deutliche Beeinträchtigung der intellektuellen Funktion und der adaptiven Fähigkeiten“.[16] Eine Psychische Störung ist nach DSM-5 als ein Syndrom definierbar, “welches durch klinisch bedeutsame Störungen in den Kognitionen, der Emotionsregulation oder des Verhaltens einer Person charakterisiert ist.“.[17] Gross und Kollegen haben 263 Fälle aus den Jahren 1989 bis 2003 untersucht, in denen die verurteilte Person die vorgeworfene Tat gestanden hat und dafür verurteilt wurde, im Nachhinein aber aufgrund von DNA-Analyseverfahren nachgewiesen werden konnte, dass es sich dabei um ein falsches Geständnis handelte.[18] Hier betrug der Anteil jener Personen mit einem intellektuellen Defizit oder einer psychischen Störung zum Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens 69% .[19]
Oft gestehen Personen mit intellektuellen Defiziten oder psychischen Störungen, weil sie sich erhoffen aus der belastenden Verhörsituation zu entkommen. Gleichzeitig können sie die langfristigen Konsequenzen dieses Verhalten jedoch nicht ausreichend antizipieren.[20] Zudem kennen viele ihre Rechte als Verdächtige*r nicht und verfügen oft über einen eingeschränkten Wortschatz, der es erschwert die Bedeutung der Kommunikation in der Verhörsituation auch vollständig zu erfassen.[21] Sie neigen auch dazu, sehr unterwürfig zu sein (besonders erpicht, Autoritätspersonen zu gefallen), gefügig, beeinflussbar und empfänglich für Stress und Druck.[22] Personen mit intellektuellen Einschränkungen oder psychischen Störungen können sich daher nicht angemessen vor dem Befragungsdruck schützten und sind anfälliger für Suggestionen.[23]
Fazit und Ausblick
Alle hier beschriebenen personenbezogenen Risikofaktoren betreffen diejenigen Mitglieder unserer Gesellschaft, welche als besonders schützenswert angesehen werden und deren Schutz gesetzlich normiert ist. Dennoch legen Personen, die von einem oder mehreren Risikofaktoren betroffen sind, überproportional oft falsche Geständnisse ab. Es stellt sich daher die Frage, wie diese Menschen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens besser geschützt werden können. Da die polizeiliche Vernehmungstaktik eine wichtige Einflussgröße darstellt, falsche Geständnisse nach sich zu ziehen, widmet sich ein anschließender Blogbeitrag der Frage, welche polizeiliche Vernehmungstaktiken insbesondere das Risiko in sich tragen, ein falsches Geständnis hervorzubringen. Zudem wird diskutiert, welche Maßnahmen notwendig sind, um zu verhindern, dass Menschen ein Verbrechen gestehen, welches sie nie begangen haben.
[1] Reise, 2016.
[2] Pieper, 2020.
[3] Innocence Project, 2020.
[4] Kassin & Wrightsman, 1985, S. 70.
[5] Volbert, 2013, S. 231.
[6] Reise, 2016.
[7] Kassin, et al., 2010, S. 25.
[8] Innocence Project, 2020.
[9] Drizin & Leo, 2008, S. 941.
[10] Drizin & Leo, 2008, S. 942.
[11] Redlich & Goodman, 2003, S. 152.
[12] Drizin & Leo, 2008, S. 942.
[13] Redlich & Goodman, 2003, S. 152.
[14] Drizin & Leo, 2008, S. 942.
[15] Gross, Jacoby, Matheson, Montgomery, & Patil, 2005, S. 545.
[16] Venzlaff, Foerster, & Bork, 2009, S. 296.
[17] Falkai & Wittchen, 2015, S. 26.
[18] Gross, Jacoby, Matheson, Montgomery, & Patil, 2005, S. 523.
[19] Gross, Jacoby, Matheson, Montgomery, & Patil, 2005, S.545.
[20] Volbert, 2013, S. 232.
[21] Gudjonsson, 2003, S. 468.
[22] Drizin & Leo, 2008, S. 918.
[23] Fulero & Everington, 2004, S. 163.
Literaturverzeichnis
Drizin, S. A., & Leo, R. A. (2008). The Problem of False Confessions in the Post-DNA World. North Carolina law review, S. 891-1004.
Falkai, P., & Wittchen, H.-U. (2015). Das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM-5). Göttingen: Hogrefe.
Fulero, S., & Everington, C. (2004). Mental Retardation, Competency to Waive Miranda Rights, and False Confessions. In G. D. Lassiter, Interrogations, Confessions, and Entrapment (S. 163-179). New York: Springer.
Gross, S. R., Jacoby, K., Matheson, D. J., Montgomery, N., & Patil, S. (2005). Exonerations in the United States 1989 through 2003. The Journal of Criminal Law and Criminology , S. 523-560.
Gudjonsson, G. H. (2003). The psychology of interrogations and confessions : a handbook. West Sussex, England: Chichester.
Innocence Project. (2020). DNA Exonerations in the United States. Abgerufen am Juni 2020 von https://www.innocenceproject.org/dna-exonerations-in-the-united-states/
Kassin, S. M., Drizin, S. A., Grisso, T., Gudjonsson, G. H., Leo, R. A., & Redlich, A. D. (2010). Police-Induced Confessions: Risk Factors and Recommendations. Law and Human Behavior, S. 3-38.
Kassin, S., & Wrightsman, l. (1985). Confession evidence. In S. Kassin, & W. l.S., The psychology of evidence and trial procedure (S. 67-94). London: Sage.
Leo, R. A., & Liu, B. (2009). What Do Potential Jurors Know About Police Interrogation Techniques and False Confessions? Behavioral Sciences and the Law, S. 381–399 .
Pieper, D. (10. Juni 2020). Der Mörder tarnte sich als Zeuge. Abgerufen am Juni 2020 von Spiegel: https://www.spiegel.de/politik/ausland/mord-an-olof-palme-aufgeklaert-ein-einzeltaeter-keine-verschwoerung-a-4aa08ffa-3ee8-4631-9bf1-dfcedbf9e3aa
Redlich, A. D., & Goodman, G. S. (2003). Taking responsibility for an act not committed: The influence of age and suggestibility. Law and Human Behavior, S. 141–156.
Reise, N. (28. Februar 2016). Schwedens größte Wunde. Abgerufen am Juni 2020 von Spiegel: https://www.spiegel.de/geschichte/mord-an-olof-palme-1986-ein-raetsel-ohne-aufloesung-a-1079047.html
Venzlaff, U., Foerster, K., & Bork, S. (2009). Psychiatrische Begutachtung Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen. München: Urban & Fischer in Elsevier.
Volbert, R. (2013). Falsche Geständnisse. Die Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie , S. 230–239.
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