Obwohl das Bild der Frau am Herd als veraltet gilt, sind Führungspositionen in Unternehmen noch überwiegend von Männern besetzt. Warum machen Frauen in einer Zeit, in der die Elternzeit für Väter unterstützt wird und in der ein Rechtsanspruch auf Betreuung des Kindes ab einem Alter von einem Jahr besteht, immer noch seltener Karriere als Männer? Warum verdienen Frauen nach wie vor weniger als Männer? Immer noch haben Frauen im Berufsleben schlechtere Chancen, was aus ihrer Sicht eine Diskriminierung darstellt. Sie haben weniger Möglichkeiten bei der Wahl ihres Lebensweges und einige Türen bleiben ihnen verschlossen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bedeutet das, dass ihr Potential nicht genutzt wird, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.[1] Da es bereits einen großen Talentpool an qualifizierten Frauen gibt, lohnt es sich für Organisationen – egal, ob Wirtschaftsunternehmen oder Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen – die Karrieren von Frauen und Männern gleichermaßen zu fördern.[2]
Nachfolgende Geschichte soll die Problematik verdeutlichen: Ein Vater wird mit seinem Sohn in einen schweren Autounfall verwickelt, bei dem der Vater noch am Unfallort verstirbt. Der Sohn wird schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Im OP sagt der Chirurg: „Ich kann den Jungen nicht operieren. Er ist mein Sohn.“ [3]Nun wird sich vermutlich im ersten Moment häufig gefragt, wie der verstorbene Vater im OP stehen kann oder ob es sich um den Stiefvater handelt. Die naheliegende Lösung, dass es sich bei dem Chirurgen um die Mutter des Jungen handelt, hat nicht jeder spontan vor Augen. Die Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass ein bestimmtes Verhalten, eine bestimmte Rolle oder eben ein bestimmter Beruf mit dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht verbunden wird. Es gibt gesellschaftlich geteilte Erwartungen und Vorstellungen darüber, wie Männer beziehungsweise Frauen sein sollen und welche Verhaltensweisen und Rollen typisch sind.[4] Seit den neunziger Jahren steigen Frauen zwar vermehrt in die zweite Führungsebene auf, in Spitzenpositionen macht der Anteil der Frauen nur einen Bruchteil der Führungskräfte aus. [5]Die Ursachen dafür sind auf unterschiedlichen Ebenen zu finden. Zum einen liegen sie in dem gesellschaftlichen Rollenverständnis bedingt durch Geschlechterstereotype. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt vielfach ein Problem dar. Zweitens liegen die Gründe in unstrukturierten Auswahl- und Beurteilungsprozessen und drittens liegen die Ursachen bei den Frauen selbst, denen es häufig an Motivation zu führen fehlt.[6]
Geschlechtsstereotype
Geschlechtsstereotype sind verallgemeinernde Einstellungen gegenüber Männern oder Frauen. Mithilfe von Stereotypen wird die Vielzahl an Informationen, mit der Menschen aus ihrer Umwelt konfrontiert werden, verarbeitet. Es werden vereinfachte Rückschlüsse auf die Eigenschaften einer Person gezogen. Diese sind allerdings nicht immer richtig und können dazu führen, dass jemand falsch beurteilt oder eingeschätzt wird.[7]Es ist zu differenzieren, ob es sich um nachweisbare Unterschiede im Verhalten wegen naturgegebener soziobiologischer Gründe handelt oder ob dafür Sozialisationsbedingungen verantwortlich sind.[8] In der Forschung haben sich für eine große Zahl von Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensmustern signifikante Geschlechtsunterschiede ergeben. Einige dieser Verhaltensmerkmale scheinen genetisch bedingt zu sein. Andere wiederum haben sich durch die Sozialisation entwickelt. Dass Verhaltensweisen genetischer Natur sind, bedeutet nicht, dass sie nicht veränderbar sind. Sind sie durch Sozialisation begründet, bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass sie sich leicht ablegen lassen.[9] Weibliche als auch männliche Personen bekunden positive Einstellungen gegenüber Frauen. Ihnen wird Gemeinschaftssinn, Hilfsbereitschaft, Wärme, Freundlichkeit und Einfühlungsvermögen zugesprochen. Allerdings kann eine positiv bekundete Einstellung gegenüber Frauen auch ein Verschleiern von tatsächlich bestehenden Vorurteilen sein, um sich selbst in ein gutes Licht zu stellen. Wenn die Einstellungen Frauen gegenüber so positiv sind, sollte man davon ausgehen, dass Sexismus der Vergangenheit angehört. Das ist leider nicht der Fall.[10]
Der Begriff Sexismus definiert vorurteilsbesetzte Einstellungen und diskriminierendes Verhalten gegenüber Menschen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Da Frauen in vielen Bereichen benachteiligt werden, kann in diesem Zusammenhang von Sexismus geredet werden.[11]
Stereotyp Führungskraft
„Führung dient dazu, andere Menschen individuell und gezielt zu beeinflussen, zu motivieren und/ oder in die Lage zu versetzen, zum Erreichen kollektiver Ziele in Organisationen beizutragen.“ [12]Das Stereotyp Führungskraft ist maskulin. In der Vorstellung sind die idealen Manager führungswillig, autonom, beherrscht, selbstsicher, dynamisch, rational, entscheidungsfreudig, konfliktbereit, konkurrenzorientiert, rücksichtsvoll und kommunikativ. Damit gibt es deutlich mehr Übereinstimmungen mit den eher männlichen Attributen als mit denen der Frauen. Beim typischen Mann findet man Dominanz, Selbstsicherheit, Rationalität und Tatkraft. Sie sind leistungsorientiert, aktiv und weniger emotional als Frauen. Die typische Frau ordnet sich leichter unter, ist empfindlich, passiv und reagiert häufig intuitiv. Selbst wenn Frauen Eigenschaften mitbringen, die einen Mann zu einer guten Führungskraft machen würden, werden diese bei einer Frau als negativ angesehen.[13]
Fazit
Die Gesellschaft befindet sich im Wandel. Frauen sind heute deutlich besser ausgebildet. Dadurch hat sich ihr Selbstbild und ihr Selbstbewusstsein verändert. Die meisten Frauen sind heute nicht mehr damit zufrieden, ihre Zeit ausschließlich mit der Kindererziehung und dem Haushalt auszufüllen. Die, die es tun, sollten allerdings auch keineswegs verurteilt werden. In Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels sollte auf die Fähigkeiten der Frauen nicht verzichtet werden. Dazu muss zum einen noch mehr für die Kinderbetreuung getan werden. Zum anderen muss ein Umdenken in vielen Köpfen stattfinden. Warum muss das Stereotype der Führungskraft zwangsweise mit Dominanz, Beherrschtheit und Konfliktbereitschaft verbunden sein? Was spricht dagegen, etwas zu wagen und auch mal emotional oder intuitiv zu entscheiden? Die noch amtierende Bundeskanzlerin macht es vor. Vielleicht geht eine Frau manchmal andere Wege, die aber nicht schlechter sein müssen. In diesem Sinne: Wir schaffen das!
Fußnoten
[1] Vgl. Dlugosch (2009), S. 225
[2]Vgl. Kauffeld/Spurk (2019), S. 995
[3] Vgl. Banaji/Greenwald (2017), S. 93
[4] Vgl. Petersen/Six (2008), S. 121
[5] Vgl. Felfe/van Dick (2016), S. 185
[6] Vgl. Kauffeld/Spurk (2019), S. 993
[7] Vgl. Kauffeld/Spurk (2019), S. 996
[8] Vgl. Fischer/Wiswede (2009), S. 538
[9] Vgl. Rosenstiel/Nerdinger (2011), S. 191–192
[10] Vgl. Steffens/Ebert (2015), S. 72–73
[11] Vgl. Petersen/Six (2008), S. 122
[12] Kauffeld (2019), S. 106
[13] Vgl. Petersen/Six (2008), S. 122
Literaturverzeichnis
Banaji, M. R./Greenwald, A. G. (2017), Vor-Urteile. Wie unser Verhalten unbewusst gesteuert wird und was wir dagegen tun können, München.
Dlugosch, S. (Hrsg.) (2009), Eignungsdiagnostik im Wandel. Perspektiven – Trends – Konzepte, Göttingen.
Felfe, J./van Dick, R. (Hrsg.) (2016), Handbuch Mitarbeiterführung. Wirtschaftspsychologisches Praxiswissen für Fach- und Führungskräfte, Berlin, Heidelberg, s.l.
Fischer, L./Wiswede, G. (2009), Grundlagen der Sozialpsychologie, 3. Aufl., München.
Kauffeld, S. (Hrsg.) (2019), Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor. Mit 42 Tabellen, 3. Aufl., Berlin, Germany.
Kauffeld, S./Spurk, D. (Hrsg.) (2019), Handbuch Karriere und Laufbahnmanagement, Berlin, Heidelberg.
Petersen, L.-E./Six, B. (Hrsg.) (2008), Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen, Weinheim, Basel.
Rosenstiel, L. v./Nerdinger, F. W. (2011), Grundlagen der Organisationspsychologie. Basiswissen und Anwendungshinweise, 7. Aufl., s.l.
Steffens, M. C./Ebert, I. D. (2015), Frauen – Männer – Karrieren. Eine sozialpsychologische Perspektive auf Frauen in männlich geprägten Arbeitskontexten, Wiesbaden.
Beitragsbild:
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