By Published On: 4. November 2021Categories: Meine Hochschule und mein Studium

Kategorie: Hochschule – mein Studium

Grundsätzlich habe ich einen spannenden Beruf, der mich er- und ausfüllt. Seit 2007 bin ich als akkreditierte Gebärdensprachdolmetscherin in Österreich tätig. Ich arbeite für gehörlose Menschen, deren Zahl sich in Österreich mit ca. 9.000 beziffern lässt[1], was ca. einem Promille der Gesamtbevölkerung entspricht und mittle kommunikativ zwischen hörenden und gehörlosen Parteien. Konkret bin ich in einem sozialmedizinischen Zentrum für gehörlose in Linz, Oberösterreich angestellt, von wo aus ich für unsere Patienten und Patientinnen im Krankenhaus und im niedergelassenen Facharztbereich dolmetsche.[2]

Warum ich trotzdem lange auf der Suche nach einer Ergänzung war und sich Prävention und Gesundheitspsychologie bestens in mein Berufsbild fügt, möchte ich auf diesem Weg erläutern und nebenbei mit einigen Missverständnissen rund um das Thema „Gehörlosigkeit“ aufräumen. Dafür muss vorab mein Berufsbild und die Zielgruppe vorgestellt werden.

Gebärdensprachdolmetschen

Gebärdensprachdolmetschende dolmetschen in allen Bereichen des täglichen Lebens für diese Zielgruppe. Wir werden von der gehörlosen Person selbst, aber genauso von hörenden ArbeitgeberInnen, Familienangehörigen, Bildungsinstitutionen beauftragt. Dies kann direkt von einzelnen Personen erfolgen oder über eine so genannte Dolmetschvermittlungszentrale. Ein Großteil der Kollegenschaft arbeitet selbständig auf Honorarbasis wobei als Kostenträger Bund, Land und Institutionen fungieren, jeweils abhängig vom Termin.  Einige, so wie ich, arbeiten wiederum angestellt in einschlägigen Institutionen wie sozialmedizinischen Kompetenzzentren, Bildungseinrichtungen für gehörlose, Arbeitsassistenzen etc.

Der Zugang zum Beruf ist unterschiedlich. In Österreich gibt es derzeit folgenden Angebote:

  • ein Bachelor- und Masterstudium in Graz sowie
  • eine dreijährige Fachausbildung in Linz (mein Zugang),
  • einen berufsbegleitenden Lehrgang in Salzburg sowie
  • einen FH-Studienlehrgang in Innsbruck

Alle Ausbildungen zielen auf das Bestehen der so genannten Berufseignungsprüfung des österreichischen GebärdensprachdolmetscherInnenverbands (kurz ÖGSDV) ab, deren Mitglied ich inzwischen bin.[3]

Ziel dieses Verbands ist das Hochhalten von Professionalität und ein entsprechender Auftritt nach außen. Natürlich stärkt er auch die Vernetzung innerhalb der Mitglieder. Eine Berufs- und Ehrenordnung bürgt für die Qualität der erbrachten Arbeit. Sie umfasst unter anderem das Einhalten der Schweigepflicht und das Absolvieren einer vorgegebenen Stundenanzahl von Weiterbildungen innerhalb von drei Jahren. Dies alles vor dem Hintergrund, dass Gebärdensprachdolmetschen nach wie vor kein geschützter Beruf ist. Daher kommen oft Laien oder Familienangehörige (ja, tatsächlich auch Kinder für ihre Eltern!) zum Einsatz, was sich nicht selten nachteilig auswirkt (auf die Situation und ihr Ergebnis, als Belastung für Angehörige etc.).

Gehörlosigkeit und Gebärdensprache

Die Gruppe gehörloser Menschen ist sehr heterogen. Zu ihnen zählen seit Geburt ertaubte, spätertaubte, schwerhörige Menschen, Träger so genannter Cochlear-Implantate (Innenohrprothesen) und alle jene, die Gebärdensprache infolge ihrer kommunikativen Bedürfnisse nutzen. Das irrtümlich oft verwendete „taubstumm“ wird von der Zielgruppe als inzwischen diskriminierend erlebt und sollte daher nicht als Bezeichnung verwendet werden. Gehörlose sind gemäß ihrer Anatomie nämlich genau wie hörende in der Lage, sich lautsprachlich zu artikulieren. [4] „Taub“ oder „gehörlos“ sind die passenden Attribute.

Gebärdensprache ihrerseits ist kein bloßes kommunikatives Hilfsmittel, sondern eine natürlich gewachsene Sprache wie jede andere Lautsprache auch. Ergo sind die nationalen Gebärdensprachen auch unterschiedlich, so gibt es zum Beispiel die British Sign Language (BSL), American Sign Language (ASL), die Deutsche Gebärdensprache (DGS) und die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS), für die ich als Dolmetscherin ausgebildet bin. Tatsächlich sind auch innerhalb eines Landes unterschiedliche Varianten und Dialekte verbreitet. Die Linguistin Penny Boeys Braem hat bereits in den 60er Jahren als eine der ersten nachgewiesen, dass Gebärdensprache über eine vollständige Grammatik verfügt. In Österreich wurde sie entsprechend 2005 (wenn auch spät, aber doch) als vollwertige Sprache anerkannt.[5]

Vor diesem Hintergrund sei die allgemeine Annahme, Gebärdensprache wäre international, widerlegt. Dennoch sind gehörlose Menschen im Ausland schneller in der Lage, sich mit den dortigen Bewohnern zu verständigen als wir hörenden es sind. Dies verdanken sie ihrer ausgeprägten Visualität, die es ihnen innerhalb weniger Minuten erlaubt, sich gebärdensprachig zu verständigen. Dies glückt, indem sie auf das eigene nationale Mundbild verzichten und auch pantomimische Elemente vermehrt zum Einsatz bringen. Nichtsdestotrotz existiert das künstlich geschaffene System der Internationalen Gebärde (IS), das insbesondere auf internationalen Konferenzen und Kongressen zum Einsatz kommt und für die entsprechend ausgebildete DolmetscherInnen bei Bedarf zum Einsatz kommen. 

Muttersprache als Zugang zu Bildung

Die Anwendung von Gebärdensprache war bis ins letzte Jahrhundert lange Zeit verpönt und Gehörlose wurden als Minderheit dazu angehalten, sich der hörenden Majorität und ihrem Sprachgebrauch anzupassen. Dies spiegelt sich heute noch darin, dass sich eine Vielzahl gehörloser Senioren lautsprachlich sehr gut ausdrückt, aber die meisten von ihnen das Erlernen von Lauten als traumatisch erlebt haben, da sich erst über die Muttersprache Inhalte wirklich erschließen. Dem muss hinzugefügt werden, dass Gebärdensprache über eine völlig andere Grammatik verfügt als die Lautsprache und so vieles abstrakt und somit unverständlich bleibt.

Erst die jüngere Generation verwendet „ihre Sprache“ selbstbewusst und offen als Kulturgut und erschließt sich auf diese Weise auch den Zugang zu Bildung. Kamen früher gehörlose Menschen kaum über einen Lehrberuf hinaus (es sei denn mit höchster Anstrengung), streben heute immer mehr auch einen akademischen Abschluss an – allein es mangelt oft noch an DolmetscherInnen. [6]

Das Beschriebene soll ungefähr ein Bild davon skizzieren, mit welchen Barrieren gehörlose zu tun haben und weshalb ihnen Informationen, mit denen wir hörenden rund um die Uhr akustisch – bewusst oder unbewusst – versorgt werden, fehlen.

Praktisch äußert sich dies in meinem Arbeitsalltag im medizinischen Setting darin, dass die Zielgruppe (insbesondere der älteren gehörlosen) oft nicht bzw. nur teilweise über ihre Diagnosen Bescheid weiß und ihnen ihre Medikamente meist nur nach Farben bekannt sind.  Sie scheinen die Verantwortung über die eigene Gesundheit ganz und gar an Ärzte bzw. ihr hörendes Umfeld abzugeben.

In diesem Zusammenhang wird mir immer wieder entgegnet, dass dies bei hörenden älteren Menschen nicht seltener der Fall wäre. Das mag stimmen, aber die Ursachen sind eben – zumindest zum Teil – andere. Neben Sprachbarrieren trägt ihre Geschichte der Anpassung an eine hörende Gesellschaft verbunden mit steter Bevormundung dazu bei, dass die eigene Gesundheitskompetenz gemindert ist. Studienergebnisse belegen sehr klar, dass Sprache eng mit der eigenen Gesundheit zusammenhängt.

Motivation für Prävention und Gesundheitspsychologie

Für mich persönlich war es ein Glück, auf dieses Studienangebot gestoßen zu sein und zwar in vielerlei Hinsicht. Module wie „Motivation“ haben mich bereits selber in meiner Entwicklung unterstützt und beeinflussen mich positiv. Von den „medizinischen Grundlagen“ profitiert vor allem meine Dolmetschkompetenz. Seit ich besser mit Anatomie und den Vorgängen im Körper vertraut bin, kann ich vieles, das mir bis dahin als abstrakt erschien, klarer und deutlicher dolmetschen.

Im Hinblick auf meine gehörlose Klientel, die der eigentliche Grund für die Schärfung meines beruflichen Profils war, hat sich für mich der Bereich des des „Coaching“ klar als Spezialisierung herauskristallisiert.  Es ist ausreichend Bedarf vorhanden, diese Zielgruppe darin zu bestärken, Verantwortung für sich und ihre Gesundheit zu übernehmen. Als zusätzlicher Motivator fungieren Studien unseres Institutsvorstands Primar Dr. Johannes Fellinger. Er hat herausgefunden, dass gehörlose Menschen als Minderheit deutlich mehr psychischen Belastungen wie Stress, Ängsten, Depressionen, psychosomatischen Störungen etc. ausgesetzt sind als wir hörenden es sind.[7]

Es gibt also genug Hebel, an denen ich nach dem Abschluss dieses Studiums zusätzlich zu meiner bisherigen Tätigkeit ansetzen kann und werde.


[1] Vgl. WITAF

[2] Vgl. Gesundheitszentrum für Gehörlose im Institut für Sinnes- und Sprachneurologie

[3] Vgl. ÖGSDV: Wege zum Beruf

[4] Vgl. Clarke, Valerie (2014); WITAF

[5] Vgl. Boyes Braem, Penny (1995); ÖGSDV: Gehörlosigkeit und Gebärdensprache

[6] Vgl. ÖGSDV

[7] Vgl. Fellinger, J. / Holzinger, D. (2012)

Quellenangaben

Boyes Braem, P. (1995): Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung. Hamburg: Signum Verlag

Clarke, Valerie (2016): Unerhört: Eine Entdeckungsreise durch die Welt der Gehörlosigkeit und der Gebärdensprache: (Hochschulschriften) Taschenbuch

Fellinger Johannes, Holzinger Daniel u.a. (2012): Mental health of deaf people. In: The Lancet. Volume 379, Issue 9820, pp. 1037-1044, (17–23 March)

Gesundheitszentrum für Gehörlose im Institut für Sinnes- und Sprachneurologie: https://www.barmherzige-brueder.at/unit/issn/gehoerlosigkeit/gesundheit/allgemeinmedizin. Abgerufen am 18.08.21

Österreichischer GebärdensprachdolmetscherInnenverband (ÖGSDV): https://www.oegsdv.at/web/wege-zum-beruf/. Abgerufen am 18.08.21

Österreichischer GebärdensprachdolmetscherInnenverband (ÖGSDV): https://www.oegsdv.at/web/gehoerlosigkeit-gebaerdensprache/. Abgerufen am 20.08.21

WITAF: Gehörlosigkeit. https://www.witaf.at/gehoerlosigkeit. Abgerufen am 18.08.21

Beitragsbild: Frau Mädchen Icon – Kostenloses Bild auf Pixabay

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