By Published On: 20. Dezember 2022Categories: Management, Psychologie

Hinter einschüchternden Aussagen stehen ganz einfach Menschen, die an uns appellieren, auf ihre Bedürfnisse einzugehen (Rosenberg, 2016, S. 131)

Dr. Marshall B. Rosenberg (1934-2015), Begründer der Idee der gewaltfreien Kommunikation, wuchs in Detroit, USA, auf und wurde täglich mit verschiedenen Formen von Gewalt konfrontiert. Er wollte die Ursachen von Gewalt erforschen und herausfinden, was getan werden kann, um Gewalt zu reduzieren, studierte klinische Psychologie und promovierte 1961 an der Universität von Wisconsin. Die Idee der gewaltfreien Kommunikation entwickelte sich aus Rosenbergs Suche nach einer Möglichkeit, die dringend benötigten friedensstiftenden Fähigkeiten schnell zu verbreiten. Das Center for Nonviolent Communication entstand aus seiner Arbeit mit Bürgerrechtlern in den frühen 1960er Jahren (CNVC, 2022).

Kann auch im organisationalen Zusammenhang gewaltfreie Kommunikation nutzbringend eingesetzt werden?

Rosenberg experimentierte mit Möglichkeiten der Kommunikation außerhalb von Gewalt und Dominanz. Auf eine zu dominante Sprache gibt es nur zwei Reaktionen: Unterwerfung oder Rebellion, beides sind keine wünschenswerten oder sinnvollen Verhaltensweisen. Bei der gewaltfreien Kommunikation (im Folgenden als GFK abgekürzt) geht es um die Zusammenarbeit zwischen Menschen. Ein wichtiger Schritt besteht darin, das Verhalten anderer nur als beobachtbares Phänomen zu betrachten und nicht als Folge des eigenen Verhaltens. Diese Distanz ermöglicht es uns, uns dem Gesehenen mit Empathie zu nähern. Dabei beginnt für Rosenberg die Kommunikation schon mit dem richtigen (zu)hören auf das, was der andere sagt.

Die vier Komponenten der GFK sind:

1.           Beobachtungen

2.           Gefühle

3.           Bedürfnisse

4.           Bitten

(Rosenberg, 2016, S. 24)

Das Beobachten, ohne zu bewerten ist die Basis der GFK: Wenn wir eine Beobachtung mit einer Bewertung vermischen, können andere leicht Kritik hören und wehren ab, was wir sagen wollen (Rosenberg, 2016, S. 52). Das bedeutet, dass man das Beobachtete nicht moralisch be- oder verurteilt. Das gilt sowohl für die eigenen Handlungen, als auch für die Handlungen und Worte anderer.

Im zweiten Schritt sollen laut Rosenberg Gefühle wahrgenommen und geäußert werden. Gerade dieser Teil kann in einem beruflichen Zusammenhang als ungewohnt empfunden werden: Führungspersonen, welche Gefühle als Schwäche ansehen und sich auf „das Sachliche“ fokussieren, kann es schwer fallen, die eigenen Gefühle wahrzunehmen (Riederer, 2019, S. 50). Aus diesen wahrgenommenen Gefühlen kann das dahinter liegende Bedürfnis abgeleitet werden. Rosenberg unterscheidet 7 verschiedene Grundbedürfnisse: Autonomie, Feiern, Integrität, Interdependenz, Nähren der physischen Existenz, Spiel und Spirituelle Verbundenheit (Rosenberg, 2016, S. 79–80). Der für uns und andere verständliche Ausdruck unserer Bedürfnisse ist nur möglich wenn wir uns dieser bewusst werden. Dies ist für Rosenberg ein wichtiger selbstreflektorischer Schritt, um eine Konfliktsituation zu analysieren. Das Augenmerk wird sowohl auf die eigenen Bedürfnisse gelenkt, als auch auf die Bedürfnisse des Anderen: Es ist wichtig, sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen, denn wenn wir unsere Bedürfnisse nicht ernst nehmen, tun andere es auch nicht (Rosenberg, 2016, S. 81). Da das Äußern von Bedürfnissen im beruflichen Zusammenhang auch als Schwäche interpretiert werden könnte, arbeitet Rosenberg mit einer anderen Formulierung, wenn er sich im organisationalem Umfeld bewegt: er beschreibt, wie man die eigene Macht und damit die eigene wirtschaftliche Produktion so steigern kann, dass man später nicht dafür bezahlen muss (Rosenberg, 2014, S. 167). Dabei geht es um einen Weg, der Macht mit Menschen gibt. Das bedeutet, dass die Menschen, die in einer Firma beschäftigt sind, gerne und effektiv arbeiten, weil sie merken, dass das, was sie tun, zum Erfolg ihres Unternehmens beiträgt. Dann haben die Mitarbeiter das gleiche Bedürfnis wie das Unternehmen (Rosenberg, 2014, S. 167).

Sind die Bedürfnisse aller Parteien geäußert und von allen richtig verstanden, kommt der letzte Schritt: dem Bitten, ohne Forderungen zu stellen. Die Unterscheidung zwischen einer Bitte und einer Forderung ist oft nur an der Reaktion des Bittenden abzulesen, wenn die Bitte nicht erfüllt wird: Es ist eine Forderung, wenn der Sprecher die andere Person kritisiert oder verurteilt, wenn diese der Bitte nicht nachkommt. Auch dieser Schritt hat große selbstreflektorische Anteile: „Je klarer wir wissen, was wir vom anderen bekommen möchten, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich unsere Bedürfnisse erfüllen werden“ (Rosenberg, 2016, S. 103). Im organisatorischen Kontext gibt es aber Aufgaben, die einfach erledigt werden müssen: „Aus diesem Grund ist es in Gesprächen wichtig, dass Führende nichtverhandelbare Forderungen auch als solche transparent kommunizieren. Das Auseinanderhalten von Bitten und Forderungen kann für Mitarbeitende den feinen Unterschied ausmachen, zwischen „Machtausübung“ und „gewaltfreiem Führungsverhalten“ (Riederer, 2019, S. 51).

Ein wichtiger Faktor der GFK ist das Paraphrasieren: Das Gehörte sollte wiedergegeben werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Dabei sollte, empathisch reagiert werden, wenn das Gehörte nicht mit dem Gesagten überein stimmt, und so lange nachgefragt werden, bis beide Seiten sicher sind, dass sie verstanden haben, was der Andere meint.

Lässt sich dieses Modell in Unternehmen einsetzen? Oben konnte schon gezeigt werden, dass das Modell nicht den uns bekannten Umgangsformen entspricht, besonders in einem Umfeld, in dem Macht und Hierarchie eine wichtige Rolle spielen. Im organisationalen Zusammenhang, gerade in der freien Wirtschaft, scheint das Gespräch über Gefühle und Bedürfnisse fehl am Platz: Es fällt schwerer, mit denen Empathie zu haben, die scheinbar mehr Macht, Status oder Mittel  besitzen (Rosenberg, 2016, S. 147) Aber für Vorgesetzte, kann die GFK eine gute Möglichkeit sein, mit Mitarbeitenden umzugehen: Nutzen diese zum Beispiel die GFK für Feedbacksituationen, kann die Sprache helfen, dass die besprochenen Punkte besser angenommen werden. Kommt ein Mitarbeitender immer wider zu spät zu Meetings könnte ein Feedback im Sinne der GFK folgendermaßen aussehen:

Beobachtung: „Ich habe beobachtet, dass du zu den letzten drei Teammeetings eine Stunde zu spät gekommen bist.“

Gefühl: „Ich habe mich dabei enttäuscht gefühlt, weil ich denke, dass dies eine gemeinsame Zeit für das gesamte Team ist, in der wir die Möglichkeit haben, über unsere Zusammenarbeit und Ziele sprechen zu können.“

Bedürfnis: „Mir ist wichtig, dass wir ein zuverlässiges Team sind und gegenseitige Wertschätzung durch Pünktlichkeit leben.“

Bitte: „Ich bitte Dich daher, zu den Teammeetings pünktlich zu kommen. Wie kann ich Dich dabei unterstützen?“ (Eremit, 2015, S. 84–85).

Ein solches Feedback, formuliert nach den Regeln der GFK gibt dem Mitarbeitenden konkrete Informationen, welches Verhalten kritisiert wird, was das Verhalten bei seinem Gegenüber auslöst, und eine klare, positiv formulierte Handlungsempfehlung. GFK eignet sich dementsprechend auch für jede Art der Mediation: Konflikte und unproduktive Auseinandersetzungen in Unternehmen kosten unnötig viel Geld. Zusätzlich sind auch die emotionalen Kosten hoch, wenn solche Gefühle unterdrückt werden. Deshalb sind viele dann bereit, neue Wege zu gehen (Rosenberg, 2014, S. 169).

Selbst in einem Umfeld, in dem keine andere Person GFK praktiziert, kann das Konzept helfen, besser und konfliktärmer durch den Arbeitsalltag zu gehen: geht man empathisch mit den Aussagen anderer um, dann hört man nicht mehr Kritik oder Angriff, sondern man kann das Gesagte übersetzen in die Gefühle und Bedürfnisse des Gegenübers.

Fazit:

Gewaltfreie Kommunikation ist ein Konzept, das sicherlich nicht vollumfänglich in Unternehmen eingesetzt werden kann. Aber schon die Anwendung von Teilen der GFK, zum Beispiel als Prozess zur Selbstempathie, oder als Konzept, in Gesprächen und Konfliktsituationen als empathischer Zuhörer aufzutreten, kann Kommunikation auch im organisationalen Zusammenhang maßgeblich verbessern. Gerade wenn jemand sehr einschüchternd wirkt kann es helfen, nicht auf die Worte zu hören, die er sagt, sondern auf die Bedürfnisse, die dahinter liegen.

Literatur:

CNVC (The Center for Nonviolent Communication, Hrsg.). (2022). Center for Nonviolent Communication. Marshall Rosenberg. Zugriff am 18.11.2022. Verfügbar unter: https://www.cnvc.org/about/marshall

Eremit, B. (2015). Individuelle Persönlichkeitsentwicklung. Die wichtigsten Tools im Business Coaching. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Riederer, P. (2019). „Gewaltfreie Kommunikation“ in Unternehmen. perspektive mediation, 16(1), 48. https://doi.org/10.33196/pm201901004801

Rosenberg, M. B. (2014). Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils (HERDER spektrum, Bd. 5447, 1. Auflage). Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.

Rosenberg, M. B. (2016). Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Paderborn: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung.

Bildquelle: krakenimages über Unsplash (https://unsplash.com/photos/376KN_ISplE)

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